Können BMW, Mercedes & Co. wirklich noch mit BYD mithalten?

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Sie kämpfen. Mit voller Vorstandsstärke sind Volkswagen, Mercedes und BMW gerade in China, die Vorstandsetagen in Deutschland sind verwaist. China, der größte Automarkt der Welt, ist Chefsache. Doch nach Jahrzehnten, in denen sie den Markt beherrschten, befinden sich die Unternehmen in einer tiefen Identitätskrise. Das wird auf der Automesse in Shanghai überdeutlich. Manche bemühen die Tradition, andere werfen so viel davon über Bord, wie sie nur können. Einige bleiben stoisch bei ihren Fahrzeugplänen, andere bringen unübersichtlich viele Modelle auf den Markt und hoffen, so scheint es zumindest, dass eines davon verfängt.

Der Hauptgrund dafür ist, dass Chinas Automarkt in einer ganz anderen Phase ist als der Rest der Welt. Durch den Wandel zum Elektroantrieb haben unzählige Unternehmen im ganzen Land ihre Chance gewittert. „Der Markt in China erinnert an Europa und Nordamerika vor über 100 Jahren“, sagt Mercedes-Chef Ola Källenius in einer Runde mit Journalisten auf der Messe. „Damals gab es 2000 Automobilhersteller. Und im Jahr 1950 waren 40 übrig oder so.“

Selbst Autofachleute seien mit der schieren Anzahl an Herstellern überfordert: „Ich wette, wenn Sie den ganzen Tag hier auf der Messe verbringen, sehen Sie 10 Marken, von denen Sie noch nie etwas gehört haben.“

BMW gibt sich stoisch, aber auch begrenzt innovativ

Die Messe, die inzwischen die vielleicht wichtigste der Welt ist, findet einmal im Jahr wechselnd zwischen Shanghai und Peking statt. Vor zwei Jahren war die Ausstellung ein Schockerlebnis für viele deutsche Manager, die erstmals persönlich sahen, wie schnell die chinesischen Hersteller in der Pandemie aufgeholt hatten. Im vergangenen Jahr bliesen sie in Peking selbst zur Aufholjagd. Diese zeigt sich bisher indes nur in neuen Modellen. Der Einbruch der Verkaufszahlen in der von vielen Managern als zweite Heimat angesehenen Volksrepublik ist nicht gestoppt.

Auf der Messe, so viel ist klar, fallen die deutschen Marken nicht mehr besonders auf. Volkswagen beansprucht zwar viel Platz, den deutlich größeren Auftritt legt aber der neue Platzhirsch BYD hin. Mercedes ist mit einem kleineren Stand in eine Ecke gedrängt und überrascht mit einer Studie eines Luxusvans, der besonders ausgefallen wirkt, aber nicht gerade von Selbstbewusstsein in Bezug auf aktuelles Design zeugt. BMW gibt sich stoisch, aber auch begrenzt innovativ. Andere etablierte Konzerne haben den Markt offenbar aufgegeben. Kia oder Hyundai sind nicht vor Ort, US-Marken oder auch der europäische Stellantis-Konzern fast unsichtbar. Die chinesischen Marken präsentieren sich derweil mindestens auf Augenhöhe mit ausgereiftem Design, manche zeigen ihre Flugauto-Studien oder bringen humanoide Roboter mit, an denen sie parallel arbeiten.

Eine eindeutige Antwort, wie sie mit dieser Marktlage umgehen sollen, haben die Deutschen bisher nicht gefunden. Mercedes etwa präsentiert auf der Messe sein neues autonomes Fahrsystem, das nun selbständig durch den im Vergleich zu Deutschland chaotischen chinesischen Stadtverkehr navigieren können soll. Källenius preist das System, das viele chinesische Autos in ähnlicher Form schon seit Längerem im Angebot haben, in der Runde mit deutschen Journalisten offensiv an.

Bei BMW findet man ein solches System bisher nicht. Die autonomen Systeme habe nun ja fast jeder, sagte ein Manager der F.A.Z. Damit könne man sich nicht mehr „differenzieren“. Fahrdynamik sei dagegen etwas, was die Chinesen nicht im Ansatz so beherrschten wie die Deutschen. Man kann das als eine besonders selbstbewusste Art des „Mia san mia“ interpretieren oder als ein Zeichen dafür, wie groß die Distanz zwischen den deutschen Konzernen und den chinesischen Kunden inzwischen ist.

