Indien beschuldigt Pakistan, hinter dem blutigen Terroranschlag auf Touristen im indisch verwalteten Teil Kaschmirs zu stecken. Die Reaktion fällt indes drastisch aus. Wie das indische Außenministerium am Donnerstagmittag ankündigte, ordne man die Ausreise aller pakistanischen Staatsbürger zum 29. April an.
Drei der fünf Angreifer, die eine Wiese nahe der Stadt Pahalgam gestürmt hatten, sollen der indischen Presse zufolge aus Pakistan stammen. Vikram Misri, der Staatssekretär im indischen Außenministerium, sprach am späten Mittwochabend von „grenzüberschreitenden Verbindungen“. Er kündigte verschiedene Maßnahmen gegen das Nachbarland an, die am Donnerstag angekündigte Ausreise ist eine davon.
Auch wurde zum ersten Mal seit dem Vertragsabschluss im Jahr 1960 das Abkommen über die gemeinsame Nutzung des grenzübergreifenden Indus-Stroms und seiner Nebenflüsse ausgesetzt. Der Vertrag hat erhebliche Symbolik und gilt als das wichtigste bestehende Abkommen zwischen den beiden verfeindeten Atommächten, die bereits mehrere Kriege gegeneinander geführt haben.
Schon vor der angekündigten Ausreise aller Pakistanis kündigte der Staatssekretär an, dass der wichtigste Grenzübergang, Attari, umgehend geschlossen werde. Die visumfreie Einreise nach Indien, die für bestimmte pakistanische Personengruppen gilt, werde gestoppt. Die Nutznießer dieser Politik hätten 48 Stunden Zeit, um das Land zu verlassen. Des Weiteren würden mehrere pakistanische Diplomaten, darunter die Militärberater der pakistanischen Botschaft in Neu Delhi, bereits des Landes verwiesen. Außerdem hatte die indische Regierung angekündigt, das Äquivalent an indischen Diplomaten aus Islamabad solle abgezogen werden.
Hunderte Festnahmen auf der Suche nach den Tätern
Die indischen Behörden suchten derweil weiter nach den mutmaßlichen Tätern, die für den Tod von 25 Indern und einem Nepalesen verantwortlich sein sollen. Hunderte Personen, die Verbindungen zu militanten Gruppen haben sollen, wurden zur Befragung vorübergehend festgenommen. In den sozialen Medien wurde dabei Kritik an mangelnden Sicherheitsvorkehrungen und einem Versagen der indischen Nachrichtendienste geäußert.
Vereinzelt kam es aber auch zu antipakistanischen Protesten. Die pakistanische Regierung hatte eine Beteiligung an dem Anschlag von sich gewiesen. Wie die Zeitung „The Hindustan Times“ berichtete, hätten indische Nachrichtendienste „digitale Spuren“ der Angreifer zu Unterkünften in den pakistanischen Städten Muzaffarabad und Karachi zurückverfolgt. Diese Orte gelten als die wichtigsten „Drehscheiben“ für frühere Großangriffe der verbotenen Terrorgruppe Lashkar-e-Taiba (LeT). Eine LeT-Splittergruppe namens „The Resistance Front“ (TRF) hatte den Anschlag am Montag in einer nicht verifizierten Stellungnahme in den sozialen Medien für sich reklamiert.
Der Zeitung nach gebe es Hinweise, dass Dutzende gut ausgebildete Terroristen von Pakistan ins Kaschmir-Tal eingedrungen seien. Sie seien vom pakistanischen Militärgeheimdienst ISI über die Standorte indischer Militärlager, die Bewegungen von Polizeikonvois und der Checkpoints informiert worden. Wie die Zeitung „The Hindu“ kommentierte, scheine es sich um die Fortsetzung eines alten Musters des Terrorismus zu handeln, der vom pakistanischen Militär- und Geheimdienstapparat gesteuert und unterstützt werde.
Eine Strategie der „kontrollierten Eskalation“?
Dahinter stehe womöglich der pakistanische Militärchef Asim Munir, der für seine „aggressive Haltung und hohe Risikobereitschaft“ bekannt sei. Der Militärchef, der Kaschmir jüngst als „Halsschlagader“ Pakistans bezeichnet habe, scheine die Strategie der „kontrollierten Eskalation“ wiederzubeleben. So sei unter anderem auch die Zahl der Infiltrationsversuche aus Pakistan gestiegen. Das Gebiet ist seit der Unabhängigkeit des ehemaligen Britisch-Indien in einen von Indien und einen von Pakistan verwalteten Teil getrennt. Beide Länder erheben aber Anspruch auf die gesamte Kaschmir-Region.
Der Anschlag komme demnach zu einem Zeitpunkt, an dem Pakistan vom diplomatischen Radar Indiens weitgehend verschwunden war. In der Öffentlichkeit wurde die Aussetzung des Indus-Vertrags als besonders scharfe Maßnahme am Donnerstag begrüßt. Nach den Bestimmungen des Vertrags steht das gesamte Wasser der „östlichen Flüsse“ des Indus-Systems – Sutlej, Beas und Ravi – Indien zur „uneingeschränkten Nutzung“ zur Verfügung. Pakistan soll Wasser aus den „westlichen Flüssen“ – Indus, Jhelum und Chenab – erhalten.
Für einen kompletten Stopp der Zuflüsse nach Pakistan fehle Indien zwar die Infrastruktur. Indien könne aber zum Beispiel aufhören, Daten über den Wasserfluss sowie den Bau von Staudämmen mit Pakistan zu teilen. Neu Delhi hatte zuletzt ohnehin den Wunsch gezeigt, den Vertrag zu ändern. Beobachtern zufolge könnte die Aussetzung der erste Schritt zur kompletten Aufkündigung des Vertrags sein.