Wenn es Komponenten gibt, die wie keine zweiten für die Verbrennertechnik stehen, dann sind es Zylinder und Kolben. Auf der einen Seite das Bauteil, in dem der Kraftstoff explodiert, auf der anderen Seite das Element, das die Bewegung der Explosion aufnimmt und überträgt. Transformationsprozesse wie bei Mahle sind deshalb ein Gradmesser und zeigen prototypisch, wie komplex der Übergang von konventionellen Motoren zu elektrischen Antrieben ist. Der Zulieferer gilt als einer der führenden Hersteller von Kolben und Zylindern – und die braucht ein elektrisches Auto nicht.
Das Stuttgarter Stiftungsunternehmen arbeitet seit Jahren an der Entwicklung von Produkten für die Welt der Elektromobilität – und kommt nicht voran. Das liegt weniger an den Bauteilen, sondern daran, dass die Komponenten nicht oder nicht in dem Maße abgerufen werden, wie das für eine lukrative Produktion notwendig wäre. „Mahle verdient mit der Elektrifizierung im Auto kein Geld, das muss sich ändern“, sagte Mahle-Chef Arnd Franz bei der Bilanzpressekonferenz am Dienstag am Stammsitz in Stuttgart Bad Cannstatt.
Nach Krisenjahren stabilisiert
Dass sich das Unternehmen nach Jahren der Krise und einem schwierigen Jahr 2024 trotzdem stabilisiert hat, lag an einem Spar- und Restrukturierungsprogramm. Der Umsatz ist in den vergangenen zwölf Monaten zwar um neun Prozent auf 11,7 Milliarden Euro gesunken, der operative Gewinn (Ebit) dafür aber um fast 40 Prozent gestiegen – auf jetzt 423 Millionen Euro. Das entspricht einer Umsatzrendite von 3,6 Prozent. Auch wenn Finanzchef Markus Kapaun einen Teil des Gewinns auf den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen zurückführt, habe Mahle sich „bei der Profitabilität im Vergleich mit 2024 leicht verbessert“.
Mahle hat die Beteiligung am Gemeinschaftsunternehmen Behr-Hella Thermocontrol aufgegeben und sein Erstausrüstungsgeschäft mit Thermostaten verkauft. Zudem hat das Unternehmen die Strukturen in der Verwaltung gestrafft und die Posten in der Geschäftsführung von sieben auf vier verringert; die Zahl der Geschäftsbereiche wurde von fünf auf drei reduziert. Die Zahl der Beschäftigten sank dadurch von global rund 72.400 auf 67.770 – unter anderem durch das Schließen der Fabriken in Gaildorf (Baden-Württemberg), Mattighofen (Österreich) und Charleston (USA).
Falscher Sonderweg ,Battery only’
Das Unternehmen hat angekündigt, in den nächsten Monaten die Produktionsstrukturen in Deutschland und Europa weiter zu überprüfen. Wie diese Prüfung am Ende ausfällt, hängt nach Angaben von Mahle-Chef Franz vor allem davon ab, wie die künftige Regulierung in Europa mit Blick auf die Klimaziele der EU aussehen wird. „Der Prozess der Überprüfung der CO2-Regulierung ist nicht abgeschlossen. Je früher wir Klarheit bekommen, ob 2035 in Europa nur noch eine Monokultur von Antrieben erlaubt ist, desto früher können wir unser Produktionsnetzwerk planen“, sagte der Mahle-Chef. „Europa muss seinen Sonderweg ,Battery only’ verlassen. Er führt in eine industriepolitische Sackgasse, denn am Ende entscheidet der Kunde.“ Franz plädiert für Hybrid-Fahrzeuge mit mehr und mehr erneuerbaren Kraftstoffen – neben rein batterieelektrischen Autos. „Wenn wir die Kohlendioxidemissionen schnell reduzieren wollen, brauchen wir alle Hebel.“
Hinzu kommen die Auswirkungen auf die Beschäftigung. Mahle beschäftigt in Europa rund 30.000 Menschen, fast zwei Drittel der Jobs hängt am Verbrennungsmotor. Wenn künftig nicht auch Autos mit nachhaltigen Kraftstoffen als CO2-frei zugelassen und Autos, die mit nachhaltigen Kraftstoffen fahren, auf die Flottengrenzwerte angerechnet werden, seien viele Arbeitsplätze bei Mahle und in der ganzen europäischen Autoindustrie gefährdet. Große Hoffnung auf eine solche Änderung der Regulierung hat der Mahle-Chef allerdings nicht.
Im Gespräch mit der F.A.Z. deutete Franz zwar an, dass die Industrie mittlerweile von der EU-Kommission angehört werde. Eine grundsätzliche Bereitschaft zum Umdenken könne er aber noch nicht erkennen. „Wir müssen uns jetzt ehrlich mit der Frage auseinandersetzen, wie wir den Weg zur CO2-Neutralität politisch und industriell gestalten – mit Blick auf den Klimaschutz, aber auch auf die Beschäftigungs- und Sozialpolitik“, sagte Franz. Wenn sich in den kommenden zwölf bis 14 Monaten nichts ändere, gehe das Zeitalter der Verbrenner in Europa zu Ende, und Deutschland verliere die Kompetenz, diese Art von Antrieben zu entwickeln. „In den übrigen Märkten der Welt wird es aber nirgendwo nur Elektroautos geben, es wird immer eine Mischung sein – sowohl in China als auch in den USA“, erklärte Franz. „Die europäische Industrie verliert so Anschluss und Exportmärkte.“
Zu diesen Aussichten kommen nun die aktuellen Belastungen durch die handelspolitischen Spannungen in der Welt. „Alles hat sich dramatisch verändert“, sagte Franz mit Blick auf die Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump. Weil die Kunden von Mahle in Nordamerika, Japan und Südkorea wegen der angekündigten Zölle wohl weniger Autos bauen, werde Mahle in diesem Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag weniger umsetzen. „Das können wir nicht so einfach verdauen, und das wird unser Ergebnis in diesem Jahr natürlich belasten.“ Insgesamt plane Mahle, die Warenströme von Vorprodukten in die USA und nach China weiter zu reduzieren und bestehende Kapazitäten in den USA stärker auszulasten. Die Produkte für den nordamerikanischen Markt stellt Mahle zu zwei Dritteln in Mexiko und zu einem Drittel in den USA her. „Wir glauben nicht, dass diese Balance grundsätzlich anders wird. In der aktuellen Gemengelage mit sich fast täglich ändernden Bedingungen sind fundierte Entscheidungen aber ohnehin schwierig“, sagte Franz.
Hinsichtlich der Frage, wie Mahle die zurückgehenden Umsätze bei Kolben und Zylindern ausgleichen kann, muss Arnd Franz also in zweierlei Hinsicht warten: auf die neue Regulierung der EU und die aktuelle Entwicklung in Washington. Eine genaue Prognose für den Verlauf des Geschäftsjahres 2025 hat der Mahle-Chef wegen dieser Unsicherheiten deshalb gar nicht erst ausgegeben.