Im VW-Konzern versucht man es parallel mit ganz unterschiedlichen Konzepten. Am Stand von Porsche, dessen Geschäft in der Volksrepublik zuletzt zum Debakel geriet, stehen nicht mehr die neuen Elektroautos im Vordergrund, sondern wieder die jahrzehntelange Geschichte und die Verbrenner. Um wenigstens dieses Geschäft zu halten, setzt Porsche nun darauf, den Kunden in China mehr Sonderwünsche zu ermöglichen. Als große Nachricht verkündet der Sportwagenhersteller, dass eine legendäre Variante des Modells 911, der GT3 mit mehr als 500 PS, nach längerer Auszeit auch in China wieder zu haben ist.

Alexander Pollich, der seit vergangenem Jahr das Geschäft von Porsche in China führt, sagte der F.A.Z., man wolle gerade den jüngeren Kunden wieder die „Begeisterung für die Historie“ der Marke näherbringen. Gleichzeitig ist klar, dass Porsche sich dauerhaft mit niedrigeren Stückzahlen abfinden muss. Die zumindest sollen „hochprofitabel“ sein, hofft das Management.

Audi versucht es sogar gleichzeitig mit Historie und ihrer Verneinung. Am Stand mit den vier Ringen, auf dem vor allem bekannte Modelle präsentiert werden, laufen auf einem großen Bildschirm in Dauerschleife alte Videos. Darin taucht etwa der Werbefilm auf der Sprungschanze aus den Achtzigerjahren immer wieder auf. Gleich nebenan zeigt Audi der breiten Öffentlichkeit erstmals die neue Marke ohne die ikonischen vier Ringe. Stattdessen prangt in Großbuchstaben AUDI auf dem Kühlergrill des ersten Serienmodells, des AUDI E5 Sportback. Die Marke wurde zusammen mit dem Shanghaier Staatskonzern Saic speziell für den chinesischen Markt entwickelt. Historie oder nicht? VW versucht es einfach mit beidem.

All das macht die Arbeit für den Konzern in China nicht übersichtlicher. VW-Konzernchef Oliver Blume sagte vor Journalisten zwar, man habe in China einiges „aufräumen“ müssen, auch in der Zusammenarbeit mit den Joint-Venture-Partnern. Ein „Konfliktfeld“ sei die Marke Audi gewesen, die wie alle anderen VW-Marken in China kräftig Marktanteile verloren hat. Die modernere Submarke soll nun helfen.

Doch wirklich aufgeräumt wirkt der Auftritt des zweitgrößten Autokonzerns der Welt nicht. In Halle 5.1 bauen sich die Marken VW, Audi mit und ohne Ringe und Porsche mitsamt Kooperationspartnern wie Xpeng und Horizon Robotics auf. Am Hauptstand begegnet einem Volkswagen gleich in vier Versionen. Nebeneinander prangen die Logos der drei Gemeinschaftsunternehmen VW Saic, VW FAW und VW Anhui sowie VW-Importe, also nach China eingeführte Autos.

Um schnell mehr Modelle auf den Markt zu werfen, sind mit den Partnern etliche neue Technikbaukästen entstanden, deren Vielzahl für Außenstehende nur noch schwer zu durchblicken ist. Die Baukästen reichen von Software bis hin zu Batterie- und E-Antriebstechnik für Einstiegs- und Premiummodelle.

Wenige Gehminuten entfernt in der nächsten Halle prangen dann abermals die Logos von VW und Audi – diesmal auf den Ständen von Saic, der als Platzhirsch der Lokalregierung eine ganze Halle beansprucht und dort ebenfalls sämtliche seiner Fahrzeuge und Marken präsentieren will. Ein Saic-Manager nannte die Audi-Marke ohne Ringe vor Journalisten ein „historisches Zeichen der deutsch-chinesischen Kooperation“. Ob es das Zeichen des Niedergangs oder eines Neuanfangs ist, hängt nun von Chinas Autokäufern ab.