Wie weit sind Chinas Roboterautos?

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Es sollte das Fest des autonomen Fahrens werden. Fast alle Autohersteller präsentieren auf der Automesse in Shanghai, die am Mittwoch beginnt und inzwischen die wichtigste Automesse der Welt ist, fortschrittliche Fahrassistenzsysteme. Diese steuern selbständig und souverän durch den im Vergleich zu Deutschland chaotischen Stadt- und Autobahnverkehr in der Volksrepublik.

Doch unmittelbar vor dem Beginn der Messe gibt es eine eiskalte Dusche der chinesischen Behörden. Insgesamt 60 Unternehmen lud das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie in der vergangenen Woche in Peking vor. Es warnte die Unternehmen in unmissverständlichen Worten, die Sicherheit nicht zu vernachlässigen. Sie dürften in der Werbung „nicht übertreiben“ und sollten Fahrer dazu animieren, die Hände am Steuer zu behalten und konzentriert zu bleiben. Das Ministerium für öffentliche Sicherheit erinnerte die Manager auf seinem Kanal im chinesischen Messengerdienst Wechat an die geltende Gesetzgebung: Wenn falsche Werbung für den Au­topiloten schwere Unfälle zur Folge habe, dann drohten dem Verantwortlichen bis zu zwei Jahre Haft.

Anfang dieser Woche legte der Verband der Autohersteller mit einer weiteren Initiative nach. Auf seinem Wechat-Kanal versprach er, die Qualität vernetzter Autos sicherzustellen und die Werbe­versprechen stärker regulieren zu wollen. Die Hersteller sollten keine „vage und irreführende“ Werbung verbreiten, und schon veröffentlichte „inakkurate Informationen sollten unmittelbar korrigiert“ werden. Die Unternehmen müssten dem Risiko vorbeugen, dass die Fahrer die Autopiloten unsachgemäß verwendeten. Alle Unternehmen müssten nun handeln.

Schweres Unglück von Xiaomi-Auto

Anlass für das Treffen und die öffent­lichen Warnungen war ein Unfall Ende März, der das Land und die gesamte Branche geschockt hat. Ein Auto des Technikkonzerns Xiaomi , der im vergangenen Jahr unter die Autohersteller gegangen ist, verunglückte schwer, drei junge Frauen kamen ums Leben. Das Auto war laut dem Protokoll, das Xiaomi ver­öffentlicht hatte, bis zwei Sekunden vor dem töd­lichen Aufprall im Autopiloten und brannte in der Folge völlig aus. Xiaomis Aktienkurs gab dramatisch nach, der seit Monaten gefeierte Xiaomi-Chef Lei Jun versprach auf Weibo, dem chine­sischen X-Pendant, vollständige Aufklärung.

Die Autopiloten sind in China inzwischen sehr verbreitet. Schätzungen gehen davon aus, dass in diesem Jahr 15 Mil­lionen Neuwagen, etwa zwei Drittel des Marktes, mit den Systemen ausgestattet sind. Die chinesischen Autohersteller hatten sich zuletzt mit jedem Monat selbst­bewusster gegeben. Anfang des Jahres tönte Wang Chuanfu, Gründer und Chef des Branchenprimus BYD, die Systeme würden in diesem Jahr zum Standard werden. Selbst in BYD-Fahrzeugen, die umgerechnet weniger als 10.000 Euro kosten, werden die Systeme nun schon verbaut.

Und in der vergangenen Woche, also noch nach dem Xiaomi-Unfall, verkündete He Xiaopeng, Chef und Namensgeber des Premiumherstellers XPeng, man werde in diesem Jahr die nächste Stufe erklingen und Autopiloten in die Fahrzeuge bringen, bei denen nicht mehr der Fahrer die rechtliche Verantwortung trägt, sondern der Autohersteller.

XPeng strebt Level 3 an

Im technischen Jargon wird das von XPeng angestrebte System als Level 3 bezeichnet. Bisher gibt es dafür jedoch auch in China keine Gesetzgebung. Stattdessen sind sogenannte Level 2++-Systeme in China sehr verbreitet, die zwar selbständig fahren, bei denen formell aber weiterhin der Fahrer für etwaige Unfälle verantwortlich ist. Es kursieren aber etwa in den sozialen Medien unzählige Videos, in de­nen die Fahrer stark abgelenkt sind oder sogar schlafen.

