Was lernen Jurastudenten über Recht und Politik

7

Die politischen Ereignisse der letzten Wochen – von der Begnadigungsorgie, mit der Präsident Trump seine zweite Amtszeit begann, über die europa- und verfassungsrechtlich undurchdachten Bundestagsanträge zur Migration und ein offensichtlich verfassungswidriges „Hochschulstärkungsgesetz“ gegen politisch unliebsame Studierende und Lehrende in Nordrhein-Westfalen bis hin zur Nichtbefolgung richterlicher Anordnungen durch Trumps Regierung – haben vorgeführt, wie rasch der Respekt der Politik vor dem Recht auch in der demokratischen Welt verfällt. Wer Recht an Universitäten lehrt, muss darüber nachdenken, was diese Entwicklung für die Ausbildung künftiger Entscheidungseliten bedeutet. Kann man Studierende auf das zunehmend konfliktive Verhältnis von Recht und Politik vorbereiten?

In einer ansonsten ausgezeichneten Examensklausur zu einem privatrechtlichen Alltagskonflikt las ich vor einigen Tagen: „Um der Richtigkeitsgewähr des Vertrages Geltung zu tragen, muss das Gewährleistungsrecht des Kaufrechts […] auf den Vergleichsvertrag Anwendung finden.“ Diese Formulierung hat mich sehr nachdenklich gemacht. Beim Begriff der „Richtigkeitsgewähr“ klingt unüberhörbar nationalsozialistisches Denken an. Ich frage mich, warum Studierende im Jahr 2025 noch mit einem solchen Begriff argumentieren. Zunächst reagierte ich freilich, wie wohl die meisten Prüfer reagieren würden. Da der/die Verfasser/in offensichtlich nichts Anstößiges gemeint hatte, sollte die Formulierung nicht in die Bewertung einfließen. Da ich aber nicht einfach darüber hinweggehen wollte, unterkringelte ich die Passage und notierte am Rande: „problematische Terminologie“. Ob das etwas bringt?

Grenzkonflikte zwischen dem Recht und der Politik hat es immer gegeben, besonders harte in totalitären Systemen. Auch deshalb soll das juristische Studium nach den Justizausbildungsgesetzen des Bundes und der Länder gemäß Paragraph 5a Absatz 2 des Deutschen Richtergesetzes nicht zuletzt der „Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht“ dienen. Studierende lernen, wie Gerichte Juden diskriminierten und dass sie mit Verurteilungen zum Tode Beihilfe zum nationalsozialistischen Morden leisteten. Viele kennen die Namen prominenter nationalsozialistischer Professoren, wie Carl Schmitt, Karl Larenz oder auch Theodor Maunz. Dabei geht es vor allem um die Haltung und den politischen Anstand solcher Juristen, und diese Haltung ist in solchen Grenzkonflikten in der Tat wichtig. Der sinkende Respekt der Politik vor dem Recht und der Rechtswissenschaft hat sich kürzlich darin gezeigt, dass Ministerinnen widerständige Juristen beleidigen und kritischen Wissenschaftlerinnen finanzielle Konsequenzen androhen. Aber eine aufrechte Haltung kann man nicht lehren. Allenfalls kann man sie vorleben.

Das Missbrauchspotential besteht in der Offenheit der Begriffe

Freilich ging es in solchen Konflikten nie nur um Haltung, sondern in gleicher Weise um juristisches Denken. Um die Grenzen des Rechts gegen übergriffige Politik zu sichern, braucht man nicht nur Anstand, sondern auch das intellektuelle Rüstzeug. Die nationalsozialistischen Professoren waren nicht mit eigenen Händen an den Vertreibungen und dem Morden der Nationalsozialisten beteiligt. Worin ihr akademischer Beitrag zum nationalsozialistischen Unrecht bestand, wissen Studierende jedoch kaum einmal zu sagen, sonst könnte nicht einer der besten mit der „Richtigkeitsgewähr“ von Verträgen argumentieren. Dabei heißt es auch in Paragraph 7 Absatz 2 des Justizausbildungsgesetzes von Nordrhein-Westfalen: „Im gesamten Studium ist gerade vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Unrechts die Fähigkeit zur kritischen Reflexion des Rechts einschließlich seines Miss­brauchs­­­po­tentials zu fördern.“ Auch das ist wichtig. Man kann den Rechtsstaat mit den Mitteln des Rechts verteidigen. Man kann ihn aber auch mit juristischer Technik unterlaufen.

