In diesem Jahr hat der Frühling dem Arbeitsmarkt bisher keinen Schwung verliehen. Stattdessen verzeichnet der F.A.Z.-Stellenradar für das erste Quartal Streichpläne im Umfang von insgesamt fast 38.000 Stellen. Das ist die mit Abstand größte Summe an angekündigten Stellenstreichungen in einem ersten Quartal seit dem Jahr 2020. Dem stehen immerhin neue Stellen in der Summe von fast 23.700 entgegen. Das F.A.Z.-Archiv erfasst regelmäßig Abbau- und Aufbaupläne von Unternehmen mit Sitz in Deutschland, sofern es im Einzelfall um mindestens 100 Stellen geht.
Besonders vom Stellenabbau betroffen ist die Autobranche. Etwa ein Viertel der Unternehmen, die laut Stellenradar Personal reduzieren, kommt aus der Auto- und Zulieferindustrie. Auch laut einer Umfrage durch die Unternehmensberatung Horváth planen 68 Prozent der Autohersteller und Autozulieferer Entlassungen einschließlich sozialverträglicher Kündigungen. Über alle Branchen hinweg erwägen 44 Prozent der Unternehmen Kurzarbeit. Befragt wurden Ende März 200 Führungskräfte aus Unternehmen mit Sitz in Deutschland mit mindestens 200 Mitarbeitern und 200 Millionen Euro Umsatz. Die befragten Gesellschaften gehören zur produzierenden Industrie, der Logistik oder dem Transport.
Schlechte Aussichten in Süddeutschland
Besonders negativ sind laut Studienleiter Patrick Heurich die Aussichten in Süddeutschland, wo viele mittelständische Produktionsbetriebe sitzen, vor allem aus dem Maschinenbau und der Autoindustrie. Während die Autoindustrie vor allem in der Produktion Personal einsparen will, fokussiert sich die Logistikbranche auf Einsparungen in der Verwaltung.
Laut Horváth-Partner Heurich reagieren Unternehmen hauptsächlich operativ auf die Situation, indem sie Kosten für Personal oder Material sparen. Die Möglichkeiten strategischer Weichenstellungen wie Portfoliobereinigungen oder eine Umpositionierung am Markt blieben dadurch ungenutzt. Für nachhaltigen Geschäftserfolg könne man aber nicht allein auf die Kosten schauen.
Die Krise der deutschen Automarken wirkt sich auch auf deren Zulieferer aus. So unterzieht sich zum Beispiel der Zulieferkonzern Continental schon länger einer tiefgreifenden Umstrukturierung, verbunden mit einem großen Stellenabbau. Der im vergangenen Jahr angekündigte Abbau von insgesamt 7150 Stellen wurde inzwischen schon zu mehr als 80 Prozent umgesetzt, hieß es im März. Gleichzeitig kündigte Continental im März einen internationalen Abbau weiterer 3000 Stellen an, der den Bereich Forschung und Entwicklung treffen soll. Davon sollen 1450 Stellen in Deutschland wegfallen.
Wie passen Stellenabbau und Fachkräftemangel zusammen?
Unter anderem wegen der schwachen Nachfrage aus der Autoindustrie will zudem Contitech, die Kunststoffsparte des Autozulieferers, fünf Werke in Deutschland schließen. Betroffen sind voraussichtlich 580 Arbeitsplätze, hieß es im Januar. Im April kündigte Continental schließlich an, die Sparte Contitech mit 39.000 Mitarbeitern bis zum Jahr 2026 verselbständigen zu wollen. Die Contitech-Abspaltung soll höchstwahrscheinlich durch einen Verkauf erfolgen. Das Ganze ist Teil eines großen Plans. Schon länger bekannt ist, dass der Dax-Konzern auch seine Automotive-Sparte mit 92.000 Mitarbeitern abspalten will. Ein Börsengang ist für September 2025 geplant. Künftig sollen durch diese Transaktionen aus den Bereichen Automotive, Reifen und Contitech drei unabhängige Unternehmen entstehen.
