Die erste Unterschrift unter der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika stammt von John Hancock, einem schwerreichen Geschäftsmann, mächtigen Politiker, Finanzier des Widerstands gegen England – und Schmuggler. Ein Staat, der seine Gründung der segensreichen Mitwirkung reicher Schmuggler verdankt, darf sich nicht darüber wundern, wenn die traditionsreiche Profession der Schmuggelei jetzt neues Feuer fängt, da Amerikas Handelsbarrieren so hoch sind wie seit 95 Jahren nicht mehr. Amerikas Präsident Donald Trump errichtete mit seinem neuen Zollregime die höchsten Handelshürden, seit der amerikanische Kongress 1930 das Smoot-Hawley-Gesetz verabschiedete und damit die Weltwirtschaftskrise verschärfte.
Die Empirie ist eindeutig. Besonders hohe Zölle verleiten zu besonders dreisten Versuchen, den Zoll zu vermeiden. Importzölle auf chinesische Einfuhren können inzwischen im Ausnahmefall sogar 245 Prozent erreichen, so zum Beispiel für Elektroautos, deren Schmuggel kompliziert scheint, aber auch Injektionsspritzen und Gummihandschuhe, die leichter zu transportieren sind.
Trump hätte das wissen können, hätte er das von ihm zuletzt so häufig als Amerikas Blütephase herausgehobene vergoldete Zeitalter (Gilded Age) nur genauer studiert. Damals waren die Zölle tatsächlich hoch, die Einkommensteuer war noch nicht eingeführt, und die Wirtschaft boomte, wenn auch längst nicht immer und nicht für alle. Sechs Bankpaniken notiert die Federal Reserve für die Zeit, drei mit nationaler Ausstrahlung. Die von 1873 wird für eine Phase verantwortlich gemacht, die sogar Große Depression hieß, bis 1929 eine wahrhaft große Depression ausbrach und den Titel beanspruchte.
Die Blütezeit der Schmuggelei
Es war zudem die Blütezeit der Schmuggelei. Das zentrale Einfallstor für Güter aller Art war damals der Hafen von New York, berichtet Peter Andreas, Politikprofessor an der Brown-Universität. „Die Höhe der Zölle hat quasi alle zu Schmugglern gemacht.“ Neureiche New Yorker, die mit dem Dampfschiff nach Paris in den Urlaub fuhren, kehrten mit teuren Uhren, Schmuck und anderen Luxusgütern zurück. Obwohl sie sehr wohlhabend waren, wollten sie nicht 30 oder 50 Prozent Aufschlag bezahlen.
Alte Quellen zeigen, dass die Zollbeamten extrem aggressiv waren und das Gepäck aller sehr sorgfältig durchsuchten. Frauen wurden nicht verschont. Sie versteckten ihren Schmuck in ihren Frisuren und ihrer Kleidung. Es gab jeden Tag heftige Konflikte zwischen den Zollbeamten und den Reisenden.
Die Geschichte vom „Prinz der Schmuggler“
Alle möglichen Waren unterlagen enorm hohen Zöllen, berichtet Historiker Andrew Wender Cohen, Professor an der Universität von Syracuse: Seide, Diamanten, Zucker, Tabak, Alkohol und Metallprodukte. Mitte der 1870er-Jahre macht der Fall eines Schmugglers Furore in der jungen Nation: Charles Lawrence wurde der „Prinz der Schmuggler“ genannt, weil er nicht nur Kontakte zu höchsten politischen Kreisen hatte, sondern weil seine Aktivitäten damals gewaltige Größenordnungen angenommen hatten, wie die ausführliche Darstellung des Historikers Cohen zeigt.
Im Jahr 1875 wurde er beschuldigt, den damals größten Zollbetrug in der Geschichte der Vereinigten Staaten geplant zu haben. Er hatte französische Seide, Spitze und Samt im Wert von rund drei Millionen Dollar – heute etwa 60 Millionen Dollar – in die USA geschmuggelt. Seide war damals mit einem Zollsatz von 40 Prozent belegt. Er konnte dank internationaler Kooperation in Irland gefasst und nach Amerika ausgeliefert werden. Er kam frei, weil er Spießgesellen verriet.
Die hohen Zölle hatten ihren Grund. Nach dem Bürgerkrieg war das schwer verschuldete Amerika auf Zolleinnahmen angewiesen. Die von Präsident Abraham Lincoln durchgesetzte Mini-Einkommensteuer war so unbeliebt, dass sie schnell wieder abgeschafft wurde. Die Zölle dienten überdies industriepolitischen Ambitionen: Seidenproduktion, Zuckerverarbeitung und andere junge Industrien sollten, durch Zölle geschützt, gedeihen.
Waren im heutigen Wert von 2,4 Milliarden Dollar
Der Schmuggel aber blühte: Im Geschäftsjahr 1872/73 schätzte der Zollkommissar, dass 36.830 Reisende Waren im Wert von fast 130 Millionen Dollar (heute 2,4 Milliarden Dollar) in die Vereinigten Staaten schmuggelten. Der illegale Handel mit Luxusgütern wie Seide, Spitze und Diamanten boomte. 1877 behauptete ein Ökonom, dass Seide im Wert von 11,7 Millionen Dollar, also 25 Prozent der gesamten Einfuhren, illegal ins Land gelangt sei.
