Woher das amerikanische Misstrauen gegen Mexiko kommt

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Die mehr als 3000 Kilometer lange Grenze zu Mexiko war immer eines der Reizthemen von Präsident Donald Trump. Am liebsten würde er die Vereinigten Staaten mit einer durchgehenden Mauer gegen das Nachbarland abschotten. Stattdessen hat er den Notstand an der Grenze erklärt und weitere Truppen in den Süden geschickt, um Migranten aufzuhalten und den Rauschgifthandel zu unterbinden. Mit Zolldrohungen zwingt er das wirtschaftlich abhängige Mexiko zu ähnlichen Maßnahmen auf der anderen Seite der Grenze. Das Misstrauen der Amerikaner gegen alles, was diese Grenze passieren will, reicht rund hundert Jahre zurück. Und es hat einen seiner Ursprünge in einem Städtchen in Mexiko, das einen klangvollen Namen trägt: Tequila.

Der malerische Ort im Bundesstaat Jalisco, der von weitläufigen Agaven-Plantagen umgeben ist, füllt sich an Wochenenden mit angeheiterten Touristen. In den Brennereien der Gegend lassen sie sich die Tequila-Herstellung erklären. Sie probieren edle Sorten und löschen ihren Durst mit „Cantarito“, einem Gemisch aus Tequila, Zitrussäften, Limonade und Salz. Mittendrin: die älteste Brennerei des Landes, La Roseña, ein prächtiger und gut instand gehaltener Kolonialbau.

In den USA wird noch mehr Tequila getrunken als in Mexiko

Hier produzierte der Spanier José Cuervo schon im 18. Jahrhundert Tequila oder Mezcal-Wein, wie der aus der blauen Agave gebrannte Schnaps lange genannt wurde. 1758 hatte Cuervo von der spanischen Krone die Eigentumstitel für ein Stück Land erhalten, auf dem bereits Agaven angebaut wurden. Und 1895 erhielt er als erster Produzent im Land eine offizielle Lizenz zur Herstellung und zum Vertrieb von Tequila. Cuervo verfeinerte die Herstellung und brannte den Tequila, wie man ihn heute kennt.

Dabei werden die reifen Herzen von vier- bis achtjährigen blauen Agaven gegart, um den Zucker aus ihnen zu lösen, anschließend wird die Melasse vergoren, destilliert und das Destillat je nach gewünschter Qualität in Eichenfässern ausgebaut. ­Cuervos Betrieb vergrößerte sich rasch. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts wuchsen auf seinen Ländereien schätzungsweise drei Millionen Agaven. Es war der Anfang einer mächtigen Dynastie, die noch immer existiert.

Magazin-Werbung für Cuervo-Tequila aus den Sechzigern
Magazin-Werbung für Cuervo-Tequila aus den SechzigernInterfoto

Heute ist Tequila weltweit bekannt und ein Milliardengeschäft. Das gilt besonders in den USA, wo noch mehr Agavenschnaps konsumiert wird als in Mexiko selbst. Im vergangenen Jahr importierten die Vereinigten Staaten mehr als 330 Millionen Liter Tequila im Wert von 5,3 Milliarden Dollar, was fast der Hälfte der gesamten amerikanischen Spirituosenimporte entspricht. Besonders die edlen Tequilas, die man langsam genießt, statt sie als Shots mit Salz und Zitrone runterzukippen, erfreuen sich wachsender Beliebtheit: Im Laden der immer noch aktiven Cuervo-Brennerei gibt es Flaschen für 3000 Dollar und mehr zu kaufen.

Am Siegeszug des Tequila hat die Cuervo-Familie einen wesentlichen Anteil. Schon im 19. Jahrhundert hatte die Brennerei das Potential von Tequila auf dem amerikanischen Markt erkannt. Um die Jahrhundertwende trat das Unternehmen mit einigen anderen Herstellern auf Messen in den USA auf. Von Tequila wussten damals noch die wenigsten Amerikaner. Doch der Schnaps erregte ihre Aufmerksamkeit, galt im Vergleich zu Whiskey und Rum als exotisch und aufregend. Die ersten Eisenbahnlinien in Mexiko verkürzten die Wege in die Vereinigten Staaten. Eine dieser Eisenbahnlinien führte an Tequila vorbei, was auf den bereits beachtlichen Einfluss der Cuervos zurückzuführen ist. Sie kauften damals sogar eigene Züge.

