China stößt in die Lücken, die Trump gerissen hat

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Im Nordosten Kambodschas, wo der Mekong durch die Provinz Kratie fließt, steht am Flussufer eine Bäuerin und erklärt stolz die gewaltigen Brückenpfeiler neben ihr. 13,5 Meter sei die Brücke breit. 1761 Meter lang soll sie bis September werden, wenn die Chinesen den Zeitplan einhalten. Es sieht gut aus. Das Bauwerk hat die gegenüberliegende Landseite schon erreicht. Bevor die Chinesen morgens zu den gelben Baukränen hinüberlaufen, kaufen sie der Bäuerin stets 20 Maiskolben ab. Im Weidenkorb auf ihrem Motorroller schimmert das Korn.

Die chinesischen Bauarbeiter kommen seit drei Jahren. Sie wohnen in Baracken, vor denen ihr Arbeitgeber, Shanghai Construction Group, gelbe Fahnen mit rotem Firmenlogo in den Boden gerammt hat. Immer öfter sucht der Staatskonzern für seine 50.000 Mitarbeiter Arbeit im Ausland. Eigentlich koste ein Maiskolben acht Cent, sagt die Bäuerin, die ihren Namen nicht nennen will. Doch die Chinesen hätten den Preis auf fünf Cent gedrückt. Man dürfe sie nicht reizen, die seien die Herren hier. Wie zum Beweis fährt ein schwarzer Pick-up-Transporter des Bauherrn mit hohem Tempo auf die Gruppe des Reporters zu. Der kambodschanische Übersetzer drängt zum Aufbruch.

Dass Gäste aus dem Reich der Mitte nicht geliebt werden, ist in Kambodscha nicht anders als im Rest Südostasiens. Doch die Chinesen erhalten Respekt, weil sie nicht mit leeren Händen kommen. Geschätzt 150 Millionen Dollar kostet die Brücke über den Mekong. Sie wird die Fahrzeit von der Provinz Kratie ins nordwestliche Siem Reap, zu den weltberühmten Tempelanlagen von Angkor Wat, um fünf Stunden verkürzen. Das Geld stellt China als Kredit bereit. Als der chinesische Botschafter am Jahresbeginn 2023 zusammen mit Kambodschas Ministerpräsident den ersten Spatenstich setzte, sagte er, die Brücke verbinde „die Herzen des chinesischen und kambodschanischen Volks“.

Xi fordert, „sich dem Protektionismus zu widersetzen“

Auch Chinas Präsident Xi Jinping umgarnt seine Gastgeber, als er in dieser Woche durch Südostasien reiste – wenige Tage nachdem Amerika die Welt mit Strafzöllen schockte und den Handelskrieg mit China eskalierte. Der Chinese stößt in die Lücken, die Donald Trump gerissen hat. In Kambodscha, das Trump mit einem Strafzoll von 49 Prozent belegte, fordert Xi, „sich dem Protektionismus zu widersetzen“. Zuvor war er in Malaysia und in Vietnam. Die Reisen sind seit Langem geplant, doch der Zeitpunkt könnte nicht besser sein.

In Hanoi sagt Xi dem vietnamesischen Staatsführer To Lam, der chinesische Markt bleibe für Vietnams Waren „immer offen“. Trump hat Amerikas Markt hingegen mit einem Zoll in Höhe von 46 Prozent für Vietnam weitgehend verschlossen. Die Zölle sind erst einmal ausgesetzt, der Schock dauert an. Xi fordert die vietnamesischen Gastgeber auf, gemeinsam gegen das „einseitige Mobbing“ aufzustehen. Trump wettert aus dem Weißen Haus, die beiden asiatischen Länder träfen sich mit dem Ziel, „herauszufinden, wie wir die Vereinigten Staaten von Amerika über den Tisch ziehen können“.

Chinesisches Fundament: Arbeiter aus China bauen  eine Straße in Kambodscha.
Chinesisches Fundament: Arbeiter aus China bauen eine Straße in Kambodscha.Hendrik Ankenbrand

In Malaysia ruft Xi chinesische Firmen auf, im Land zu investieren. Trump fordert die Rückkehr der Produktion in die USA, Xi bringt Geld. So sieht das nun aus. Malaysias König Sultan Ibrahim jubelt über das „große Potential für chinesische Unternehmen und Investoren“ im Land. Es geht vor allem um Infrastrukturprojekte wie die 665 Kilometer lange Bahnstrecke an Malaysias Ostküste, die gerade gebaut wird und die Teil von Chinas globaler Infrastrukturinitiative ist.

