Warum Friedrich Merz und Lars Klingbeil Frauen fehlen

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Illustration: Katharina Hofbauer




Große Personalprobleme

Warum Union und SPD zu wenig Spitzenfrauen haben



24. April 2025 · Anwärter fürs Bundeskabinett haben Union und SPD viele. Anwärterinnen schon weniger. Unsere Datenanalyse zeigt, wie tief die Gründe dafür liegen.






Eine Ministermannschaft zusammenzustellen, ist immer ein Puzzle: Politiker aus dem Norden und Süden, und, wichtiger noch, aus Ost und West wollen berücksichtigt werden. Und viele finden, es solle nicht nur eine Mannschaft sein, sondern auch eine Frauschaft, eine halbe zumindest. Die Frauen-Union fordert seit Wochen, am Kabinettstisch der nächsten Bundesregierung sollten gleich viele Frauen und Männer sitzen. Geht es nach der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, sitzen bald vier Sozialdemokratinnen und drei Sozialdemokraten am Kabinettstisch. Forderungen für das Personalpuzzle, vor dem die Parteivorsitzenden Friedrich Merz (CDU), Markus Söder (CSU) und Lars Klingbeil (SPD) gerade stehen, gibt es reichlich. Doch wer puzzelt, braucht Teile – Politikerinnen, die für die Ämter geeignet sind.

Es gibt keinen vorgeschriebenen Weg, um sich als Kandidat für einen Posten im Bundeskabinett in Position zu bringen. Aber es ist von Vorteil, Erfahrung vorweisen zu können und im besten Fall schon der Bevölkerung bekannt zu sein. Wer Oberbürgermeister, Landesministerin oder gar Ministerpräsident ist, erhöht die eigene Chance, auch in Berlin Karriere zu machen. Der SPD-Politiker Boris Pistorius zum Beispiel war erst Oberbürgermeister von Osnabrück, später Landesminister in Niedersachsen, dann wurde er Bundesminister. Die CDU-Politikerin Annegret Kramp-Karrenbauer war erst Landesministerin im Saarland, später dort Ministerpräsidentin, dann Bundesministerin und Bundesparteivorsitzende. Auch auf dem Weg zur Kanzlerschaft kann es hilfreich sein, Ämter in den Ländern bekleidet zu haben, man denke nur an Gerhard Schröder und zuletzt Olaf Scholz, beide SPD.

Eine Datenanalyse der F.A.Z. zeigt, dass die Auswahl an Politikern mit diesen Vorerfahrungen viel größer ist als an Politikerinnen. Erst 1993 gab es die erste Ministerpräsidentin in Deutschland: Heide Simonis (SPD) in Schleswig-Holstein. 16 Jahre später, im Jahr 2009, folgte die erste Landeschefin der CDU: Christine Lieberknecht in Thüringen. Sie blieben nicht die einzigen Ministerpräsidentinnen, aber auch derzeit werden nur zwei der 16 Länder von einer Frau regiert.




Christine Lieberknecht (CDU) und Heide Simonis (SPD)Picture Alliance




An den Spitzen großer Kommunen steht nur in etwa jedem zehnten Fall eine Oberbürgermeisterin. Der Frauenanteil in den Landeskabinetten lag zuletzt bei 46,2 Prozent – das sind knapp 22 Prozentpunkte mehr als zur Jahrtausendwende. Der Frauenanteil bei den Landesministern der Union lag zuletzt bei 38,2 Prozent. Christina Stumpp, stellvertretende Generalsekretärin der CDU, will, dass die Partei den Anteil weiter erhöht – auf allen politischen Ebenen. „Zur Wahrheit gehört, dass wir noch Luft nach oben haben.“ Es brauche Frauen in Entscheidungspositionen, sagt Stumpp. Diese zu finden und für Ämter in der Politik zu gewinnen, sei aber nicht einfach – selbst auf der Einstiegsebene. „Wenn ich eine Frau frage, ob sie für den Gemeinderat oder Kreistag kandidieren will, fragt sie nach dem Zeitaufwand und danach, welche Qualifikationen sie dafür mitbringen muss. Männer sagen: Ich mache das.“




Wenn es um höhere Ämter geht, treten meist in innerparteilichen Auseinandersetzungen Berufspolitiker gegeneinander an, um sich die Spitzenkandidatur zu sichern. Bei Landtagswahlen zeigt sich, dass CDU, CSU und SPD deutlich seltener eine Spitzenkandidatin aufstellen. Schaut man sich alle 87 Landtagswahlen im 21. Jahrhundert an, fällt auf: Für die Unionsparteien trat nur neunmal eine Frau an und 78-mal ein Mann. Das entspricht einem Frauenanteil von 10,34 Prozent.

Die SPD kommt auf einen Frauenanteil von 25,29 Prozent: So trat für die Partei in der gleichen Zeit 22-mal eine Frau an, 65-mal ein Mann. In den vergangenen zehn Jahren ist bei den Sozialdemokraten jedoch eine klare Entwicklung erkennbar. So waren in den vergangenen zehn Jahren 38,24 Prozent aller Spitzenkandidaten in den Ländern Frauen. Bei den Unionsparteien ist hingegen keine Entwicklung erkennbar, sie kommen auch in dem Zeitraum seit 2015 auf einen Frauenanteil von 11,76 Prozent. Die Schwesterpartei der CDU, die CSU, hat noch nie eine Spitzenkandidatin bei bayerischen Landtagswahlen aufgestellt.