Historiker Cohen zitiert einen Zollinspektor von Niagara namens Charles Edwards, der seine Strenge gegenüber Touristen damit begründete, dass es seine „Pflicht sei, Schmuggler daran zu hindern, eine solche Gelegenheit zu nutzen, um einen riesigen Korb voller Kinderhandschuhe statt Sandwiches in die Vereinigten Staaten zu bringen. . . . Es war keine Kleinigkeit, dreißig Dollar in Gold für die Regierung zu sparen, deren Krieg zur Niederschlagung der Rebellion unser Land mit einer Verschuldung von 2,5 Milliarden Dollar zurückgelassen hatte!“
Die Idee Trumps, mit Zöllen große Teile des Staatshaushalts zu finanzieren, wurde damals praktiziert. Nach Cohens Darstellung hatten die Amerikaner Sympathie für die Idee, weshalb die Schmuggelei speziell im Norden des Landes auch nicht als Kavaliersdelikt angesehen wurde. Das war anders im Süden, wo die Tabak- und Baumwollplantagen-Eigentümer mit wachsender Produktivität nicht nur ungestört exportieren wollten, sondern auch Güter aus Europa ohne Zollaufschlag einführen wollten. Hier wurden Schmuggler gelegentlich als revolutionäre Volkshelden gefeiert, wie der Schmuggler und Seeräuber Jean Laffite.
Während der Prohibition boomte der Alkoholschmuggel
Nach der Einführung der Einkommensteuer 1913 veränderte sich nach und nach auch die Rolle der Zollbehörden. Mit Beginn der Prohibition richteten sie ihr Augenmerk stärker auf illegale Güter. Die Zöllner patrouillierten nun entlang Land- oder Seegrenzen, um Rumschmuggler zu fassen, die oft über weit überlegene Ausrüstung und enorme Budgets verfügten. Die Schmuggler lernten damals, ihre Autos zu tunen, und entwickelten Schnellboote, um den Ermittlern zu entkommen – gaben damit Gesetzgebern eine weitere Lektion: Drückende Zölle beflügeln nicht nur Schmuggel, sondern auch die Kreativität.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs sanken die US-Zölle stetig. Schmuggler konzentrierten sich auf Drogen. Unter den legalen Gütern gehörten Tabak und Zigaretten zu den am häufigsten geschmuggelten Waren. Unterschiedliche hohe Verbrauchsteuern zwischen den USA und Kanada machten den Schwarzhandel lukrativ. Als die kanadische Regierung die Steuern auf Zigaretten zwischen 1982 und 1992 um 500 Prozent erhöhte, begann der Schmuggel von den USA nach Kanada zu blühen. Beteiligt waren anfangs sogar kanadische Tabakkonzerne, die ihre Zigaretten legal in die USA exportierten und durch ein Gebiet der Mohawk am Sankt-Lorenz-Strom zurückbringen ließen.
Die modernen Methoden des Schmuggels
Die Indianer haben bis heute Reservate auf der US-Seite und der Kanada-Seite des Grenzflusses und kontrollieren ein unwegsames Gelände, das als Schmugglerparadies gilt. Sie beanspruchen, dass sie sich aufgrund alter Regierungsverträge nicht nur zwischen den Ländern frei hin- und herbewegen dürfen, sondern auch Waren unversteuert hin und her kutschieren dürfen. Die Rechtslage ist tatsächlich nicht ganz eindeutig. Inzwischen werden die Reservate allerdings vermehrt von kriminellen Banden genutzt, um Marihuana und Menschen in die USA zu schleusen und Waffen und härtere Drogen nach Kanada.
Die modernen Methoden des Schmuggelns können praktiziert werden, weil so viele Güter gehandelt werden und die Zollermittler mit dem Kontrollieren nicht hinterherkommen. Drei gängige Methoden gibt es grob, sagt Timm Betz, Politikprofessor der Washington-Universität in Saint Louis. Man macht gegenüber dem Zoll falsche Angaben zum Wert der eingeführten Waren, zum Herkunftsland der Ware oder zur Ware selbst. Das ist nicht leicht zu entlarven bei ungefähr 11.000 Gütern, die je nach Herkunftsland noch unterschiedlich hoch mit Zöllen belastet sind. Der US-Zoll schafft es nach Betz’ Angaben, rund 3 bis 5 Prozent der Container zu durchleuchten.
Seit dem von Trump mit China entfesselten Handelskrieg gingen die Importe aus dem asiatischen Land um 290 Milliarden Dollar zurück. Etwas weniger als die Hälfte des Rückgangs kann nach einer Analyse von Goldman Sachs mit den modernen Varianten des Schmuggels erklärt werden. Die Güter wurden über Vietnam oder Thailand geschleust oder falsch deklariert, was Menge, Wert oder Beschaffenheit angeht. In Trumps aktuellem Zollregime wird das Geschäft für Schmuggler chinesischer Waren komplizierter, weil die meisten Waren hoch belastet sind. Zugleich werden Ausweichstrategien deutlich lukrativer. Das beste Mittel gegen den Schmuggel legaler Produkte ist es, die Zölle niedrig zu halten. Auch das lehrt die Geschichte.