Die Nachrufe auf uns selbst

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Die Osterwoche hat ein Genre ins Bewusstsein gerückt, das es, wie viele letzte Dinge, nicht leicht hat: den Nachruf. Erst starb der Papst, dann die Liebe, im Fall von Bettina und Christian Wulff schon zum dritten Mal, wobei der CDU-Mann einst ja auch drei Anläufe brauchte, um „endgültig“ niedersächsischer Ministerpräsident zu werden.

Vor allem der Tod von Franziskus hat zahlreiche Nachrufe hervorgerufen – oder wenigstens Tweets. Sehr gerne posten Politiker bei solchen Gelegenheiten ein Foto, das sie in Gesellschaft des nun Verstorbenen, seinerzeit aber noch Lebenden zeigt. Man muss allerdings aufpassen, dass das Foto nicht in zu großer zeitlicher Nähe zur Auffahrt in den Himmel entstanden ist, sonst werden noch kausale Zusammenhänge hergestellt wie zuletzt im Fall des Vatikan-Besuchs von Sensenmann J. D. Vance.

Bei jemandem vom Range eines Papstes ist das mit dem Fotonachruf generell ein Problem. Nicht jeder hat, wie Markus Söder, ein schönes Schwarz-Weiß-Bild von einer Privataudienz parat. Und Selfies am offenen Sarg sind ja leider untersagt. Einen kreativen Ausweg fand zuletzt der CSU-Landtagsabgeordnete Karl Freller. In der Nachrufmail, die sein Büro verschickte, hieß es: „MdL Karl Freller, Kultusstaatssekretär a. D. und Landtagsvizepräsident a. D., hat den Tod von Papst Franziskus als ,großen Verlust für die Welt‘ bezeichnet. Wörtlich sagte Freller, der vor seiner politischen Laufbahn katholischer Religionslehrer an der Hermann-Stamm-Realschule in Schwabach war: ,Papst Franziskus gab der Kirche große Glaubwürdigkeit!‘“ Bei der Trauerfeier für seinen Vorgänger Papst Benedikt XVI. in Rom habe Freller der offiziellen bayerischen Delegation angehört und Papst Franziskus persönlich erleben dürfen. „P.S. Die beigefügte Aufnahme von o. g. Trauerfeier stammt von Karl Freller selbst und darf gerne frei – auch ohne Zusammenhang mit obigem Text – sowie ohne Honorar benutzt werden, Urhebernennung wäre wünschenswert.“

An wen richten sich Nachrufe eigentlich?

Derlei Serviceleistungen werfen die Frage auf, an wen sich Nachrufe eigentlich richten. Dem Wortsinn nach ja wohl an den, dem nachgerufen wird. Im Fall des Papstes kann man immerhin noch annehmen, dass er im Himmel hinhört oder – nach einer Zeit des Ankommens – die ganzen Nachrufe wenigstens überfliegt, zumal die von Politikern der CHRISTLICH-Sozialen Union.

Man kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Nachrufe eher irdische Adressaten und Ziele ­haben. Maximilian Krah schrieb auf der Plattform X über Franziskus: „Schlechtester Papst der Kirchengeschichte.“ Damit traf der AfD-Mann nicht nur eine Aussage über den Papst, sondern vor allem eine über sich selbst, nämlich: Krah ist der Mann, der anders als die Kretins der Kartellparteien die gesamte Kirchengeschichte auf dem Kasten hat.

Aber auch dem Journalismus ist Selbstreferenzialität im Nachrufen nicht ganz fremd, freilich nur zur größeren Freude der Leser. Legendär etwa der Bericht eines früheren F.A.Z.-Vatikankorrespondenten über sein letztes Gespräch mit Papst Johannes Paul II.: „Eine Weile schwiegen wir; das schien ihm willkommen.“ Und dann: „Ich merkte, dass ich noch immer seine Hand hielt.“

Auf den Tod Johannes Pauls II. konnte man sich vorbereiten. In solchen Fällen werden Nachrufe vorgeschrieben. Das mag aus Sicht des Betroffenen makaber klingen, heißt aber ja nicht nur, dass dieser krank oder alt ist, sondern auch wichtig genug, um einen Nachruf zu bekommen. Interessanter sind aber die Nachrufe, die erscheinen, wenn einer „jäh“ aus dem Leben scheidet. Innerhalb kürzester Zeit muss dann etwas produziert werden – da landen die Verfasser schnell bei sich selbst: „Erst vor ein paar Tagen saßen wir noch bei einem Vino zusammen am Tiber . . .“

Wer derlei verhindern will, macht es wie Dieter Kunzelmann, täuscht seinen Tod vor und schaut, was so nachgerufen wird, um eventuell korrigierend eingreifen zu können. Oder wie Harald Welzer, der zu Lebzeiten einen „Nachruf auf mich selbst“ veröffentlicht hat. Darin zitiert er Norbert Elias mit einem Satz, der für Nachrufer besonders gilt: „Der Tod ist ein Problem der Lebenden.“