Das war der absolute Tiefpunkt

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Ein Papst, der aus dem Grab vor Gericht gezerrt wird. Ein Konklave, das drei Jahre dauert. Kardinäle, die mit Unrat übergossen werden. Die Skandale der katholischen Kirche sind makaber, skurril, anrüchig – und unzählig.

Papst Stephan VI. ließ seinen Vorgänger Formosus exhumieren, auf einen Thron setzen und nach einem bizarren Schauprozess in den Tiber werfen. Alexander VI., besser bekannt als Rodrigo Borgia, veranstaltete im Vatikan Hurenturniere. Um die Kardinäle zu einer Papstwahl zu zwingen, mussten die Bürger von Viterbo das Dach abtragen.

Die Geschichte der Papstwahlen steckt voller Dramen, Skandale und Machtspiele. Vatikanexperte Stefan von Kempis ist für sein Buch “Weißer Rauch und falsche Mönche” tief in die Welt klerikaler Ränkespiele und nur allzu weltlicher Machtinteressen eingetaucht. Im Interview mit t-online erzählt er von den skandalösesten Fällen.

t-online: Es gibt einige aufsehenerregende Momente in der Kirchenhistorie. Was war für Sie die bemerkenswerteste Geschichte?

Stefan von Kempis: Das Konklave von 1268 bis 1271 in Viterbo, außerhalb von Rom, ist sicherlich spektakulär. Das war das längste Konklave der Geschichte – mehr als 1.000 Tage des Wartens und Ringens um eine Entscheidung. Die Kardinäle wurden damals zusammen mit ihren Assistenten im Bischofspalast der Stadt regelrecht eingesperrt. Doch selbst das half nichts, sie konnten sich einfach nicht einigen. Die Bewohner von Viterbo verloren schließlich die Geduld und griffen zu drastischen Maßnahmen: Sie deckten das Dach des Palastes teilweise ab, sodass Regen, Sonne und Wind den Kardinälen zusetzten. Eine drastische Methode, um die Entscheidung zu beschleunigen.

Warum hat das Konklave in Viterbo so lange gedauert?

Es gab die üblichen Streitpunkte zwischen verschiedenen politischen Lagern: Die Ghibellinen, die den Kaiser unterstützten, gegen die Guelfen, die aufseiten des Papsttums standen. Dann natürlich der Gegensatz zwischen den italienischen und französischen Kardinälen. Und ein Nachwirken der Politik des verstorbenen Kaisers Friedrich II., der das Papsttum herausgefordert hatte. Aber all das gab es in anderen Konklaven auch.

Mein Verdacht ist: Den Kardinälen ging es schlicht zu gut. Die päpstliche Kasse stand ihnen offen, und sie hatten wenig Anreiz, eine schnelle Entscheidung zu treffen. Zudem bot Viterbo eine angenehme Umgebung, mit schönen Kardinalsresidenzen und guten Festmöglichkeiten – vielleicht war es also einfach zu gemütlich, um sich zu einigen.

Palazzo dei Papi di Viterbo: Palast der Päpste aus dem 13. Jahrhundert, heute Residenz des Bischofs von ViterboVergrößern des Bildes
Palazzo dei Papi di Viterbo: Palast der Päpste aus dem 13. Jahrhundert, heute Residenz des Bischofs von Viterbo (Quelle: Maria Maar/imago-images-bilder)

Als erstes Konklave im heutigen Sinne gilt jedoch eine andere Papstwahl.

Ja, das von 1241 am Palatinhügel in Rom. Damals wurden die Wähler erstmals bewusst eingeschlossen, um eine rasche Entscheidung zu erzwingen. Doch die Umstände waren geradezu brachial: Die Kardinäle mussten in einer Ruine zwischen den ehemaligen Palästen der römischen Kaiser ausharren. Der Regen tropfte durch die Decken. Es wird berichtet, dass sogar Exkremente von oben herabflossen. Keine besonders würdevolle Situation für Kirchenmänner.

Ein paar Jahrzehnte später gab es erneut eine heikle Papstwahl mit einer besonders verzwickten Ausgangslage. Da man sich nicht einigen konnte, wählte man kurzerhand einen Einsiedler, den kaum jemand kannte. Dieser lebte zurückgezogen in den Abruzzen, einer abgelegenen Hügelregion weit entfernt von Rom.

Was hat die Kirchenmänner dazu bewogen?

Das Kalkül war: Wenn es weder ein Colonna noch ein Orsini – Vertreter zweier rivalisierender römischer Adelsfamilien – werden sollte, dann doch ein echter Outsider. Das Volk war begeistert.

Was wurde aus diesem Eremiten?

Das Experiment scheiterte. Coelestin V. wurde zwar später heiliggesprochen, er war mit dem Amt aber heillos überfordert. Nach kurzer Zeit trat er zurück – ein fast beispielloser Schritt in der Kirchengeschichte.

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Was passierte nach seinem Rücktritt?

Sein Nachfolger, der sehr viel machtbewusster war, ließ Coelestin in Haft nehmen. Er wollte verhindern, dass der alte Papst plötzlich doch noch als Gegenspieler auftaucht – womöglich mit Unterstützung einzelner Kardinäle. Coelestin starb schließlich in dieser Gefangenschaft. Und das Tragische daran: Der Nachfolger, Bonifaz VIII., rechtfertigte diese Maßnahme öffentlich. Auch das wirft ein interessantes Licht auf die politischen Verhältnisse der damaligen Kirche.