Die Unternehmen befinden sich in dem völlig überfüllten Markt in einem enormen Wettbewerb, He Xiaopeng spricht immer wieder von einem Über­lebenskampf, an dessen Ende nur noch zehn Hersteller stehen könnten. Bisher gibt es in China mehr als 130 Marken, rechnen VW-Vertreter vor. Die Sorge ist, dass dieser Überlebenskampf sie zu allzu vollmundigen Werbeversprechen oder riskanten technischen Entscheidungen treibt.

„Manchmal ist es eben doch besser, nicht der Allererste zu sein“

Die deutschen Hersteller sehen sich angesichts der Entwicklungen bestätigt. Mercedes, BMW und Volkswagen gelten in der Volksrepublik auch beim autonomen Fahren als technische Nachzügler. Vertreter der Konzerne betonen aber immer wieder, man stehe für Sicherheit und Verlässlichkeit, und das dauere eben länger. Auf den Xiaomi-Unfall angesprochen, sagte ein Verantwortlicher am Dienstag, deutsche Hersteller machten die Kunden eben nicht zu „Versuchskaninchen“, und richtete damit einen scharfen Vorwurf an die chinesische Konkurrenz. „Manchmal ist es eben doch besser, nicht der Allererste zu sein“, sagte ein BMW-Manager.

Dass die neuen Regeln Wirkung zeigen, wurde am Dienstag auf etlichen Veranstaltungen in Shanghai deutlich. Nio-Chef William Li wurde auf einer Pressekonferenz nicht müde, die Sicherheit der autonomen Fahrsysteme in den Fahr­zeugen der chinesischen Premiummarke zu betonen. Auf einer Testfahrt durch Shanghai hütete sich Michael Hart, Direktor für automatisierte Fahrsoftware bei Mercedes, allzu technische Formu­lierungen zu wählen. Wegen des Xiaomi-Unfalls solle man jetzt etwa nicht mehr von „Level 2++“ sprechen, stattdessen sprach er von einem Level-System für die Stadtnavigation. Mercedes will die autonomen Fahrsysteme im Lauf dieses Jahres in der Volksrepublik auf den Markt bringen.

Europäische Kunden müssen sich gedulden

Ganz ähnlich sehen die Pläne von VW aus. Auf einer Feier im luxuriösen Shanghaier Westbund-Viertel am Ufer des Huangpu stellte VW am Dienstagabend ein ei­genes autonomes Fahrsystem vor, das noch dieses Jahr in einem neuen Modell der Marke VW seine Premiere feiern soll. Kommendes Jahr will VW es dann in der Kompaktklasse breit ausrollen. Die mit dem Partner Horizon Robotics entwickelte Technik sei „ganz auf die Bedürfnisse unserer chinesischen Kunden zugeschnitten“, beteuert der Chinachef des Konzerns, Ralf Brandstätter. Sie werde „ein Ausrufezeichen im Markt setzen“. Die Wolfsburger setzen alle Hebel in Bewegung, um ihre Position in der Volksrepu­blik zu stabilisieren, nachdem sie über Jahre Marktanteile verloren haben. Bis 2027 will der Konzern in seinem einst wichtigsten Absatzmarkt mehr als 20 vollelektrische Modelle und Hybride herausbringen.

In Deutschland und Europa müssen sich Kunden noch länger gedulden. Vom kommenden Jahr an will der Konzern bestimmte Modelle von Audi und Porsche mit Systemen ausstatten, die auf einem vergleichbaren Niveau arbeiten sollen wie in China. Entwicklungspartner ist hier Mobileye, und für die konzerneigenen Volumenmarken kooperiert VW mit Bosch.

BMW und Mercedes haben in Deutschland schon Technik herausgebracht, die bei Geschwindigkeiten von bis zu 95 Stundenkilometern auf der Autobahn die Steue­rung übernimmt, wenn der Fahrer aufmerksam bleibt. Systeme für den Massenmarkt, die wie in China auch im Stadtverkehr selbständig manövrieren, sind dagegen in weiter Ferne.