Cuervo-Tequila in einem mexikanischen Geschäft im Jahr 2012
Cuervo-Tequila in einem mexikanischen Geschäft im Jahr 2012Reuters

Einer der Köpfe hinter der Expansionsstrategie des Unternehmens war ein Deutscher. Juan Beckmann y Wilkens, Sohn deutscher Einwanderer, war Ende des 19. Jahrhunderts deutscher Honorarkonsul in Guadalajara, der Hauptstadt des Bundesstaats Jalisco. Der Kaufmann heiratete eine der Erbinnen der Cuervo-Familie. So kam er ins Tequila-Geschäft, das sein Sohn später erben sollte. Zunächst als Berater und später als Besitzer führten die Beckmanns das Haus José Cuervo durch die Wirren des mexikanischen Bürgerkriegs und arbeiteten weiter an der Expansion des Unternehmens in die Vereinigten Staaten.

Doch dieses Unterfangen wurde 1917 abrupt gestört. Auf dem Höhepunkt des Ersten Weltkriegs wurde die berühmte Zimmermann-Depesche abgefangen, in der Deutschland Mexiko eine Allianz gegen die Vereinigten Staaten anbot – wohl einer der Gründe für Amerikas Kriegseintritt wenig später. Als weitere Folge beschränkten die USA im Frühjahr 1918 den Import von mexikanischen Produkten mit „deutschem Einfluss“.

Mit der Prohibition explodierte der Schwarzmarkt

Die Brennerei José Cuervo, die nun eng mit dem ehemaligen Konsul Beckmann verwoben war, geriet ins Visier und wurde mit einem Bann belegt. In einem Dokument von 1918 des im Jahr zuvor gegründeten Office of Alien Property Custodian findet sich der Hinweis auf „mexikanische Firmen mit deutschem Hintergrund, insbesondere in Guadalajara“, deren Exporte unter Beobachtung stünden.

Im selben Jahr wurde der erste Abschnitt eines Grenzzauns zwischen den USA und Mexiko errichtet und wenig später die erste Grenzpatrouille ins Leben gerufen. Und unter dem Vorwand, Getreide für die Produktion von Lebensmitteln zu sichern, wurden die Herstellung und der Import aller Schnapsalkohole gesetzlich verboten. 1920 wurde die Prohibition in der Verfassung festgehalten. Der Schwarzmarkt explodierte.

Seit 2006 Weltkulturerbe: die Agaven-Landschaft rund um den Ort Tequila
Seit 2006 Weltkulturerbe: die Agaven-Landschaft rund um den Ort TequilaPicture Alliance

Die Cuervo-Beckmanns sahen darin eine einmalige Gelegenheit. Sie taten sich mit den Produzenten von Sauza und Herradura zusammen und bildeten einen Verbund, der nach einem damals in Deutschland gängigen Genossenschaftsmodell organisiert war: dem Kartell. Der Begriff bezeichnete lediglich eine enge Kooperation zwischen Betrieben derselben Branche. Das Kartell produzierte große Mengen Tequila, viel mehr als der heimische Markt aufnehmen konnte. Per Bahn wurde die Ware in die mexikanischen Grenzstädte transportiert, wo eine regelrechte Schmuggelindustrie entstand. Händler in Guadalajara und entlang der Bahnlinien kauften größere Chargen auf. In Grenzstädten wie Tijuana, Nogales oder Ciudad Juárez wurde der Alkohol in Hallen, Hotels und Hinterzimmern gelagert.

Dann übernahmen die Schmuggler, die „Tequileros“ oder „Rum-Runners“: Mit Maultieren oder in Kutschen und Autos versteckt, brachten sie die heiße Ware über die Grenze. Bei Einbruch der Dunkelheit überquerten sie an einer seichten Stelle den Rio Grande mit Eseln oder Maultieren, die mit bis zu 50 Schnapsflaschen bepackt waren. Um die Flaschen zu schützen und Klimpern zu verhindern, waren sie mit Stroh und Jutesäcken gepolstert. Auf der gegenüberliegenden Seite der Grenze erwartete sie ein ortskundiger Führer, der die Karawane über Schleichwege in die nächste Ortschaft führte. Dort wurden die Flaschen heimlich umgeladen und in die größeren Städte geschmuggelt, wo Trinker in den klandestinen Flüsterkneipen, den ­­­„Speakeasies“, viel Geld dafür bezahlten.

Während der Prohibition: In einem mexikanischen Ort nahe der US-Grenze reihen sich im Jahr 1929 die Schnapsbuden aneinander.
Während der Prohibition: In einem mexikanischen Ort nahe der US-Grenze reihen sich im Jahr 1929 die Schnapsbuden aneinander.Picture Alliance

Andere wählten einen direkteren Weg über die Straße. Einer der geschäftigsten Übergänge war jener zwischen Ciudad Juárez und El Paso auf der texanischen Seite der Grenze, der sogenannte Borderland Run, wo jeden Tag tonnenweise Alkohol in die USA gelangte. Dem Einfallsreichtum waren keine Grenzen gesetzt.

