Das wilde Ei und der Lockruf der Hochkultur

6

Völlig im Dunkeln der aktuellen US-Eierkrise bleibt bis auf Weiteres das Schicksal mutmaßlich Abertausender Enteneier, die seit März ihre Brutstätte auf städtischen Balkonen und Dachterrassen gefunden haben sollten. In der Not frisst der Teufel Fliegen, wie jeder weiß. Den amerikanischen Stockenten jedenfalls kann man nur wünschen, dass sie das Eierverstecken in den Blumenkübeln und -kästen noch einmal gründlich überdenken. In Berlin, wo die Wildvogelstation des Naturschutzbundes seit bald zwanzig Jahren ein „Ententaxi“ betreibt, um die frischgeschlüpften Entenküken rechtzeitig vor dem tödlichen Sprung aus dem Balkonkasten oder vor dem Zugriff von Nachbars Katze zu retten, geht der Trend zumindest weiter in Richtung Entenhausen-Berlin.

Ganze 153 Mal sollen die Vogelretter dort allein im Vorjahr ausgerückt sein. Die Kükenretter des Nabus selbst sind ratlos. Einige Enteneltern scheinen geradezu magisch angezogen von der betonierten Umwelt und kommen immer wieder. Nicht dass ihnen das Schilf am Heimatgewässer fehlte oder der Strand – offenbar fühlen sie sich zum Brüten einfach sicherer in der Nähe von Menschen.

Wissenschaftlich ist die Sache genauso vertrackt wie tierpsychologisch. Wenn wir richtig deuten, was Marc Engler und seine Kollegen jetzt im „Journal of Urban Ecology“ berichten, waren die 795 eierversteckenden Entenmütter, die man zwischen den Jahren 2005 und 2020 bei annähernd 1200 Brutgelegenheiten im Großraum Berlin angetroffen hat, allesamt nicht auskunftsbereit. Das hat Konsequenzen, denn jetzt weiß man nicht: Lässt das Entenbiotop am Wasser doch zu wünschen übrig, oder verhätscheln die Berliner ihre Balkonenten einfach zu arg?

Klar ist nur: Die Berliner Ententaxis sind am Limit – und die Stockenten offensichtlich nicht willig, von ihren Kasteneiern zu lassen. Ein Dilemma. An der Stelle hilft es vielleicht, sich an eine zugegeben etwas verstiegene Zeitreise der Entenhausener in die Anden zu erinnern, in der die Familie Donald Ducks auf die Inkas traf und in den Felsen zwischen den Inka-Pyramiden etliche eckige Eier entdeckte. Hochkultur färbt ab. Man muss ihr nur die Zeit geben. Ob das auf amerikanischen Balkonen gilt, ist fraglich. Womöglich hilft dort heuer nur ein präsidiales Dekret gegen Eierdiebe.