Schon das Antreten bringt dabei Bekanntheit – man muss nicht immer gewinnen. Selbst wer als Spitzenkandidat oder Spitzenkandidatin mehrfach in Landtagswahlen scheitert, kann den Sprung in die Bundespolitik schaffen. So versuchte der SPD-Politiker Heiko Maas dreimal vergeblich, Ministerpräsident des Saarlands zu werden – und wurde dennoch später Justiz- und Außenminister. Die CDU-Politikerin Julia Klöckner konnte sich zweimal in Rheinland-Pfalz nicht durchsetzen, trotzdem wurde sie Bundeslandwirtschaftsministerin. Jetzt ist sie Bundestagspräsidentin, das ist protokollarisch das zweithöchste Amt in Deutschland.




Es gehört zum Wesen der repräsentativen Demokratie, dass Männer auch Frauen vertreten können (und andersherum). Ohnehin liegt es an den Wählern, Geschlechterfragen zu berücksichtigen, sollten sie ihnen wichtig sein. Aus Sicht der CDU-Politikerin Stumpp liegt es aber auch an den Volksparteien, Repräsentantinnen aufzubauen. Dafür müsse die Parteiarbeit so organisiert werden, dass sie für Frauen attraktiver wird – es brauche hybride Sitzungen, bei denen man sich auch mal von zu Hause zuschalten kann. Klare Beginn- und Schlusszeiten. Die Möglichkeit, nach einer Geburt oder bei der Pflege von Angehörigen Pause zu machen. Bei alledem komme man voran, sagt Stumpp. Ohnehin sei der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der „größte Frauenförderer“, den sie in 20 Jahren in der Partei erlebt habe. Gemeinsam arbeite man daran, „dass die CDU weiblicher wird“.

Aber die Bundesparteien haben nur begrenzte Möglichkeiten, für mehr Mandatsträgerinnen zu sorgen. Wenn eine Partei sich nicht selbst Quoten auferlegt, entscheiden Orts-, Kreis- oder Landesverbände über Kandidaturen. Und dort, sagt die hessische SPD-Generalsekretärin Josefine Koebe, fehle es oft an Frauen in den entscheidenden Positionen. Viele Ortsvereine seien „sehr männlich dominiert“. Wenn sich dort Frauen einbrächten, dann oft nicht als Vorsitzende, sondern eher als Beisitzerin.


Immer mehr Frauen in den Landeskabinetten


Überhaupt machten Frauen sich sehr grundsätzlich Gedanken, ob sie in die Politik gehen wollten. „Wer im familiären Bereich schon mehr zu tun hat, überlegt es sich doppelt, ob neben die berufliche Karriere auch noch eine politische Karriere passt“, sagt Koebe. Ähnlich wie Stumpp argumentiert sie, dass sich die Sitzungskultur in der Partei verändern müsse. Allerdings gebe es sogar im Vergleich zur Pandemie Rückschritte, also „längere Meetings, mehr Präsenz“.

Stumpp und Koebe verweisen aber auch auf die Erfolge. Vor allem die Bundeskabinette kommen einer paritätischen Besetzung näher, in diesem Jahrhundert gab es länger eine Bundeskanzlerin als einen Bundeskanzler. Anders als vor 25 Jahren gibt es heute Bundesländer, in denen mehr Frauen als Männer Minister sind.




Bei den Parteimitgliedern aber tut sich kaum etwas. Im Vergleich zum Jahr 2010 ist bei der SPD weiterhin nur rund jedes dritte Mitglied eine Frau. Bei der CDU nach wie vor nur gut jedes vierte Mitglied. Bei der CSU ist der Frauenanteil in den vergangenen 15 Jahren leicht gestiegen, von 19,1 auf 22 Prozent. Die SPD-Politikerin Koebe sagt, das habe mit den Gründen zu tun, warum Menschen in Parteien einträten – da gebe es Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Letztere würden mit einem konkreten Anliegen eintreten und wollten in diesem Bereich tätig werden. „Sitzungen des kalten Bieres wegen ziehen nicht“, sagt sie.


Der Frauenanteil in den Parteien ändert sich nur wenig


Stumpp und Koebe setzen deshalb auch auf Netzwerke, um Frauen in Parteien voranzubringen. „Frauen brauchen Vernetzung, gerade wenn sie vor Ort die einzigen sind“, sagt Koebe. Ihr SPD-Landesverband werde an entsprechenden Programmen daher nicht sparen, auch wenn nach einigen schwachen Wahlergebnissen die Partei insgesamt sparen müsse. Stumpp hofft, dass besonders ein Netzwerk für christdemokratische Kommunalpolitikerinnen zum Karrierestarter für Frauen wird. „Wenn es mehr weibliche Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat oder Kreistag gibt, dann setzen sie sich auch bei den Nominierungen für Landtag oder Bundestag durch“, sagt Stumpp. Indem die Bundespartei die Vernetzung von Frauen organisiere, könne sie dann doch Politikerinnen auf allen Ebenen fördern.