Sie könnten die Zahl der Tierversuche künftig reduzieren: im Labor gezüchtete Mini-Organe. Für deren Entwicklung hat der niederländische Immunologe Clevers jetzt den Tierschutzforschungspreis erhalten.
Schon seit Jahrzehnten versuchen Forschende, Tierversuche durch Laborexperimente zu ersetzen. Zellkulturen waren der erste Durchbruch – sie zeigen zum Beispiel, wie ein Medikament auf eine Zellart wirkt.
Ihre Aussagekraft ist aber begrenzt, weil sich die Wirkstoffe eines Medikaments eben auf viel mehr als nur eine Zellart auswirken können. Wissenschaftler, wie der Niederländer Hans Clevers, Leiter der Pharmaforschung und frühen Entwicklung (pRED) beim Pharmakonzern Roche, gehen deshalb jetzt einen Schritt weiter. Sie stellen ganze Mini-Organe im Labor her und hoffen so, die Wirkung von Medikamenten besser abbilden zu können. Die bisherigen Forschungsergebnisse sind vielversprechend.
Mini-Darm aus menschlichen Stammzellen
Die Mini-Organe sind weit entfernt von einem echten Organ. Ein Mini-Darm zum Beispiel ist gerade einmal so groß wie ein Stecknadelkopf. Hergestellt wird er aus menschlichen Stammzellen des Darms. Denn mittlerweile gelingt es Forschenden, diese Stammzellen zu gewinnen und so zu programmieren, dass sie sich außerhalb des Körpers zu einem Mini-Organ zusammenlagern.
Organoide nennen Wissenschaftler diese aus menschlichen Stammzellen hergestellten, nachgeahmten organähnlichen Strukturen. “Wenn ein Organoid gut entwickelt ist, hat man alle 13 Zellarten, die auch im lebenden Darm vorkommen”, beschreibt Wissenschaftler Clevers das sogenannte Darm-Organoid.
Tests mit Mini-Organen besser als Tierversuche
Aber nicht nur ein Darm kann aus menschlichen Stammzellen als Mini-Version im Labor hergestellt werden. Das Prinzip funktioniert auch bei anderen Organen, wie etwa Leber, Lunge oder Herz. Und sogar bei Krebszellen. Bei den im Labor hergestellten Prostatakrebs-Organoiden zum Beispiel können Wissenschaftler die Wirkung von Medikamenten viel besser testen als an Tieren – weil die Organoide eben aus menschlichen Stammzellen hergestellt werden.
Tests von Giftstoffen mit Mini-Gehirn
Sogar die Wirkung von Flammschutzmitteln, Pestiziden und anderen Umweltgiften auf das menschliche Gehirn könne mittels im Labor hergestelltem Mini-Gehirn getestet werden, sagt Jan Bruder vom Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster. Standardmäßig würden diese Stoffe in Tierversuchen gemessen. “Wir konnten das jetzt an menschlichen Geweben messen und durchaus auch Unterschiede feststellen”, sagt er und fügt hinzu: “Es führt zu relevanteren Ergebnissen, als es in tierischen Geweben der Fall ist.”
Erste Medikamente vor der Zulassung
Laut Wissenschaftler Clevers stehen bereits die ersten Medikamente, die mithilfe von Mini-Organen entwickelt wurden, “in der letzten Phase der Tests vor der Zulassung”. Eines gegen einen Kopf-Hals-Tumor, ein anderes gegen Darmkrebs. “Bei ihnen ist jeder einzelne Entwicklungsschritt mit Organoiden passiert – nicht in der Zellkultur und niemals mit Tierversuchen”, betont der Immunologe.
Ganz ersetzen können die Organoide Tierversuche aber trotzdem noch nicht. Denn sie sagen nur etwas über ein Organ aus, nicht über den ganzen Menschen. Außerdem werden sie bisher weitgehend in Handarbeit hergestellt. Für die Industrie bräuchte es automatische und schnellere Verfahren. Doch auch daran wird bereits gearbeitet.
Tierschutzforschungspreis 2025
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) setzt sich national und international für eine Verbesserung des Tierschutzes ein. Auch das Wohlergehen von Versuchstieren ist ein wichtiges Anliegen. Daher unterstützt das BMEL-Maßnahmen des Deutschen Zentrums zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R), Tierversuche auf das unerlässliche Maß zu beschränken und Versuchstieren den bestmöglichen Schutz zu gewährleisten.
Zur Förderung des gesellschaftlichen Engagements für eine Verbesserung des Schutzes von Versuchstieren und Förderung der Forschung und Entwicklung von Alternativmethoden hat das BMEL den Tierschutzforschungspreis 2025 mit neuen Preiskategorien ausgeschrieben.
Heute wurde der Preis erstmalig in diesem Format verliehen. Preisträger sind: Hans Clevers, Leiter der Pharmaforschung und frühen Entwicklung (pRED) beim Pharmakonzern Roche und die Organisation Norecopa (Norwegens Nationales Zentrum und Plattform zur Förderung der sogenannten 3R) – vertreten durch Prof. Dr. Adrian Smith von der Leitung der Organisation.