Legendär ist die Geschichte von Francisco „Pancho“ Morales, der jeden Tag mit einer Kutsche die Grenze zwischen Tijuana und San Diego überquerte und sich dabei als Gemüsehändler ausgab. Seine Kutsche hatte einen doppelten Boden, den er mit Tequila füllte. Weil sein Esel so gut gefüttert war, schöpften die Grenzwächter irgendwann Verdacht. Sie entdeckten das Versteck. Auch erste Tunnel wurden bereits zu dieser Zeit gegraben – eine Taktik, die später von Rauschgiftschmugglern kopiert werden sollte.

Schon damals nutzten die Schmuggler auch die Bestechlichkeit amerikanischer Beamter, um ungehindert in die USA zu gelangen. Berichte aus der Zeit zeigen, dass ein Zollbeamter im Grenzgebiet von Texas das Vielfache seines offiziellen Gehalts mit Schmiergeldern verdienen konnte. Auch der Gangsterboss Al Capone soll für seine Tequila- und Rumlieferungen Beamte im Bundesstaat Arizona bezahlt haben. Noch heute funktioniert die Korruption an der Grenze. So kaufen Schlepper Informationen von „drüben“, um sicherzugehen, nicht von einer Grenzpatrouille geschnappt zu werden.

Auch die Gewalt in Mexiko nahm zu

In internen Notizen der US-Zollbehörden taucht „Tequila ohne Etikett, Herkunft unklar“ zu Beginn der Zwanzigerjahre immer häufiger auf. Die USA reagierten mit mehr Grenzzäunen, um die Lieferungen zu blockieren. 1924 wurde der Border Patrol Service eingeführt. Das Vorgehen gegen die Schmuggler wurde härter und blutiger. Entlang des Rio Grande machten die Texas Rangers Jagd auf „Tequileros“. Regelmäßig kam es in der Wüste und im Buschland zu Schießereien. Nach zehn Jahren Prohibition summierte sich die Zahl der Getöteten an der Grenze auf 1360. In El Paso gab es mehr Tote als in Chicago, wo der gefürchtete Al Capone wütete.

Cuervos Tequila-Kartell hatte sich zu dieser Zeit bereits aufgelöst und in kleinere Kartelle zersplittert, da die Familien um eine größere Kontrolle des Handels wetteiferten. Dadurch nahm die Gewalt auch auf der mexikanischen Seite der Grenze zu.

Im Jahr 2024: Bewaffnete Polizisten in Tequila
Im Jahr 2024: Bewaffnete Polizisten in TequilaReuters

Rückblickend lässt sich sagen, dass das Alkoholverbot in den USA vor hundert Jahren und die Versuche der Amerikaner, die Einfuhr von Tequila aus Mexiko zu verhindern, wirkungslos waren. Sie haben vielmehr einen Anstieg der Gewalt an der Grenze verursacht und zur Bildung dessen beigetragen, was man als erstes mexikanisches Kartell bezeichnen könnte. Und sie haben den Tequila in den USA populär gemacht.

Als Präsident Roosevelt 1933 die Prohibition beendete, öffnete sich für die Erben Cuervos und die anderen Tequila-Produzenten ein Markt, den sie bereits erobert hatten. Das Unternehmen José Cuervo positionierte sich nun offiziell im US-Markt und baute in den folgenden Jahrzehnten von Tequila aus ein globales Geschäft auf. Heute gehört José Cuervo zu den erfolgreichsten Spirituosenmarken der Welt, an dessen Spitze Juan Beckmann Vidal sitzt, der Enkel des deutschen Konsuls, dessen Verbindungen zum Importverbot in den USA geführt hatten. Beckmann zählt heute zu den reichsten Mexikanern. In New York hat er vor einigen Jahren mehrere Luxuswohnungen gekauft – im Trump Tower. Das war noch, bevor Trump Präsident wurde und gegen Mexikaner zu hetzen begann.

Nun hat Trump den südlichen Nachbarn und wichtigsten Handelspartner abermals ins Visier genommen. Trump will den von Kartellen kontrollierten Schmuggel von Fentanyl und von Menschen stoppen. Das war sein Wahlversprechen. Daraus spricht das anhaltende Misstrauen gegenüber Mexiko, das noch aus der Zeit des Alkoholschmuggels stammt. Aus dieser Zeit stammt jedoch auch die Erkenntnis, dass Handelshindernisse auch immer denen in die Hände spielen, die davon leben, diese Hürden zu umgehen. Je höher der Preis, desto größer das Risiko, das dafür eingegangen wird, und umgekehrt.

Auch wenn die Hersteller in dem mexikanischen Ort das Thema in ihren Museen und Führungen gern auslassen: In Tequila weiß man das schon seit hundert Jahren.