Interview mit Karin Prien: „Enges Ressortdenken aufbrechen“

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Frau Ministerin, warum war es der Union so wichtig, Bildung und Familie in einem Ministerium zusammenzubringen?

Auch wenn zurzeit Themen der Außen- und Wirtschaftspolitik im Zentrum der politischen Debatte stehen, so ist die Frage, wie unser Bildungssystem den ver­änderten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen gerecht werden kann, zentral für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesellschaft. Wir wissen inzwischen, dass der Schlüssel für bessere Bildung im Bereich der frühkindlichen Bildung liegt. Aber auch bei den Familien und in einer besseren Kooperation zwischen Kita, Schule und Kinder- und Jugendhilfe. Insofern ist die Zusammenlegung dieser Bereiche konsequent und bietet riesige Chancen für unser Land.

Im Koalitionsvertrag ist das Bildungsthema noch wie bisher bei Forschung und Wissenschaft angesiedelt. Wann ist die Entscheidung gefallen, den Bildungsbereich ins Familienministerium zu holen?

Wir haben diese Zusammenlegung schon in unserem Grundsatzprogramm beschlossen, aber auch in unserem Kinder-Zukunfts-Paket, das Silvia Breher und ich gemeinsam erarbeitet haben. Es geht um einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem das Kind von Anfang an im Zentrum steht. Nur dadurch können wir auch zukünftig das bundesrepublikanische Aufstiegsversprechen einlösen. Um gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken, braucht man neben Änderungen der Einstellung auch sichtbare Strukturveränderungen in Politik und Verwaltung. Deshalb war uns das als CDU schon lange wichtig, Verantwortung in einem zusammengelegten Bildungs- und Gesellschaftsministerium zu übernehmen. Ich hatte den Eindruck, dass die Zusammenlegung auch bei Kollegen von der SPD auf fruchtbaren Boden fiel. Und auch Friedrich Merz war das sehr wichtig. Jedenfalls hat er das in den Gesprächen über die Ressortverteilung sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.

Können Sie sagen, für welchen Bildungsabschnitt das Familienministerium künftig zuständig sein soll?

Die Fragen der Ressortaufteilung im Detail werden im Augenblick noch beraten, und wir müssen erst noch die Entscheidung der Parteien über den Koalitionsvertrag abwarten. Aber es wäre zumindest sinnvoll, die gesamte Bildungskette in den Blick zu nehmen bis zum Ende der beruflichen Bildung. Welches Ministerium für den Hochschulbereich zuständig ist, ist noch nicht abschließend geklärt.

Die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien, im Kaminzimmer der F.A.Z.-Parlamentsredaktion in Berlin
Die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien, im Kaminzimmer der F.A.Z.-Parlamentsredaktion in BerlinJulia Zimmermann

Halten Sie es nicht für undenkbar, dass der Hochschulbereich ins Familien­ministerium gelangt?

Es gibt gute Argumente dafür, die Hochschulen in ihrer Doppelfunktion von Forschung und Lehre beieinanderzulassen. Allerdings müssen wir insgesamt, und nicht nur bei Bildung und Erziehung, das enge Ressortdenken aufbrechen. Interministerielle Zusammenarbeit muss in der neuen Bundesregierung zu einer Selbstverständlichkeit werden. Das haben wir uns auch vorgenommen in den Über­legungen zur Reform von Staat und Verwaltung. Für die Lehrerbildung und die Bildungsforschung brauchen wir eine enge und stärker praxisorientierte Zusammenarbeit zwischen Bildung und Hochschule und Forschung. Das geht in einem Ministerium, aber es muss zukünftig auch über mehrere Ministerien hinweg ge­lingen.

Wo hat die Union sich bei der Wissenschaftspolitik durchgesetzt?

Bei Bildung und Wissenschaft haben wir als Union weitestgehend unsere Vor­stellungen verwirklichen können. Deshalb bin ich sehr zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis. Insgesamt mehr Freiheit zuzulassen, übrigens auch in der Wissenschaft, das alles trägt die klare Handschrift von CDU und CSU. Auch dass wir uns einig sind, Wissenschaftsfreiheit zum Markenkern der Politik in einem freien, liberalen Deutschland zu machen. Allerdings ist ein Koalitionsvertrag keine Trophäensammlung, sondern es geht darum, miteinander Rahmenbedingungen und neue Wege unter Bewahrung dessen, was sich bewährt hat, zu ermöglichen.

Sie haben ja im Koalitionsvertrag ein Tausend-Köpfe-Programm für internationale Forscher aus Ländern mit bedrohter Wissenschaftsfreiheit angekündigt. Können Sie dieses Programm näher beschreiben?

Es geht darum, tausend Köpfe in vier Jahren zu gewinnen, im Bereich der Spitzenforschung, nicht zuletzt in den Schlüsseltechnologien. Und natürlich laden wir Wissenschaftler aus aller Welt ein, unter guten Rahmenbedingungen bei uns zu forschen. Aber es geht auch um Nachwuchswissenschaftler. Wir müssen dabei im Blick haben, dass für Wissenschaft­lerinnen und Wissenschaftler nicht nur die eigene Professur oder die eigene Anstellung, sondern auch die Rahmenbedingungen etwa für Partnerinnen und Partner und die Ausstattung der jeweiligen Forschungsbereiche von Bedeutung sind. Wir müssen schnell sein, agil handeln und die bestehenden Strukturen gut nutzen.