Das Missbrauchspotential des Rechts liegt in der politischen Offenheit seiner Begriffe. Juristische Karrieristen werden sich auch in Zukunft mit antidemokratischen und freiheitsfeindlichen Herrschenden gemeinmachen und für diese nach rechtlichen Lücken suchen. Die nationalsozialistische Jurisprudenz bietet ein Lehrstück dafür, wie die Rechtswissenschaft mit Begriffen wie der Richtigkeitsgewähr solche Lücken aufriss. Der Begriff stammt aus einem Aufsatz Walter Schmidt-Rimplers von 1941 (Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts, Archiv für die civilistische Praxis, Bd. 147, 1941, Seite 130 bis 197). Er hat seinen Ursprung also in der Hochzeit der nationalsozialistischen Rechtserneuerung, war aber gleichwohl bis in die Neunzigerjahre als Baustein privatrechtlicher Theoriebildung anerkannt.

Walter Schmidt-Rimpler (1885 bis 1975) liegt auf dem Zentralfriedhof des Bonner Stadtbezirks Bad Godesberg begraben. Er lehrte von 1937 bis 1945 an der Wirtschaftshochschule Berlin und wurde 1946 an die Universität Bonn berufen. In der Neuen Deutschen Biographie wird vermerkt, dass er „auch in der Dogmatik der Gegenwart noch präsent ist“. 1919 heiratete er Käte Hausdörfer, die in ihrer Heimatstadt Breslau als Schauspielerin und Rezitatorin aufgetreten war.
Walter Schmidt-Rimpler (1885 bis 1975) liegt auf dem Zentralfriedhof des Bonner Stadtbezirks Bad Godesberg begraben. Er lehrte von 1937 bis 1945 an der Wirtschaftshochschule Berlin und wurde 1946 an die Universität Bonn berufen. In der Neuen Deutschen Biographie wird vermerkt, dass er „auch in der Dogmatik der Gegenwart noch präsent ist“. 1919 heiratete er Käte Hausdörfer, die in ihrer Heimatstadt Breslau als Schauspielerin und Rezitatorin aufgetreten war.Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0

Als ernsthaft belastet galt Schmidt-Rimpler dabei nie. Eine jüngere Dissertation sieht zwar „schwerwiegende Fragezeichen“, stellt ihm am Ende aber doch den Persilschein der Gesetzestreue im Großen und Ganzen aus. Allerdings ändert das nichts daran, dass die Rede von der Richtigkeitsgewähr das Recht für überrechtliche Wahrheiten öffnen sollte; der Begriff zielte also auf eine offene Politisierung des juristischen Denkens. Zwar hatte Schmidt-Rimpler, wie viele andere Juristen, bereits vor 1933 nach solchen Wahrheiten gesucht. Aber sein Aufsatz von 1941, daran ließen weder der Titel noch die Sprache einen Zweifel, diente dem nationalsozialistischen Umwerten.

Methodisch ging es um die Relativierung des Rechts mit den Mitteln konkreten Ordnungsdenkens, in der Sache um „eine richtige Gemeinschaftsordnung auf volksgenössischer Initiative und Gestaltung“. Der Wille der Vertragsparteien zählte nichts, auch im Vertragsrecht war die Gemeinschaft alles. Gleichwohl hielt Schmidt-Rimpler nach 1945 an diesem Begriff und an den damit verknüpften Denkstrukturen fest. Wenn Juristen ihm das bis heute nachmachen, so bedeutet das, dass die Auseinandersetzung, die das Gesetz verlangt, nach wie vor nicht ernsthaft stattgefunden hat.