Breit angelegter Stellenabbau und Fachkräftemangel an allen Orten – wie passt das zusammen? Dazu sagt Unternehmensberater Heurich: „Unternehmen, die Stellen abbauen, sind trotzdem vom Fachkräftemangel betroffen, denn sie suchen gleichzeitig neue Mitarbeiter, um andere Geschäftsfelder aufzubauen oder neue Technologien einzusetzen.“
Laut Horváth-Umfrage bewerten 24 Prozent der Unternehmen den Fachkräftemangel als Problem. Interne Umschulungen könnten laut Heurich in der Regel nur einen Teil des Stellenabbaus vermeiden und nur einen Teil der Fachkräftelücke schließen. Ingenieure, die in der Autobranche keine Zukunft mehr sehen, könnten allerdings in anderen Bereichen Chancen suchen. So brauche etwa die Rüstungsindustrie Fachleute, die sich mit Industrialisierung, Serienfertigung und Automatisierung auskennen würden, da diese deutlich größere Stückzahlen produzieren müsse als in der Vergangenheit.
Das Beispiel Biontech
Dass Unternehmen gleichzeitig Stellen abbauen und Mitarbeiter für neue Aufgaben suchen, zeigt das Beispiel Biontech. Das Unternehmen hat im März den Abbau von 950 bis 1350 Vollzeitäquivalenten in Europa und Nordamerika angekündigt. Diese Kennzahl berücksichtigt, dass es sich nicht bei allen Arbeitsplätzen um Vollzeitstellen handelt. Zwei Halbtagsstellen entsprechen also einem Vollzeitäquivalent. Der Stellenabbau soll in den Jahren bis 2027 stattfinden. Am Biontech-Standort Marburg zum Beispiel sollen wegen der gesunkenen Nachfrage nach Corona-Impfstoff 250 bis 350 Vollzeitäquivalente wegfallen und bis zu 150 in Idar-Oberstein.
In anderen Bereichen dagegen will Biontech Personal aufbauen und 800 bis 1200 Stellen schaffen. Am Stammsitz in Mainz sollen noch in diesem Jahr 350 Stellen entstehen. Das Biotechunternehmen hatte in der Corona-Pandemie als Impfstoffhersteller den großen Durchbruch geschafft. Biontech entwickelt aber auch Medikamente gegen Krebserkrankungen. Die Forschung auf diesem Gebiet ist teuer.
Stellenabbau in Großunternehmen mit sanften Mitteln
In Großunternehmen findet der Stellenabbau in der Regel mit relativ sanften Mitteln statt. So will der Autohersteller Audi in den kommenden vier Jahren 7500 Stellen streichen, hat aber gleichzeitig die Beschäftigungssicherung bis 2033 verlängert. So lange sollen betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sein. So soll es etwa ein Abfindungsprogramm für etliche Ingenieure in der technischen Entwicklung am Stammsitz des Unternehmens geben. Der Abbau soll vor allem den indirekten Bereich treffen, also Stellen außerhalb der Produktion. Das unterscheidet sich von dem Trend, den die Horváth-Umfrage für die Branche feststellt. Demnach will die Autoindustrie mehrheitlich in der Produktion Kosten sparen – auch Personalkosten. In der Logistikbranche dagegen steht die Verwaltung im Fokus der Sparpläne.
Auch bei der Deutschen Post AG soll der Abbau von 8000 Stellen im Brief- und Paketgeschäft über natürliche Fluktuation erfolgen. Das heißt, Stellen werden nicht nachbesetzt, wenn Mitarbeiter in den Ruhestand gehen oder zu einem anderen Arbeitgeber wechseln. Das Unternehmen begründet den Stellenabbau vor allem mit einem Tarifabschluss, der zu steigenden Löhnen seiner Briefträger, Paketboten und Logistikmitarbeiter führt. Die deutliche Erhöhung des Portos für Briefmarken reiche nicht aus, um die steigenden Personalkosten zu kompensieren. Wegen des Fachkräftemangels und der Inflation konnten Gewerkschaften zum Teil üppige Tariferhöhungen durchsetzen. Das Beispiel der Post zeigt allerdings, dass die Arbeitsplätze dadurch aber offenbar nicht an Sicherheit gewinnen.
Auch ohne Stellenabbau können Unternehmen kräftig Personalkosten sparen. Dafür gibt es laut der Horváth-Umfrage viele Hebel. So können Arbeitgeber auf Gehaltserhöhungen verzichten und Prämien oder flexible Gehaltsbestandteile kürzen. Zudem können sie ältere Mitarbeiter in den vorgezogenen Ruhestand schicken.