Soll der Bundestag AfD-Abgeordneten zugestehen, den Vorsitz in Ausschüssen zu übernehmen? In der Union mehren sich die Stimmen, die darauf hoffen, der Partei auf diesem Wege die Möglichkeit zu nehmen, sich als „Märtyrer“ inszenieren zu können.
So sieht es auch der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul (CDU). „Der AfD die Ausschussvorsitze zu verweigern, hat dazu geführt, dass sie ihren Märtyrerstatus aufrechterhalten können“, sagte er am Dienstag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Deswegen wäre ich dafür, AfD-Kandidaten für Ausschussvorsitze zu wählen, wenn sie in der Vergangenheit nicht negativ aufgefallen sind.“
Er verwies darauf, dass die AfD die zweitgrößte Fraktion im Bundestag sei und man diese Realität anerkennen müsse. „In die neue Geschäftsordnung wollen wir explizit aufnehmen, dass sie auch wieder abgewählt werden können, wenn sie sich nicht korrekt verhalten.“
Kretschmer: „AfD mit Sachpunkten stellen“
Ähnlich äußerte sich der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). „Die AfD ist eine rechtsextreme Partei, sie will die Demokratie abschaffen“, sagte er am Dienstag im Morgenmagazin von ARD und ZDF. „Und man muss schon sagen, wenn man sich auch die Personen anschaut, dann bekommt man größte Sorge“, so Kretschmer weiter.
Auf der anderen Seite sei es in den vergangenen zehn Jahren nicht gelungen, diese Partei zu stellen. Sie müsse „raus aus der Märtyrerrolle, man muss sie tatsächlich auch mit Sachpunkten stellen“. Es könne keine Zusammenarbeit geben, keine Koalition, „aber die eigentlichen demokratischen Rechte, die Rechte, die jeder Abgeordnete, jede Partei in einem Parlament hat, die müssen auch für diese Partei gelten, weil man ansonsten sie stark macht und nicht schwächt“, sagte Kretschmer.
Auslöser der Debatte war eine Äußerung des stellvertretenden Unionsfraktionsvorsitzenden Jens Spahn gewesen. Am Wochenende hatte er in der „Bild“ vorgeschlagen, die AfD bei Abläufen im Parlament, Verfahren in der Geschäftsordnung, in den Ausschüssen und der Berücksichtigung von Minderheits- und Mehrheitsrechten zu behandeln wie jede andere Oppositionspartei.
Es kommt auf einen ordnungsgemäßen Ablauf an
In den Bundestagsausschüssen findet die grundlegende Sacharbeit statt, hier werden die Entscheidungen des Parlaments vorbereitet. Die Besetzung der Ausschüsse muss deshalb die Mehrheitsverhältnisse spiegeln – ein Grundsatz, der für Posten rein organisatorischer Art nicht gilt. Um solch ein Amt handelt es sich beim Ausschussvorsitzenden. Er muss unparteiisch für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Sitzungen sorgen. Die Vorsitzenden bereiten die Sitzungen vor, laden dazu ein, leiten die Geschäfte. Auch ihre Benennung richtet sich üblicherweise nach den Mehrheitsverhältnissen im Parlament, normiert ist hierzu allerdings kaum etwas.
Laut Geschäftsordnung des Bundestages „bestimmen“ die Ausschüsse ihre Vorsitzenden. Traditionell steht der Vorsitz im Haushaltsausschuss der größten Oppositionsfraktion zu. Danach geht es entsprechend den Fraktionsstärken reihum. Ganz überwiegend fanden jahrzehntelang nicht einmal Wahlen statt, die Kandidaten wurden per „Akklamation“ bestimmt, auf Zuruf. Anderes galt schon immer, wenn Ausschussmitglieder Widersprüche erhoben; dann sollten sie wählen dürfen. Relevanz hatte diese Möglichkeit kaum. Das änderte sich, als die AfD 2017 in den Bundestag einzog.
Damals erhielt die Fraktion mehrere Vorsitze. Peter Boehringer wurde Vorsitzender des Haushaltsausschusses, Sebastian Münzenmaier bekam den Vorsitz des Ausschusses für Tourismus und Stephan Brandner wurde – nach einer geheimen Wahl – Vorsitzender des Rechtsausschusses. Zur Wahl kam es damals, weil mehrere Ausschussmitglieder Zweifel an der Eignung des AfD-Mannes für das Amt des Vorsitzenden hatten.
Für wüste Auftritte bekannt
Brandner war einst Mitglied des offiziell aufgelösten völkisch-nationalistischen Flügels um Björn Höcke und schon lange für wüste Auftritte bekannt. Ehe er in den Bundestag einzog, war er Landtagsabgeordneter in Thüringen gewesen und hatte dort innerhalb von drei Jahren rund 30 Ordnungsrufe erhalten. Bei der Wahl zum Vorsitzenden erhielt er Anfang 2018 im Rechtsausschuss dennoch die nötige Mehrheit. Im November 2019 wurde er wieder abgewählt. Anlass waren Brandners verhöhnende Reaktionen auf den rechtsextremistischen Anschlag in Halle gewesen.
Die AfD versuchte, sich vor dem Verfassungsgericht gegen die Abwahl zu wehren. Doch vergangenen September stellten die Richter klar, dass die Fraktion keinen Anspruch auf den Vorsitz eines Ausschusses habe. Es gehe bei diesen organisatorischen Ämtern schließlich nicht um die „inhaltliche Vorformung der parlamentarischen politischen Willensbildung“. Weder könne die AfD verlangen, dass einer ihrer Abgeordneten zum Vorsitzenden gewählt werde, noch, dass ein Gewählter sein Amt behalte.
In der nun ausgelaufenen Wahlperiode hätten der AfD den Gepflogenheiten zufolge drei Vorsitze zugestanden: im Innen-, Gesundheits- und Entwicklungsausschuss. Auf Antrag der Regierungsfraktionen wurde in deren konstituierenden Sitzungen – wie im Falle Brandners – gewählt. Dabei erhielt keiner der AfD-Kandidaten die erforderliche Mehrheit.
Die Vorsitze blieben vakant; die stellvertretenden Vorsitzenden leiteten die Ausschüsse. Auch dagegen zog die AfD vor das Verfassungsgericht, blieb aber ebenfalls erfolglos. Die Richter stellten klar, dass der Bundestag selbst regeln könne, wie er die Posten vergebe. Wahlen abzuhalten, sei nicht zu beanstanden. Und ein Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis gebe es naturgemäß nicht.
Rechtlich steht nach den Karlsruher Entscheidungen auch dem neuen Bundestag nichts im Wege, die Ausschussvorsitzenden per Wahl bestimmen und die AfD gegebenenfalls leer ausgehen zu lassen. Ob die Parlamentsmehrheit das politisch sinnvoll findet, muss sie selbst entscheiden.