Warum ein Kleinunternehmer in Brooklyn wegen der Zölle um seine Existenz fürchtet

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Irgendwo im Pazifik ist gerade ein Containerschiff mit Yair Reiners Küchenutensilien unterwegs. Es handelt sich um Silikonaufsätze für Bratpfannen, die verhindern sollen, dass die Herdplatte nach dem Kochen voller Spritzer ist. Exakt 15.428 dieser „Frywalls“ sind auf dem Weg von China in die USA. Das Schiff hat China am 8. April verlassen, sechs Tage nachdem US-Präsident Donald Trump neue oder zusätzliche Einfuhrzölle für die meisten Länder der Welt angekündigt hat. Es wird an einigen Häfen an der amerikanischen Westküste Station machen, fährt dann weiter durch den Panamakanal und den Golf von Mexiko, den Trump gerade in Golf von Amerika umbenannt hat, und soll schließlich um den 8. Mai herum sein Ziel an der Ostküste erreichen.

Dann kommt der Moment, an dem Reiner Zoll bezahlen muss, denn sonst wird die Ware am Hafen nicht freigegeben. Wie viel das sein wird, weiß er noch nicht. Er hofft, dass er glimpflich davonkommt und der Zoll am Abfahrts- und nicht am Ankunftsdatum bemessen wird. Da die höheren Zölle für Importe aus China erst am 9. April offiziell wirksam wurden, müsste er dann 20 Prozent zahlen. Sollte die Ankunft maßgeblich sein, drohen sich seine Abgaben zu vervielfachen, da der Handelskonflikt zwischen den USA und China immer weiter eskaliert ist.

Trump hat den Zoll für Importe aus China erst auf 54, dann auf 104 und zuletzt auf 145 Prozent angehoben, China hat jedes Mal mit umgekehrten Zollerhöhungen zurückgeschlagen. Bis Reiners Ware angekommen ist, vergeht noch einiges an Zeit, in der sich die Lage weiter zuspitzen könnte. „Wir ändern unsere Handelspolitik so schnell wie in einem Videospiel,“ sagt der 55 Jahre alte Unternehmer frustriert. Der gegenwärtige Mangel an Planungssicherheit sei „zermürbend“.

Ganz neue Kalkulationen sind nötig

Der von Trump befeuerte globale Handelsstreit stellt in diesen Tagen viele Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen, und dazu gehört auch Reiners Einmannbetrieb im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Er muss jetzt für sein simples Kücheninstrument auf einmal ganz neue Kalkulationen anstellen. Anders als etwa der Elektronikgigant Apple mit seinem überwiegend in China gefertigten iPhone kommt er bisher auch nicht in den Genuss einer Ausnahmeregelung, die Zölle drohen ihn also mit voller Wucht zu treffen.

Während Apple weitaus größeren finanziellen Spielraum hätte, um sich an veränderte Verhältnisse anzupassen, geht es für Reiner um die Existenz, und er fragt sich, ob er sein Geschäftsmodell aufrechterhalten kann. Derzeit kostet es ihn 5 Dollar, eine Frywall in China fertigen zu lassen, und er verkauft sie für rund 25 Dollar. In den USA würde sich das Produkt nach seiner Schätzung nicht für unter 20 Dollar herstellen lassen, entsprechend müsste er den Verkaufspreis dramatisch erhöhen, vielleicht auf 80 Dollar. Aber wie viele Menschen würden so viel Geld für einen Spritzschutz bezahlen? Selbst für „den großartigsten Spritzschutz, den die Menschheit kennt“, wie Reiner seine Erfindung selbst nennt.

Das Geschäft mit seinen Frywalls steuert Reiner von seinem Haus im Brooklyner Viertel Park Slope. Es steht in einer von Bäumen gesäumten Straße mit vielen Brownstone-Gebäuden, die typisch für diese malerische Gegend sind. Reiner lebt hier mit seiner Familie, das Haus ist gleichzeitig die Zentrale seines Unternehmens Gowanus Kitchen Lab , und im Keller lagert er Hunderte von Frywalls. Im Wohnzimmer steht ein Pokal, den er 2017 in einem Innovationswettbewerb des Fernsehsenders NBC gewann, sein Spritzschutz wurde damals zum „Next Big Thing“ gekürt. Seit der Markteinführung hat er mehr als 500.000 Stück verkauft, und er sagt, das Geschäft habe bisher „ordentliche Gewinnmargen“ geliefert. „Designed in Brooklyn, Manufactured in China“, heißt es auf den Verpackungen seiner Produkte. Üblicherweise bekommt er vier Lieferungen im Jahr per Containerschiff.

