Wird er Innenminister? Alexander Dobrindt im Porträt

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Im politischen Berlin verbinden sich in manchen Erzählungen von all den zähen Verhandlungsrunden nach der Bundestagswahl nahezu heldenhafte Taten mit dem Namen Alexander Dobrindt. Das begann schon mit dem Ringen um die Zweidrittelmehrheit im alten Bundestag, als anschließend sogar die Grünen zumindest intern freundliche Worte über Dobrindts Auftritt in den Verhandlungen fanden, während sie über das Agieren von Friedrich Merz auch öffentlich klagten. Dobrindt gelang es, einen Zugang zu den Grünen-Fraktionsvorsitzenden zu finden und damit auch einen Weg für den Kompromiss zu bereiten. Das setzte sich fort bis in die letzten Züge der Koalitionsverhandlungen. Und das nicht nur, weil Dobrindt darin schon viele Erfahrungen gesammelt hatte, im Gegensatz zu den meisten anderen auf der Unionsseite.

Am Sonntag und Montag, kurz vor Abschluss der Verhandlungen, hatte sich die Situation nach übereinstimmenden Berichten zugespitzt. Die SPD-Seite hatte am Wochenende Papiere zu Steuererhöhungen verschiedenster Art vorgelegt. Merz machte am Montag bei der nächsten Verhandlungsrunde in der bayerischen Landesvertretung deutlich, dass das mit ihm nicht zu machen sei, sein persönlicher Kredit sei ausgereizt. Offenbar war er bereit, zum Bundespräsidenten zu gehen und die Sache abzublasen. Dobrindt soll dann der Mann gewesen sein, der die Verhandlungen wieder ins Laufen brachte.

Berichtet wurde, wie er in Vieraugengesprächen mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil erst dazu beigetragen haben soll, die Spannungen abzubauen und schließlich eine Lösung zu finden. Konkret ist es offenbar ungefähr so gelaufen: Dobrindt saß mit den Unions-Leuten in deren Zimmer und sah, wie Klingbeil, der mit den Seinen in einem anderen Raum war, des Weges kam. Er ging zu ihm, fragte ihn, ob die SPD die Gespräche wirklich an die Wand fahren wolle. Klingbeil soll ihm versichert haben, das sei nicht der Fall.

Dobrindt fragte seine Leute, ob sie einverstanden wären, wenn er mit Klingbeil unter vier Augen spreche. Antwort: Dann probier’s halt. Er schickte Klingbeil eine Textnachricht. Ging zu ihm, redete mit ihm übers große Ganze, das Land, die Parteien, ging zurück zu seinen Leuten, fragte, ob er der SPD ein Angebot machen könne. Dann ging er mit einem Zettel zu Klingbeil, auf dem er ein paar Eckpunkte notiert hatte: Soli wird nicht abgeschafft, Superabschreibungen kommen, Körperschaftsteuer wird gesenkt, Entlastungen bei der Einkommensteuer. Die beiden hielten immer wieder Rücksprache mit ihren Leuten, Dobrindt mit den Chefs Söder und Merz, sie trafen sich wieder und wieder, das Papier wuchs und wurde schließlich aufs Wesentliche kondensiert. Zwei Tage später, am Mittwoch, stellten die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD den Koalitionsvertrag der Öffentlichkeit vor. Dobrindt saß mit den anderen Unterhändlern im Publikum. Von Steuererhöhungen steht nichts im Koalitionsvertrag.

Nahles nannte Dobrindt einen „Profi“

Dass Dobrindt gut mit Sozialdemokraten kann, ist seit Längerem bekannt. In der großen Koalition unter Angela Merkel galt er als Olaf-Scholz-Versteher. Mit An­drea Nahles verband ihn insbesondere zu deren Zeit als SPD-Fraktionschefin ein fast schon freundschaftliches Verhältnis. Aber Klingbeil? Den duzt er zwar, hatte mit ihm bisher aber nicht näher zu tun.

Nahles sagte mal der F.A.S. über Dobrindt, er sei ein guter Verhandler, weil er den anderen respektiere, wenn er merke, dass der etwas draufhabe, und weil er immer gut vorbereitet sei. „Ein Profi“, „ein würdiger Gegner“. Als sich die große Koalition einst beim Streit um den Paragraphen 219a, der das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche regelte, verhakt hatte, bat Merkel Nahles und Dobrindt, die Kuh vom Eis zu holen – sie schafften es. Auch diesmal war es Dobrindt ernst. Er sei während der Koalitionsverhandlungen „komplett im Tunnel“ gewesen, sagt ein Vertrauter von ihm.

Doch was kommt danach? Es gilt momentan als ziemlich wahrscheinlich, dass Dobrindt das Bundesinnenministerium übernehmen wird. Mit fliegenden Fahnen macht er es allerdings nicht, wie man hört. Es gebe auch Leute in seiner Umgebung, die ihm davon abrieten. Das Innenministerium gilt in der CSU nicht unbedingt als Gewinnerministerium. Die eigenen Leute erwarten viel, sprich: harte Maßnahmen. Die sind aber nicht einfach ins Werk zu setzen, und wenn es doch klappt, macht man sich damit in manchen Teilen der Öffentlichkeit nicht beliebt, dann heißt es schnell: Ja, wo ist denn das „C“ in der CSU geblieben? Innenminister zu sein, verändert auch das Leben: Man muss rund um die Uhr in Habachtstellung sein, weil jederzeit ein Anschlag droht, zu dem man Stellung nehmen muss. Man wird auch rund um die Uhr bewacht. Keine schöne Aussicht für Dobrindt, dem sein Privatleben – er ist verheiratet und hat einen Sohn – heilig ist.

