Papst Franziskus und die deutschen Katholiken

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Gleich sechs Kardinäle entstammten der katholischen Kirche in Deutschland, als es nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. galt, einen Nachfolger zu wählen. Wie viele von ihnen ihre Stimme im März 2013 dem argentinischen Jesuiten Jorge Mario Bergoglio gaben, ist nicht bekannt. 

Gewiss ist nur, dass sie zusammen die katholische Kirche in Deutschland recht gut repräsentierten: Der Paderborner Paul Josef Cordes und Kölns emeritierter Erzbischof Joachim Meisner gehörten theologisch und kirchenpolitisch zu dem integralistischen Johannes-Paul-II.-Flügel, der in der Deutschen Bischofskonferenz immer in der Minderheit war, aber in den 1990er Jahren den Austritt der Kirche aus der gesetzlichen Schwangerenkonfliktberatung durchgesetzt hatte; Walter Kasper (Rottenburg-Stuttgart/Rom) und Karl Lehmann (Mainz) standen für den Primat von wissenschaftlich verantworteter Theologie und einer an den Nöten der Menschen orientierten Seelsorge, Reinhard Marx (München) und Rainer Maria Woelki (Berlin) waren mit 59 beziehungsweise 56 Jahren die beiden jüngsten und noch nicht auf Streit aus.

Auch diesmal sind die Zahl wie das Profil der wahlberechtigten Kardinäle ein Spiegel der katholischen Kirche in Deutschland. An ihnen zeigt sich, wie sich die Zeiten während des zwölfjährigen Pontifikates von Franziskus geändert haben – und wie die Stellung der deutschen Kirche in der Weltkirche. Am auffälligsten ist, dass nur noch drei Kardinäle aus Deutschland jünger als achtzig Jahre sind und damit an der Papstwahl teilnehmen dürfen: Neben Marx und Woelki, für welche es das zweite Konklave sein wird, ist erstmals Gerhard Ludwig Müller dabei. 

Entfremdung zur Kirche in Deutschland

Benedikt XVI. hatten den vormaligen Dogmatik-Professor und Bischof von Regensburg kurz vor seinem Amtsverzicht zum Präfekten der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre gemacht, Franziskus nahm ihn 2014 in das Kardinalskollegium auf – um ihn 2017 sang- und klanglos aus dem Kreis seiner Mitarbeiter zu entfernen. Freunde wurden die beiden Männer nie mehr, wie auch die Entfremdung zwischen Müller und der Kirche in Deutschland eine durchaus wechselseitige ist.

Auch auf die Dienste des Münchner Erzbischofs Reinhard Marx hatte Franziskus inzwischen verzichtet, wenn auch nicht vollständig. Zehn Jahre lang, von 2013 bis 2023, gehörte der aus dem Erzbistum Paderborn stammende Kirchenmann dem illustren Gremium aus neun Kardinälen aus allen Teilen der Weltkirche an, die den Papst bei der Regierung der Kirche und der Reform der Kurie beraten sollten. Bis zuletzt betraute er Marx mit der Koordination des vatikanischen Wirtschaftsrates. Der Aufwand in beiden Gremien stand aber stets in keinem guten Verhältnis zu dem – auch finanziellen – Ertrag.

Des Guten zuviel

Marxens Stern begann unwiderruflich zu sinken, als er im Frühjahr 2019 als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) das Reformprojekt „Synodaler Weg“ ins Leben rief. So viel Freisinn war Franziskus in all seiner eigenen Unberechenbarkeit dann doch nicht geheuer. Legte es Marx tendenziell doch darauf an, die Grammatik der Macht in der Kirche neu zu schreiben: Laien, so der Fluchtpunkt des Synodalen Wegs, sollten ihren Platz in der Kirche nicht länger nur gegenüber von Klerikern einnehmen, sondern sie gemeinsam mit ihnen auch in ihrer hierarchischen Struktur repräsentieren können – Frauen eingeschlossen.

Das war Franziskus entschieden zuviel. Es bestärkte ihn in seiner Absicht, bei seinen Reisen einen großen Bogen um Deutschland zu machen – und zwar nicht nur um das Land, sondern auch um dessen Kirche. Mit Bischöfen und anderen Repräsentanten des Synodalen Wegs ließ der Papst Subalterne verhandeln, statt selbst Rede und Antwort zu stehen. Um so weniger verlegen war er um starke Meinungen, allen voran um die, dass eine protestantische Kirche in Deutschland genug sei. 

Des Guten zuviel wollten die Kirchenfunktionäre aus Deutschland in den Augen des Papstes und seines Kardinalstaatssekretärs Pietro Parolin auch bei der Aufarbeitung der sexuellen Gewalt in der Kirche. Dass mehrere Bischöfe bis hin zu Kardinal Marx sich wegen ihres Tun und Lassens gegenüber Tätern und Betroffenen so diskreditiert sahen, dass sie ihre Amt nicht mehr ausüben wollten, beeindruckte den Papst nicht. An deutschen Maßstäben gemessen hatte wohl ein Großteil der Bischöfe in der Welt einschließlich seiner selbst auf ihre Ämter verzichten müssen. Also weitermachen.

Vertrauen zerstört

Das hieß Franziskus auch den seit 2014 in Köln residierenden Kardinal Woelki, ganz gleich, wie viel Vertrauen dieser im Zuge der Missbrauchsaufarbeitung zerstört hatte oder bei der Leitung eines der wichtigsten Bistümer der Kirche noch zerstören sollte. Als Marxens Antipode in der Bischofskonferenz und auf dem Synodalen Weg war Woelki dem Papst zu wichtig, als dass er das von ihm selbst erzwungene Rücktrittsersuchen angenommen hätte

Auf mehr deutsche Kardinäle hatte es Franziskus nicht angelegt. Erzbischof Heiner Koch etwa, der Nachfolger Woelkis in Berlin, ging in jeder der vielen Ernennungsrunden leer aus. Der Argentinier schreckte auch davor zurück, nochmals einen Bischof aus Deutschland mit Leitungsaufgaben in der Kurie zu betrauen. Sollte er sie für ein solches Amt nicht für fähig genug gehalten haben, so fiele das auf den Papst und seinen Botschafter in Berlin zurück. Beide haben über die vergangenen zwölf Jahren hinweg die Kandidaten ausgewählt, die Franziskus entweder direkt ernannt oder den Domkapiteln zur Wahl vorgeschlagen hat.