Stolzer Gründer: Yair Reiner und seine  „Frywall“
Stolzer Gründer: Yair Reiner und seine „Frywall“Roland Lindner

Reiner sitzt an seinem Küchentisch und wundert sich über die Widersprüchlichkeit, die nach seiner Meinung in Trumps Zollpolitik zum Ausdruck kommt: einerseits die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, in denen mehr Produkte auf amerikanischem Boden hergestellt wurden, andererseits eine auf Massenkonsum ausgerichtete Mentalität, die ohne billige Fertigung in Ländern wie China kaum zu bedienen sei. „Wir wissen nicht recht, was wir wollen.“ Wer in China produzieren lasse, werde oft als gierig hingestellt, und es heiße: „Warum macht ihr eure Sachen nicht einfach in den USA?“ Aber jedes Unternehmen müsse sich überlegen, wie viel Verbraucher für seine Produkte zu zahlen bereit seien, und dann sei die Fertigung in Amerika eben oft keine realistische Option.

China biete auch abgesehen vom Preisaspekt Vorteile. Reiner sagt, dort werde das Silikon hergestellt, das er für sein Produkt brauche, und die notwendige Ausrüstung für dessen Fertigung. All das gebe es heute in den USA nicht. Das Land sei ein in vielerlei Hinsicht großartiger Ort, um ein Unternehmen zu gründen und aufzubauen. Es habe aber nicht die besten Voraussetzungen, um hier auch zu produzieren.

In seine Unternehmerkarriere ist Reiner „mit ein bisschen Glück hineingestolpert“, wie er sagt. Die Idee kam ihm 2015 beim Braten einer Entenbrust, was eine „explosive Sauerei“ auf seiner Herdplatte hinterließ. Als selbst erklärter „Neat Freak“, also eine in puncto Sauberkeit und Ordnung äußerst penible Person, nahm er sich vor, das nicht noch einmal passieren zu lassen. Herkömmliche Siebe zum Spritzschutz mochte er nicht, also überlegte er sich für die nächste Entenbrust eine Konstruktion mit Aluminiumfolie, die er zu einem Trichter formte und am Rand der Pfanne befestigte. „Ich habe nicht daran gedacht, etwas zu erfinden, ich wollte einfach nur ein Problem lösen.“

Der begeisterte Hobbykoch hat eine praktikable Lösung

Der Trichter hielt tatsächlich die Spritzer in Schach. Reiner dachte sich, bestimmt müsse es schon ein Produkt auf dem Markt geben, das nach diesem Prinzip funktioniere, konnte aber keines finden. Dann recherchierte er, welche Patente rund um Spritzschutz existierten, und fand erstaunlich viele. „Amerikaner versuchen seit weit mehr als 100 Jahren dieses Problem zu lösen.“ Keine dieser Erfindungen hatte aber seine Trichterform, und gerade viele der älteren Konstruktionen waren sehr umständlich und klobig.

Ihm kam es vor, sie seien von Männern erdacht worden, die nie selbst kochten. Als begeisterter Hobbykoch hielt er sich für geeigneter, eine praktikable Lösung zu entwickeln und daraus ein vermarktbares Produkt zu machen, also wagte er den Sprung ins Unternehmertum. Die Entscheidung wurde ihm dadurch erleichtert, dass er zu dieser Zeit seine Stelle in der Finanzsparte des Mischkonzerns General Electric im Zuge einer größeren Entlassungsrunde verlor.

Reiner fing an, Prototypen zu bauen, der erste wog noch mehr als zwei Kilogramm. Als Material wählte er eine Form von Silikon, weil es hitzebeständig und lebensmittelecht ist. Nachdem er das endgültige Design hatte, war es die größte Herausforderung, einen Hersteller zu finden. Erst versuchte er es bei amerikanischen Unternehmen, stieß dort aber auf wenig Interesse. Dann richtete er seinen Blick nach Asien, wo er sich erst einige Abfuhren einholte, dann aber seinen ersten Partner in Taiwan fand. Mit diesem Hersteller arbeitet er bis heute zusammen.

Sechs bis zehn Dollar an Amazon

Daneben suchte er sich aber auch in China einen Auftragsfertiger, dort ist die Produktion für ihn um 20 bis 25 Prozent billiger als in Taiwan. Mit dem zusätzlichen Standbein in China wollte er höhere Kosten an anderer Stelle in seinem Netz an Partnern wettmachen. Allein an den Onlinehändler Amazon, der für ihn ein wichtiger Vertriebskanal und Dienstleister ist, zahlt er nach eigener Aussage mittlerweile für jede verkaufte Frywall zwischen sechs und zehn Dollar.

Kunden gewann Reiner recht schnell. Seinen ersten Vertriebspartner, einen auf Geschenkideen spezialisierten Onlinehändler, fand er auf einer Messe, und wie er sagt, habe sich der Spritzschutz dort aus dem Stand glänzend verkauft. Einen weiteren Bekanntheitsschub brachte das Fernsehen, erst die „Next Big Thing“-Trophäe von NBC und dann 2018 ein Auftritt in der populären Fernsehshow „Shark Tank“ („Haifischbecken“), dem Vorbild für „Die Höhle der Löwen“ in Deutschland, wo Start-up-Unternehmer ihre Produkte zeigen und um Investoren werben. Seither macht Reiner solide Geschäfte mit seiner Frywall, vor allem online. Sein Unternehmen betreibt er im Wesentlichen allein. Gelegentlich hilft die Familie mit, ansonsten arbeitet er mit externen Dienstleistern wie Produktdesignern und Patentanwälten.

