Wie Gene Nebenwirkungen beeinflussen | tagesschau.de

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Stand: 23.04.2025 06:05 Uhr

Warum reagieren manche Menschen empfindlich auf Medikamente? Eine neue Studie zeigt: Bei den genetisch bedingten Nebenwirkungen sind drei Gene oft entscheidend. Gentests könnten künftig Risiken verringern

Von Irina Kliagina und Frank Wittig, SWR

Schwerwiegende Nebenwirkungen von Medikamenten sind zwar vergleichsweise selten. Doch wenn sie auftreten, wird es ernst: Bei etwa sechs bis sieben Prozent der Notaufnahme-Fälle sind unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten die Ursache – so die Ergebnisse einer deutschen Studie aus dem Jahr 2018. Ob es zu Nebenwirkungen kommt, liegt auch an den Genen.

Drei Gene für sechs Prozent der Nebenwirkungen verantwortlich

Eine neue Studie aus Großbritannien zeigt, dass mehr als sechs Prozent der Nebenwirkungen durch eine Mutation von lediglich drei Genen bei den Patientinnen und Patienten hervorgerufen werden. Diese drei Gene spielen eine entscheidende Rolle bei der Aktivierung oder beim Abbau der Medikamente.

Mit passenden Gentests können diese Mutationen erkannt und unerwünschte Nebenwirkungen vermieden werden, indem die Dosierung oder die Wahl des Medikaments auf den Patienten angepasst werden.

Mehr als 1,3 Millionen Berichte über Nebenwirkungen von Medikamenten hat die Behörde für Medizinprodukte in Großbritannien analysiert. Die Forschenden haben dabei auch nach Genen gesucht, die mit unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen verbunden sind.

Enzyme können Medikamente wirkungslos machen

Zwei genetisch gesteuerte Stoffwechselvorgänge stehen dabei im Fokus, die im Zusammenhang mit vielen unerwünschten Nebenwirkungen stehen. Einmal geht es um den Abbau von Medikamenten im Körper, das andere Mal um ihre Aktivierung.

Die Aktivierung von Medikamenten erklärt der Pharmakogenetiker Winfried Siffert anhand des Schmerzmittels Codein: “Wenn Sie Codein einnehmen, dann hat Codein selbst überhaupt keine Wirkung. Sondern Codein muss in der Leber erst umgewandelt werden zu Morphin. Diese Umwandlung von Codein erfolgt über das Enzym CYP2D6.”

Siffert ist Direktor des Instituts für Pharmakogenetik am Uniklinikum Essen. Die Pharamkogenetik beschreibt, wie Gene mit Medikamenten wechselwirken. Laut Siffert gibt es beispielsweise Menschen, die einen genetisch bedingten CYP2D6-Mangel haben, die Poor-Metabolizer.

Das bedeutet, die Medikamente, die über dieses Enzym umgewandelt werden müssen, können vom eigenen Stoffwechsel nicht aktiviert werden. Das Medikament bleibe bei diesen Patienten wirkungslos, so Siffert.

Verstärkte Aktivierung der Medikamente verursacht Nebenwirkungen

In der europäischen Bevölkerung liegt der Anteil an Menschen, die kein Codein nehmen können, zwischen fünf und zehn Prozent. Andererseits, so Siffert, gibt es Personen, bei denen dieses Stoffwechselenzym genetisch bedingt außergewöhnlich aktiv ist, was die Aktivierung eines Medikaments in einem gefährlichen Ausmaß beschleunigt. Bei diesen Personen wird Codein so schnell in Morphium umgewandelt, dass es wie ein Schuss Heroin wirkt. 

Gehemmter Abbau führt zu Vergiftung

Der zweite genetisch bedingte Stoffwechselvorgang, der die Wirkung von Medikamenten ändern kann, bezieht sich nicht auf die Aktivierung, sondern auf den Abbau der Wirkstoffe durch ein Enzym in der Leber. Hier führt eine Mutation dazu, dass sehr wenige dieser Enzyme gebildet werden. In der Folge werden Medikamente ultra-langsam abgebaut. In diesem Fall reichert sich das Medikament in giftigen Konzentrationen an.

Gentests bei bestimmten Medikamenten schon Pflicht

Deshalb gibt es Pharmazeutika, für die Gentestungen vorgeschrieben sind, erklärt Julia Stingl, Direktorin der Klinischen Pharmakologie am Uniklinikum Heidelberg: “Pharmakogenetik-Leistungen können Patienten bekommen, wenn es in der Fachinformation vorgeschrieben ist. Und das ist es zum Beispiel auch bei manchen Krebstherapien. 5-FU ist zum Beispiel ein Medikament, was sehr häufig eingesetzt wird bei vielen Krebsarten, da muss man vorher das Enzym untersuchen, was das abbaut.”

Da laut Stingl etwa fünf Prozent eine genetische Variante haben, mit der dieses Medikament schlecht abgebaut wird, kommt es bei diesen Patienten zu schweren Nebenwirkungen.

Bürokratie bremst Gentests aus

Die große Studie aus Großbritannien hat gezeigt, dass es viele weitere Medikamente gibt, bei denen eine Gentestung sinnvoll wäre. Zumal sich, so die Ergebnisse der Studie, schon mit dem Abtesten von drei entscheidenden Genen drei Viertel der genetisch bedingten Nebenwirkungen vermeiden ließen.

Verhindert würden diese Tests letztlich durch bürokratische Hürden, kritisiert Winfried Siffert: “Sie dürfen einen solchen Gentest nicht einfach machen, sondern da gibt es ein Gendiagnostikgesetz und da müssen die Patienten extra aufgeklärt werden, weil das ja eine genetische Information ist. Da müssen sie zustimmen, brauchen eine genetische Beratung. Und das ist halt Bürokratie. Das ist aufwendig.”

Nicht erst seit dieser Studie fordern Pharmakologen daher, neue Wege zu finden, um mehr pharmakogenetische Testungen durchzuführen. Das sei die Voraussetzung, um Patientinnen und Patienten personalisiert und damit sicher zu behandeln.