Große Pläne zur Reparatur der Riester-Rente

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Die künftige Bundesregierung werde „die Alterssicherung für alle Generationen auf verläss­liche Füße stellen“. So beginnt das betreffende Kapitel im geplanten Koa­litionsvertrag. Aber der weitere Vertragstext löst dies nach weit verbreiteter Ansicht nicht ein. „Was fehlt, ist die dringend erforderliche Rentenreform, um das Rentensystem finanzierbar zu halten“, sagt Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Schwarz-Rot will den Demographie- oder Nachhaltigkeitsfaktor bis 2031 ausschalten, damit die Renten stärker steigen. Und der Ausbau der sogenannten Mütterrente fügt weitere Mehrausgaben in Milliardenhöhe hinzu.

Wenn der angehende Kanzler Friedrich Merz (CDU) darüber spricht, klingt das aber anders. Nach seiner Darstellung sind beide Vorhaben sozusagen nur Zwischenschritte auf dem Weg zu einem Politikwechsel. Als Antwort auf die große demographische Herausforderung – weniger Zahler, mehr Rentner – „haben wir uns festgelegt: Bis 2031 muss es eine große Rentenreform geben“. So stellte er es jüngst im ARD-Fernsehen dar. „Wir bauen in der Zeit dann übrigens auch eine zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge auf“, erklärte er. Und man werde „die Riester-Rente noch mal reformieren“.

Das lenkt den Blick auf einige weitere Vereinbarungen, die bisher weniger Aufmerksamkeit gefunden haben. Zur staat­lichen Förderung der privaten Zusatzvorsorge (Riester-Rente) steht dort tatsächlich ein beherzter Umbau in Aussicht: Man werde diese „in ein neues Vorsorgeprodukt überführen“ und sie „von bürokra­tischen Hemmnissen befreien“. Und man werde sie „mit dem Verzicht auf zwingende Garantien“ reformieren. Die gesetz­liche Vorgabe, nur Anlagen ohne jedes Verlustrisiko zu fördern, habe die „Riester-Rente kaputt gemacht“, urteilt Merz.

Mehr Raum für Selbstentscheider

Damit folgten der angehende Kanzler und sein geplanter Koalitionsvertrag Ratschlägen, wie sie der Sachverständigenrat in seinem Gutachten von 2023 ausführlich dargelegt hatte. „Neben hohen Abschluss- und Verwaltungskosten spielt die gesetzlich geforderte Beitragsgarantie eine wesentliche Rolle für die niedrige Rendite der Riester-Renten“, hieß es dort. Das Kapital kann kaum in Aktien investiert werden. Aber gerade bei langfristiger Anlage, so die „Wirtschaftsweisen“, lasse sich das Verlustrisiko durch professionelle Diver­sifizierungsstrategien minimieren. „Die Verpflichtung zur renditemindernden Beitragsgarantien“ gehöre „abgeschafft“. Die Bürger könnten dann je nach individueller Risikoneigung selbst entscheiden.

Anlass zur Skepsis liefert ein Blick in die Koalitionsverträge von 2018 und 2021: Auch sie sahen vor, die lange bekannten Mängel der Riester-Rente zu beheben, aber es passierte nichts. Einen kleinen Schritt in ähnliche Richtung hatten Uni­on und SPD jedoch schon 2017 mit der Betriebsrente riskiert. Für diese „zweite Säule“ der Alterssicherung erlaubten sie das Abschließen von Tarifverträgen ohne garantierte Rentenhöhe, um damit Spielräume für renditestärkere Aktienanlagen zu schaffen. In einigen Branchen, etwa der Chemieindustrie, nutzen die Sozialpartner diese Chance für die Beschäftigten. Die IG Metall, die größte deutsche Gewerkschaft, begab sich dagegen in Fundamentalopposition dazu. Auch der neue Koalitionsvertrag sieht vor, die Betriebsrente zu stärken.

„Generationenkapital“ verschwindet im Archiv

Außerdem hat die Union ihre „Frühstartrente“ im Vertrag untergebracht: Für schulpflichtige Kinder bis zum 18. Lebensjahr zahlt der Staat künftig jeden Monat zehn Euro auf ein Vorsorgekonto. Damit haben sie schon zum Berufsstart den ersten kleinen Baustein für ihre spätere Rente, zugleich lädt das Konto zu weiterer Ei­genvorsorge sein.

Neben Grundsatzkritik an den Rentenplänen erntet Schwarz-Rot dafür auch etwas Lob. Das Deutsche Aktieninstitut, das für eine stärkere Aktienkultur eintritt, sieht darin begrüßenswerte Schritte auf dem Weg, „den Kapitalmarkt zur Stabilisierung aller drei Säulen der Altersvorsorge zu nutzen“.

Für die erste Säule, die gesetzliche Rente, ist das nun aber wieder abgeblasen. Das „Generationenkapital“, mit dem die FDP in der Ampelkoalition eine neue Finanzierungsquelle für die gesetzliche Rente erschießen wollte, verschwindet vorerst im politischen Archiv. Es hatte durch Erträge eines Kapitalstocks Teile jener Lücke auffüllen sollen, die sich durch das ungleiche Verhältnis von Rentnern und Zahlern öffnet. Der neue Koalitionsvertrag sieht nur vor, die Mehrkosten durch Mütterrente und Stilllegen des Demographiefaktors aus Steuern statt Beiträgen zu finanzieren.