Würden Sie sich wünschen, dass die Bundesländer einen Bildungsplan für den frühkindlichen Bereich beschließen mit klaren Zielen zur Schulvorbereitung?

Ich würde mir wünschen, dass die Kon­tinuität von der frühkindlichen Bildung bis zum Ende der vierten Klasse noch stärker in den Fokus gerückt wird. In der kommenden Legislaturperiode wird es von entscheidender Bedeutung sein, dass die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern unter Achtung der jeweiligen föderalen Zuständigkeiten besser funk­tioniert. Ein solcher Bildungsplan von null bis zehn müsste auch die Eltern mit in den Blick nehmen. Man muss die Eltern stärker in die Verantwortung nehmen, aber auch stärker in die Lage versetzen, ihren Erziehungsauftrag unter den veränderten Rahmenbedingungen wahrzunehmen. Bildungsprozesse zu ermöglichen, ist eine gemeinsame Aufgabe von Eltern, Kita und Schule. Es zeigt sich immer mehr, dass starke Familien ein entscheidender Baustein für eine gelingende Bildungsbiographie, aber auch für mündige Bürger und starke Demokraten sind.

Im Koalitionsvertrag haben Sie besonderen Wert auf die Sprachdiagnostik gelegt. Verpflichtende Sprachtests gibt es schon lange, nur folgt daraus nicht in allen Fällen eine verpflichtende Sprach­förderung. Wie wollen Sie die Länder dafür gewinnen, konsequenter zu sein?

Verpflichtende Sprachtests oder Sprachdiagnostik allein haben noch kein Kind besser auf die Schule vorbereitet. Es geht jetzt darum, wirklich gute Sprachdiagnostik vorzuhalten und den Ländern zur Verfügung zu stellen und dann eine ver­bind­liche Sprachförderung für ganz Deutschland zu vereinbaren, deren Wirkung wissenschaftlich belegt ist. Der Bund kann dabei immer nur unterstützen und Instrumente bereitstellen. Ich wünsche mir, dass Bund und Länder sich strategisch aufstellen und diesen Anspruch über unterschiedliche Wege, aber messbar effizient umsetzen.

Dagegen werden sich viele Erzieher auch wehren, weil sie den Kindergarten nicht als Bildungsinstitution sehen wollen. Wie möchten Sie diese zum Umdenken bringen?

Die große Kunst wird sein, die unterschiedlichen Kulturen, die es im Kita- und im Schulbereich gibt, miteinander zu versöhnen. Die Kita muss auch auf die Schule vorbereiten. Solche Vorläuferfähigkeiten zu entwickeln, ohne auf die Besonder­heiten des frühkindlichen Bereichs zu verzichten, ist entscheidend.

Wie soll das Schlüsselthema Bildung neben Jugend, Senioren und vielen anderen Zuständigkeiten des Familienministeriums gestärkt werden?

Die künftige Hausleitung wird der frühkindlichen Schwerpunktsetzung entsprechenden Nachdruck verleihen. Insgesamt ist das neue Ministerium das Gesellschaftsministerium, in dem alle Themen rund um gesellschaftlichen Zusammenhalt, Generationengerechtigkeit und Demokratiebildung angesiedelt sind. Das Mi­nisterium sollte Impulse in Richtung Zusammenhalt und Generationengerechtigkeit aus der Mitte der Gesellschaft geben, vielleicht weniger von den Rändern und nur aus der Minderheitenperspektive, wie in den vergangenen Jahren manchmal der Eindruck entstand.

Der Bildungssoziologe Aladin El-Mafaalani hat vorgeschlagen, Rentner zu fragen, ob sie bereit sind, für eine gewisse Zeit eine Patenschaft für ein Schulkind zu übernehmen. Ist das für Sie ein denkbares Modell?

Diejenigen, die sich jetzt auf das Pensionsalter oder Rentenalter zubewegen, haben so viel beizutragen zur Entwicklung un­serer Gesellschaft. Das gilt auch für die Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen mit schwierigen Startbedingungen, dass ich mir das sehr gut vorstellen könnte, deren Kompetenz und Erfahrung besser zu nutzen. Wir müssen in unserem Land eine neue Diskussion über den Generationenvertrag führen, weil die jüngere Generation vor Herausforderungen und mitunter auch größeren Belastungen stehen wird als die Vorgängergeneration. Die alte Regel der Bundesrepublik, dass jede Generation es einfacher hat als ihre Vorgängergeneration, gilt nicht mehr uneingeschränkt. Generationengerechtigkeit sollte daher heute auch bedeuten, dass ältere Menschen die junge Generation im Rentenalter nach ihren Möglichkeiten unterstützen. Wenn Sie mit 67 Grundschülern helfen, besser Deutsch und Mathematik zu beherrschen, dann sorgen Sie automatisch selbst dafür, dass von den Beitragszahlern mehr in die Rentenkasse eingezahlt wird, wenn Sie 87 sind.