Der Fokus der juristischen Ausbildung liegt auf Präzision

Nun beruhte die Faszination von Schmidt-Rimplers Begriff nicht zuletzt darauf, dass er es möglich macht, kollektive Interessen im Vertragsrecht zu bedenken. Das ist nicht anstößig – umgekehrt wäre es ideologisch, solche Gesichtspunkte aus dem Vertragsrecht auszublenden. Die Europäische Union nutzt das Vertragsrecht für die Integration des Binnenmarkts; die Rechtswissenschaft fragt nach der Effizienz von Vertragsregeln, nach ihren distributiven und regulatorischen Wirkungen oder nach der Relevanz des Gleichheitssatzes. All das ist unproblematisch, denn hier werden die relevanten Aspekte konkret benannt und transparent in die Dogmatik integriert. Niemand, der so etwas tut, lockert die Bindung an das Gesetz.

Spricht man von der „Richtigkeitsgewähr“ des Vertrags, so öffnet man das Recht demgegenüber für opake politische Meinungslagen, ohne dass diese einen Ausdruck im Gesetz finden müssten. Schmidt-Rimpler wusste, was er tat, als er von „sachlicher Richtigkeit“ im Sinne der „Gemeinschaftsidee“ schrieb. 1934 hatte Carl Schmitt versprochen, mit den Mitteln der Jurisprudenz „das gesamte Recht“ zu ändern, „ohne daß ein einziges ‚positives‘ Gesetz geändert zu werden braucht“. Wer Begriffe so bildete, wie Schmidt-Rimpler es tat, beteiligte sich an diesem Projekt, auch wenn er den Nationalsozialisten ansonsten mit Distanz begegnete. Würden Juristen in diesem Sinne nach der „Richtigkeitsgewähr“ des deutschen Asylrechts fragen, so wären rechtsstaatliche Schranken bald Vergangenheit, und die CDU brauchte gar nicht erst mit der AfD zu stimmen. Und wenn im Verfassungsrecht die „Richtigkeitsgewähr“ der Wissenschaftsfreiheit zum Kriterium würde, stünde die Wahrheit von Forschung zur politischen Disposition.

Seit ich die Klausur gelesen habe, frage ich mich wieder, warum Juristen eigentlich über achtzig Jahre hinweg einen solchen begrifflich-gedanklichen Ballast weitergetragen haben. Eine Erklärung ist gewiss die verzögerte Aufarbeitung des Beitrags von Juristen am nationalsozialistischen Unrecht. Urteile wegen Rechtsbeugung waren nach 1945 Ausnahmen; nur ein einziger Hochschullehrer wurde seinerzeit dauerhaft aus dem Dienst entfernt; und eine breite Auseinandersetzung mit der Rolle von Juristen erfolgte erst seit den Neunzigerjahren. Bis dahin vergiftete unreflektiert nationalsozialistisches Denken die deutsche Jurisprudenz.

Vielleicht liegt die Erklärung aber auch in einer habitualisierten juristischen Schwerhörigkeit gegenüber den historisch-ideologischen Obertönen normativer Begriffe. Der Fokus der juristischen Ausbildung liegt auf Präzision; anders als viele Geisteswissenschaften sensibilisiert ein Jurastudium normalerweise nicht für die vielschichtigen Konnotationen der Fachterminologie. Wie dem auch sei: Es ist allerhöchste Zeit, endlich umzusteuern und die vom Nationalsozialismus ererbte Begrifflichkeit ernsthaft auf den Prüfstand zu stellen. Jeder, der Jura lehrt, hat dabei mitzutun. Wer die Gefährlichkeit solcher Begriffe nicht versteht, wird den Rechtsstaat nicht verteidigen können. Wenn Spitzenjuristen und -juristinnen ganz unbefangen in solchen Kategorien denken, ist das Recht in Gefahr.