Beitragslast dürfte auf 45 Prozent des Bruttolohns steigen

Um welche Beträge geht es dabei? Das Stilllegen des Demographiefaktors würde den Bundeshaushalt in den sechs Jahren bis 2031 mit insgesamt etwa 25 Milliarden belasten, wenn man Zahlen des Arbeitsministeriums zugrunde legt. Und die weitere Erhöhung der Mütterrente wird mit knapp fünf Milliarden Euro im Jahr veranschlagt. Insgesamt geht es also um mehr als 50 Milliarden Euro zusätzliche Rentenausgaben bis zum Jahr 2031.

Maßnahmen gegen den ohnehin be­vor­ste­henden Anstieg der Beitragslast für Beschäftigte und Arbeitgeber sind aber nicht verabredet. Das Ministerium erwartete für die neue Legislaturperiode schon bisher ei­nen Anstieg des Rentenbeitragssatzes von heute 18,6 Prozent auf 20 Prozent des Bruttolohns. Da zu­dem weitere Erhöhungen der Krankenkassen- und Pflegebeiträge zu erwarten sind, dürfte der Gesamtbeitragssatz von heute gut 42 Prozent bis dahin auf 45 Prozent des Bruttolohns vorrücken. Und falls die Regierung feststellt, dass ihr Etat die nötigen Mittel für zusätzliche Rentenzuschüsse nicht hergibt, könnte es noch mehr werden.

Neujustierung nach 2031

Die Deutsche Rentenversicherung hat die Vorhaben zwar insgesamt vorsichtig kommentiert. Eine Sorge machte ihre Präsidentin Gundula Roßbach aber deutlich: Es sei darauf zu achten, „dass die zugesagte Steuerfinanzierung für die vereinbarten zusätzlichen Leistungen auch tatsächlich erfolgt“.

Hat Merz etwa mit seinem Ausblick auf eine „große Rentenform“ nur die Änderungen an der privaten und betrieblichen Vorsorge gemeint? In der ARD-Sendung „Caren Miosga“ bemühte er sich, einen Eindruck von Reformeifer zu vermitteln, der auch gesetzliche Rente erfasst: Zwar werde jetzt erst einmal „das Rentenniveau bis einschließlich 2031 bei 48 Prozent festgeschrieben“. Aber „nach 2031 wird diese Relation neu justiert“, sagte der angehende Kanzler.

Bei näherer Betrachtung ist das kein echtes Reformversprechen. Denn eigentlich ist gar keine Gesetzesänderung nötig, um ein solches „Neujustieren“ zum Schutz der jüngeren Generation vor finanzieller Überlastung zu erreichen – es steht heute schon im Gesetz. Das „Festschreiben des Ren­ten­ni­ve­aus“ schaltet ebendiesen Schutzmechanismus erst einmal aus. Träte er 2032 wieder in Kraft, wäre das keine Reform, sondern die Rückkehr zur heutigen Gesetzeslage.

Festgeschriebener Wert lässt Renten mit Löhnen steigen

Dieser Schutzmechanismus ist der Demographie- oder Nachhaltigkeitsfaktor in der Formel zur Berechnung der jähr­lichen Rentenerhöhung; die rot-grüne Koalition hat ihn 2003 eingefügt: Gibt es mehr Rentner und weniger Zahler, dann sorgt er dafür, dass die Renten etwas weniger steigen als die Löhne. Er ist bisher so justiert, dass die jüngere Generation der Zahler etwa drei Viertel der demographisch bedingten Finanzierungslast trägt, ein Viertel der Last tragen Rentner durch den verlangsamten Anstieg ihrer Renten.

Die technische Folge derart gedämpfter Rentenerhöhungen ist allerdings, dass die abstrakte Kenngröße „Rentenniveau“ (die Relation von Renten und Löhnen) sinkt. Schreibt man stattdessen im Gesetz deren heutigen Wert von 48 Prozent fest, dann müssen die Renten immer mindestens so stark steigen wie die Löhne der Arbeitnehmer – egal, was der Faktor sagt und wie hoch die Beitragssätze sind.

Neue Diskussionen kurz vor der nächsten Wahl?

Zum vollständigen Bild gehört freilich, dass der Koalitionsvertrag auch einen einschränkenden Passus enthält: Uni­on und SPD wollen im Jahr 2029 „die tatsächliche Entwicklung des Beitrags und des Bundeszuschusses evaluieren“. Falls alles zu teuer wird, wollen sie also kurz vor der Bundestagswahl 2029 über Einschnitte für Rentner diskutieren. Ob das realistisch ist, wird sich spätestens in vier Jahren zeigen.

Zudem sieht der Koalitionsvertrag vor, eine „Rentenkommission“ einzusetzen. Offenbar hofft Merz, dass sie eine große Reform erarbeitet. Der Vertragstext allein gibt das aber nicht her. Demnach soll diese Kommission lediglich „eine neue Kenngröße für ein Gesamtversorgungsniveau über alle drei Rentensäulen prüfen“. Der jüngste Streit zwischen SPD und Union über die Auslegung ihrer Beschlüsse zum Mindestlohn nährt Zweifel daran, dass aus einem „Prüfauftrag“ für eine „neue Kenngröße“ eine gemeinsam getragene große Rentenreform entstehen kann.