Welche Rolle sieht Lars Klingbeil für sich?

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Vor Lars Klingbeil liegen zwei entscheidende und heikle Monate. Ende Juni kommen die Sozialdemokraten zu ihrem Parteitag zusammen. Da wird das Bundestagswahlergebnis noch einmal kritisch zur Sprache kommen – eigentlich wird die Partei überhaupt zum ersten Mal öffentlich über das Desaster diskutieren. Es war das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der SPD, für Klingbeil persönlich aber hätte es kaum besser laufen können. Er steht seither nicht mehr nur der Partei, sondern auch der Fraktion vor, bei ihm laufen alle Fäden zusammen. Jetzt muss er wichtige Entscheidungen für die Zukunft treffen.

Zunächst muss Klingbeil seine eigene Rolle bestimmen. Über die Osterfeiertage dürfte er beide Optionen abgewogen haben: Geht er als Finanzminister und Vizekanzler ins Kabinett, oder bleibt er Fraktionsvorsitzender? Klingbeil hat diese Frage in den vergangenen Tagen immer wieder mit Vertrauten besprochen, ist zu hören.

Einer seiner engsten Gesprächspartner ist Generalsekretär Matthias Miersch. Klingbeil schottet sich nicht ab. Die meisten in der Parteispitze raten ihm zum Wechsel ins Kabinett. Als Minister ist man sichtbar und sammelt Regierungserfahrung. Beides ist wichtig für Klingbeil, wenn er bei der nächsten Bundestagswahl 2029 SPD-Kanzlerkandidat werden will. Dann braucht er aber einen loyalen Fraktionsvorsitzenden, der die Abgeordneten im Griff hat. Denkbar ist auch, dass er eine Doppelspitze installiert, damit kein weiteres Machtzen­trum in der SPD entsteht.

Wer verantwortet das Bundestagswahlergebnis?

Bliebe Klingbeil selbst Fraktionsvorsitzender, könnte er mehr Abstand zu einem Kanzler Friedrich Merz halten und sich als alternative Kraft in Szene setzen. In der SPD geht man davon aus, dass Merz den Schwerpunkt seiner Arbeit auf das Internationale legen wird. Für Klingbeil bliebe also einiger innenpolitischer Raum, so die Hoffnung. Als Fraktionsvorsitzender stünde ihm dafür ein breites Instrumentarium zur Verfügung. Fraktionsvorsitzende sind mächtig, wohl mächtiger als so mancher Minister.

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Aber ihre Macht ist in der Öffentlichkeit nicht leicht erkenn- und vermittelbar. Verteidigungsminister Boris Pistorius, der in der SPD als einzig gesetzte Personalie gilt, würde in diesem Fall Vizekanzler. Der eh schon enorm beliebte Pistorius könnte dann noch weiter aufsteigen. Dass er schmeichelbar ist, zeigte die Debatte über den SPD-Kanzlerkandidaten im Herbst. Er wäre eine starke Konkurrenz für Klingbeil.

Bei all den Spekulationen, wer was wird in der SPD und der schwarz-roten Koalition, gerät eine Frage fast in Vergessenheit: Wer trägt Verantwortung für das historisch schlechte Wahlergebnis vom 23. Februar und zieht Konsequenzen? Klingbeil offensichtlich nicht. Und auch wenn die Mehrheit in der SPD seinen Machtzuwachs als unumgänglich sieht, wird umso skeptischer auf sein Vorgehen jetzt geblickt. Die Ko-Vorsitzende Saskia Esken, über die sich in der Partei viele aufregen, dürfte kaum eine Chancen auf eine Wiederwahl haben. Sollte sie beim Parteitag noch mal antreten, bekäme sie vermutlich eine Gegenkandidatin – die wohl gewinnen würde. Für eine einigermaßen gesichtswahrende Lösung müsste Klingbeil seiner Ko-Vorsitzenden also jetzt einen geordneten Rückzug nahelegen. Die Frage, wer Konsequenzen zieht, bleibt also offen.

Einen klaren Schnitt hat nur einer gemacht: Olaf Scholz. Der geschäftsführende Bundeskanzler erlebt die letzten Tage im Amt. Die Chefunterhändler seiner Partei informierten ihn kontinuierlich über die Koalitionsverhandlungen. In einigen Fragen zog Klingbeil Scholz dem Vernehmen nach zurate: Wie weit können wir in der Migrationspolitik gehen? Was sind unsere roten Linien? Sollten wir das Außenministerium für uns beanspruchen?

Klingbeil fällt es leicht, ein Team um sich zu sammeln

Scholz hat bislang angekündigt, sein Bundestagsmandat, das er in Potsdam gewonnen hat, anzutreten. Er ist, jenseits von Berlin, der einzige direkt gewählte Abgeordnete in Ostdeutschland, der der demokratischen Mitte angehört. Die übrigen Direktmandate gingen ganz überwiegend an die AfD; zwei an die Linke. In einen Ausschuss wird es Scholz wohl nicht ziehen; der neuen Führungsriege der SPD wird er nicht im Weg stehen. Vor ein paar Tagen nahm Scholz ein kurzes Video auf, in dem er für den Koalitionsvertrag wirbt – und damit indirekt für die Wahl seines Nachfolgers Merz.

Für die Neuaufstellung der SPD wird es aber nicht reichen, die kurze Ära Scholz einfach abzuschließen. Generalsekretär Miersch will nun mit einer Kommission die 16,4 Prozent aufarbeiten. Einen ersten Zwischenbericht soll es zum Parteitag geben. Die Gefechtslage im Juni kann man sich jetzt schon in groben Zügen vorstellen: hier die SPD-Regierungsmannschaft, die den Kurs der Mitte lobt, dort die Parteilinken und Jusos, denen die SPD nur noch als Steigbügelhalter für Merz erscheint. Klingbeil, der in der Machtlogik der SPD Parteivorsitzender bleiben muss, dürfte die gemischte Gefühlslage in der Partei an seinem Wahlergebnis ablesen können.

Bis dahin wird auch klar sein, wer zu den Verlierern des SPD-Umbaus unter Klingbeil gehört. Dass er der 38 Jahre alten Josephine Ortleb den eigentlich für altgediente Parlamentarier vorgesehenen Posten der Bundestagsvizepräsidentin gab, ließ in der Partei aufhorchen. Er meint es offensichtlich ernst mit dem Generationenwechsel. Einige wären deswegen schon zufrieden, wenn sie blieben, was sie sind: Miersch Generalsekretär, Katja Mast Parlamentarische Geschäftsführerin. Die Kabinettsmitglieder der SPD will Klingbeil nächste Woche vorstellen, nach Abschluss des Mitgliedervotums über den Koalitionsvertrag am Dienstag. Einen Zwischenstand, auch nur zur Wahlbeteiligung, will die SPD auf Nachfrage nicht mitteilen.

Klingbeil vertritt den Ansatz, dass sich Erfolg in der Politik organisieren lässt, das also vieles eine Frage der richtigen Planung und Strategie ist. Deswegen fällt es ihm leichter als manch anderem, ein Team um sich zu sammeln, weil die richtige Spitzenperson nach seinem Politikansatz nur ein Faktor von vielen ist. Gleichwohl will Klingbeil diese Spitzenperson sein. Die SPD hat, vor allem in Zeiten des Tiefs, schon oft all ihre Hoffnungen auf eine Person gesetzt. Das ist manchmal gut gegangen, aber auch oft nicht.