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert

Eigentlich ist das Verhältnis von China zu Südostasien kompliziert. Die aggressive Expansion der chinesischen Marineflotte, der größten der Welt, im Südchinesischen Meer beunruhigt besonders Anrainerstaaten wie Kambodscha. Über die Gewässer wird ein Drittel des maritimen Welthandels verschifft. Da kommt es den Chinesen zupass, dass die Vereinigten Staaten in dem bettelarmen Land gerade ihre Entwicklungshilfe gestrichen haben.

„Lieber Durchführungspartner“, heißt es in dem Schreiben von USAid vom 26. Februar, das Khun Tharo in seinem Büro in Phnom Penh vorliest. „Diese Förderung ist aus Zweckmäßigkeitsgründen und im Interesse der US-Regierung eingestellt.“ Unten, im Hof der Gewerkschaftsorganisation Center for Alliance of Labor and Human Rights (Central), steht noch der weiße Ford-SUV mit dem Logo der Washingtoner Behörde für Entwicklungszusammenarbeit, die Trump hat praktisch auflösen lassen.

Central bekam von USAid ein paar Hunderttausend Dollar im Jahr. Tharo bezahlte damit in Kambodscha etwa Anwälte für Arbeiter, die in Fabriken Schuhe und Hosen für Amerika und Europa nähen und die klagen, wenn wieder mal der Lohn ausbleibt. An der Wand seines Büros hängen die Logos von Nike, Adidas und Puma. Auch die deutsche Bundesregierung gibt Geld. USAid deckte ein Fünftel der Kosten, doch damit ist nun Schluss. Den SUV muss Tharo bis Ende der Woche zurückgeben, so wie die MacBooks der Mitarbeiter. Der Kampf für Arbeiterrechte in Kambodscha sei „nicht im nationalen Interesse“ der USA, hatte es in dem Brief geheißen.

Entwicklungshilfe kommt nun stärker von China

Tharo sieht Amerikas Interessen in seinem Land sehr wohl in Gefahr. In Kambodscha kommt die Entwicklungshilfe jetzt mitunter von China. Im Februar strich USAid zwei Hilfsprojekten zur Förderung der Lesekompetenz und gesunden Ernährung von Kindern armer Familien die Förderung in Höhe von 40 Millionen Dollar. Danach ließ der chinesische Botschafter sich fotografieren, wie er bei sehr ähnlichen Projekten großzügige Spenden überreichte. Propaganda sei das, sagt Gewerkschafter Tharo.

Die Chinesen wollten mit überschaubaren, aber plakativen Spenden ihr schlechtes Image loswerden, um von Kambodschas Regierung die Erlaubnis zu erhalten, nach der Bekleidungsindustrie auch noch „den Bergbau, das Gesundheitswesen und den Bau von Infrastruktur zu übernehmen“. Tharo selbst erhofft sich kein Geld von China. Chinesische Unternehmer erstickten in Kambodschas Fabriken jeden Versuch einer Arbeitnehmervertretung bereits im Entstehen, sagt er.

Trumps Angriff auf den Welthandel ist die vielleicht größte Chance in Xis langer Amtszeit. Er will China zurück in die Mitte der Weltwirtschaft und der Geopolitik führen. Dazu gehört, im eigenen Hinterhof, in Südostasien, Einfluss zu gewinnen. Von historischen Veränderungen und einer Phase turbulenter Transformation schrieb Xi in einem der Artikel, die in den Gastländern seiner Reise erschienen. Trump beschimpft seine Handelspartner, Xi besucht und umgarnt sie. Schon in den Tagen zuvor hatte Xi in Peking die wichtigsten Parteikader geladen, um über die Beziehungen zu den Nachbarn zu beraten.

Plötzlich sind internationale Journalisten willkommen

Am Mittwoch saß Brian Gu in Hongkong auf einem Barhocker und machte deutlich, wie sehr Chinas Unternehmenslandschaft der Linie Xis folgt. Gu ist Präsident von XPeng, einem der erfolgreichsten Elektroauto-Start-ups Chinas mit mehr als 10.000 Mitarbeitern. Die Zölle und die geopolitischen Turbulenzen sieht er als eine Gelegenheit. „Unser Produkt wird jetzt in vielen Ländern willkommen geheißen“, sagt Gu. Ähnlich wie Xi warb der Unternehmer in Hongkong um die Sympathien der kleinen Nachbarstaaten.