Reiner ist in Israel geboren und zog mit seinen Eltern nach Kalifornien, als er sieben Jahre alt war. Seiner Familie gehörten dort ein Feinkostladen und eine Autowerkstatt, in denen er mithalf. Er studierte Literatur in Los Angeles und ging dann nach New York, wo er erst eine Zeit lang in der Medienbranche arbeitete, bevor er noch einen Wirtschaftsabschluss machte. Anschließend arbeitete er zehn Jahre als Analyst in der Investmentbank Oppenheimer, bis ihn GE Capital rekrutierte, seine letzte Station vor der Gründung seines heutigen Unternehmens.

Kosten würden sich mehr als verdoppeln

Sollte der Zoll von 145 Prozent für Importe aus China Bestand haben, würde das die Kosten für jede Frywall von fünf auf mehr als zwölf Dollar anheben. Reiner schätzt, er müsste dann wohl 40 statt 25 Dollar für jedes Exemplar verlangen, was seine Verkaufsmengen um 30 bis 50 Prozent schrumpfen lassen könnte. „Ich vermute, die Nachfrage nach der Frywall ist sehr preiselastisch.“ Welche Optionen sieht er also? Er könnte die Fertigung wieder stärker auf seinen Partner in Taiwan konzentrieren oder versuchen, Auftragshersteller in anderen Ländern wie den Philippinen zu finden.

Aber was ist, wenn sich die Zölle wieder abrupt ändern, so wie sie das in den vergangenen Tagen wiederholt getan haben? Vielleicht werden die Zölle für China doch wieder reduziert oder diejenigen für Taiwan und die Philippinen wieder erhöht? Reiner findet, die Zollpolitik unter Trump sei „kapriziös“ und erlaube keine klaren Planungshorizonte. „Diese Unsicherheit versetzt Unternehmer wie mich im Moment in eine Schockstarre.“ Er habe auch schon über das Extremszenario nachgedacht, sein Geschäft mit der Frywall zu verkaufen, vielleicht an ein größeres Unternehmen.

Reiner hat sich viele Gedanken darüber gemacht, ob es möglich wäre, eines Tages ein Produkt wie seinen Spritzschutz zu einigermaßen wettbewerbsfähigen Kosten in den USA herzustellen. Er hält es grundsätzlich nicht für ausgeschlossen. Aber dazu müsste auch die ganze Lieferkette inklusive Herstellungsmaterial und Fabrikausrüstung nach Amerika verlagert werden, und das würde Jahre in Anspruch nehmen. Eine solche Übergangszeit könne er nur mit einem wirtschaftlich gesunden Unternehmen überstehen, was durch Zölle aber unmöglich gemacht werde. Trumps Handelspolitik sei wie eine „Abrissbirne“: „Wir zerstören, was wir heute haben.“ Reiner bezweifelt auch, dass Amerikaner sonderlich erpicht auf einen Job in der Produktion von Frywalls wären. Die Arbeit sei zwar weder schmutzig noch körperlich anstrengend, aber monoton. „Ich denke, viele Leute würden lieber bei Starbucks arbeiten.“

Vor Trumps Zöllen sah sich Reiner auf Expansionskurs. Er entwickelt gerade ein zweites Küchenprodukt, für das er eigentlich in einigen Monaten eine Kampagne auf der Finanzierungsplattform Kickstarter geplant hatte. Das ist nun in der Schwebe. Das Produkt soll in Taiwan gefertigt werden, aber angesichts des Hin und Her in den vergangenen Wochen lässt sich heute kaum vorhersagen, wie hoch dafür letztlich die Zölle sein werden. Ganz abgesehen davon, dass Reiner fürchtet, das unsichere wirtschaftliche Umfeld könnte die Ausgangslage für die Einführung eines neuen Produkts erschweren.

Reiners Ärger über die Zölle ist umso größer, weil sie nach seiner Auffassung mit Ungleichbehandlung verbunden sind. Die vor wenigen Tagen bekannt gewordenen Ausnahmeregeln für elektronische Geräte wie Smartphones findet er „ex­trem unfair“. Sie zeigten, dass ein privilegierter Teil der Wirtschaftswelt in der Lage sei, die Politik zu seinen Gunsten zu beeinflussen. „Ich wünschte, kleine Unternehmen hätten den gleichen Zugang zur Regierung wie Milliardäre. Aber offensichtlich gelten wir nicht als so wichtig.“