Der chinesische Präsident Xi Jinping besucht Vietnam.
Der chinesische Präsident Xi Jinping besucht Vietnam.AFP

Zum ersten Mal hatte XPeng internationale Journalisten zu einer Art Pressekonferenz eingeladen, viele davon aus Südostasien. Die Region sei „integraler Bestandteil unserer Strategie“. Erhältlich sind die Fahrzeuge in den meisten Ländern schon, nun soll auch die Produktion folgen. Die erste Fabrik in der Region werde man wohl in Indonesien bauen, sagte Gu. Er folgt vielen anderen chinesischen Autoherstellern, die längst Fabriken in Südostasien betreiben oder aufbauen. BYD , der größte Elektroautohersteller der Welt, will gleich in zwei Werken seine ultragünstigen Autos herstellen, eines in Thailand und eines in Indonesien.

Auf der Canton Fair in Guangzhou, Chinas wohl wichtigster Handelsmesse, werben gerade viele chinesische Unternehmen mit ihren Fabriken in Südostasien. „Fabrik in Indonesien startet im März 2026“, verspricht ein Hersteller von Kaffeemaschinen. „Fabrik im Ausland, keine Zölle“, heißt es bei einem Ventilatorenunternehmen.

Ziel: das China-Risiko diversifizieren

Doch nirgendwo sonst ist Chinas Expansionskurs so deutlich zu sehen wie in Vietnam. Zwei Tage bevor Xi anreist, ist in den Ausstellungshallen von Ho-Chi-Minh-City im Süden, dem ehemaligen Saigon, die größte Textilmesse des Landes fest in chinesischer Hand. Die Anbieter haben oft englische Namen: „Jack“ und „Sewpower“. Doch sie stammen aus China, und sie produzieren in Vietnam.

Spätestens seit der Pandemie, in der Xis ideologische „Null-Covid-Politik“ für die Abschottung des gesamten Landes und das Zusammenbrechen der globalen Lieferketten gesorgt hat, haben viele ausländische Produzenten in China ein zweites Standbein in Vietnam eröffnet oder sind ganz umgesiedelt. Auch chinesische Exporteure sind ins Land gekommen, um ihr China-Risiko zu diversifizieren.

Der Export in die Vereinigten Staaten trägt in Vietnam mit 30 Prozent und in Kambodscha mit 25 Prozent erheblich zur Wirtschaftsleistung bei. Seit Trumps erstem Handelskrieg gegen China ist die Ausfuhr stark gewachsen. Kambodscha exportiert zu 70 Prozent Kleidung. In Vietnam sind es neben Textilien auch Elek­tronikartikel und Computer, Smartphones, Maschinen und Schuhe.

„Made in Vietnam“ statt „Made in China“

Der schnelle Zuwachs in den vergangenen Jahren rührt auch daher, dass chinesischer Export in die USA über Länder wie Vietnam umgeleitet wurde, um die Handelsrestriktionen gegen China zu umgehen. Der Hafen Haiphong im Norden Vietnams wurde durch seine rasante Entwicklung nicht nur berühmt, sondern auch berüchtigt. Viele Waren, die hier gen Amerika verschifft werden, kämen eigentlich fertig produziert aus China, heißt es. Sie würden mit dem Label „Made in Vietnam“ nur umverpackt. Zahlen der Asian Development Bank zeigen, dass ungefähr die Hälfte des chinesischen Importe nach Vietnam in den Re-Export geht. Auch darin gründet Trumps Vorwurf, Amerika werde betrogen.

Ähnliche Entwicklungen gibt es in Kambodscha. 2019 belegte die amerikanische Regierung eine Reihe dortiger Exporteure mit Strafen wegen der Handelsumlenkung chinesischer Waren unter Verschleierung der Herkunft. Die Händler waren in der Sonderwirtschaftszone Sihanoukville aktiv im Geschäft mit Kleidung, Taschen und Lederwaren.

Wie hoch in Vietnam der Anteil der Ausfuhr ist, der aus China stammt und nur umgeleitet wurde, ist höchst umstritten. Schätzungen bewegen sich in einer Spanne von sechs bis 42 Prozent. Das australische Lowy Institute analysiert, dass das Umverpacken chinesischer Waren in Vietnam seit Trumps erstem Handelskrieg gegen China stark zugenommen habe. Der Großteil des vietnamesischen Exports, mehr als 70 Prozent, stamme aber aus nichtchinesischen Quellen inklusive der Wertschöpfung in Vietnam selbst.

Das südostasiatische Land spielt eben eine immer wichtigere Rolle in der Diversifizierung der Handelsketten weg von China. Das sagt Amerikas Präsident nicht. Ob sein Zollfeuer China kleinhalten kann, ist fraglich. In Nordvietnam wird eine Autobahn gebaut, die – so erzählt man es sich im Süden – allein für die „Chinesen“ erstellt werde. Von Shenzen sei man damit in vier Stunden im Land.