Eher Taktiker als Stratege

Dobrindt ist zwar firm in innenpolitischen Themen, aber doch vor allem ein Generalist und, wie einer sagt, der ihn gut kennt, ein „perfekter Manager der Macht“. Man könnte auch sagen: ein Physiker der Macht. Der Sohn eines Diplomingenieurs und einer Hausfrau kann en dé­tail und durchaus überzeugend erklären, warum, wenn man bei diesem Thema ein bisschen mehr Druck macht und bei jenem Thema ein bisschen lockerlässt, die Wähler sich in diese oder jene Richtung bewegen werden.

Dobrindt neigt allerdings dazu, die Planbarkeit von Politik zu überschätzen. Die scharfe Abgrenzung zu den Grünen, zu der er Söder schon in dessen „grüner Phase“ riet, hat sich nicht wie erhofft in Wählerstimmen materialisiert. Überhaupt sind Dobrindts Erwägungen manchmal eher taktischer als strategischer Natur. Als sein innerparteilicher Gegner Manfred Weber zu einem dialogischen Umgang mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni riet, nutzte Dobrindt die Chance, um sich zusammen mit Söder, der Weber ebenfalls kleinhalten will, quasi als antifaschistisches Bollwerk gegen Weber-Meloni zu profilieren. Angesichts der Bedeutung, die Meloni seither gewonnen hat, ist davon nicht mehr viel zu hören.

Das Machtzentrum der neuen Koalition soll der Koalitionsausschuss sein. Dobrindt selbst hat dafür geworben. Als Minister würde er diesem aber möglicherweise nicht angehören – als Landesgruppenchef definitiv. Es gibt auch warnende Beispiele für den Wechsel ins Ministeramt. Michael Glos zuvorderst. Der langjährige Landesgruppenchef wurde als Wirtschaftsminister nicht glücklich. Nicht ganz unähnlich ging es Dobrindt selbst im Bundesverkehrsministerium. Dort arbeitete er sich an der Umsetzung der Pkw-Maut ab, die im von ihm geleiteten Wahlkampf 2013 bestens funktioniert und die CSU zumindest kurz auf alte Höhen zurückgeführt hatte. Aber er brachte sie dann buchstäblich nicht auf die Straße. Mit wenigen engen Mitarbeitern grub er sich zu der Zeit im Ministerium ein – dabei ist es eher sein Ding, rauszugehen, zu analysieren, zu attackieren, zu spielen. Nicht umsonst hatte er seine besten Zeiten als CSU-Generalsekretär und eben als Landesgruppenchef – zwei artverwandte Ämter.

Freilich ist der Dobrindt von heute nicht mehr der von damals. Er denkt zwar nach wie vor in schmissigen Überschriften, aber Provokationen wie den „Gurkentruppen“-Vorwurf gegen die FDP, die „Falschmünzer“-Unterstellung gegen den früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi oder die Ausrufung einer „konservativen Revolution“ sind von ihm seit Längerem nicht mehr überliefert. Hinzu kommt, dass ihm womöglich auch gar nicht viel anderes übrig bleiben wird, als das Ministeramt anzunehmen. Täte er es nicht, würde ihm das möglicherweise als Pflichtverweigerung gegenüber dem von ihm durchaus hochgeschätzten Vaterland ausgelegt werden. Im Übrigen ist die Konstellation heute günstiger, als sie etwa von 2018 bis 2021 für Innenminister Horst Seehofer war, der in der Flüchtlingspolitik mit Merkel über Kreuz lag.

Dobrindt und der „Zugspitzkreis“

Es gibt darüber hinaus auch keinen, der sich sonst aufdrängt. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, der am ehesten das freundliche Gesicht der Zurückweisungen sein könnte, will wohl sowieso nicht, gilt auch nicht mehr als Mann der Zukunft und käme, ohne Bundestagsmandat, von außen, was für ihn schlecht wäre und von der Landesgruppe nicht gern gesehen würde. Andrea Lindholz, eine andere, deren Name hin und wieder fürs Innenressort ins Spiel gebracht wurde (und sei es als Staatssekretärin), ist schon auf den Posten der Bundestagsvizepräsidentin wegbefördert worden.

Insbesondere diese Personalie ist interessant. Würde Lindholz Ministerin, könnte es Dorothee Bär wohl nicht werden. Sie ist ebenfalls eine Frau aus Unterfranken – steht aber Dobrindt viel näher. Wie er ist sie 2002 in den Bundestag gekommen, beide gehören zum „Zugspitzkreis“. Auf dem höchsten Berg Deutschlands, in Dobrindts oberbayerischer Heimat gelegen, taten sich 2007 mehrere junge CSU-Politiker zusammen, um den damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber zu stützen – und sich gegenseitiger Karrierehilfe zu versichern. Der Kreis musste Federn lassen, etwa durch den Abgang von Andreas Scheuer, schafft es aber doch immer wieder, sich in Stellung zu bringen und neue Leute an sich zu binden.

Zuletzt wurde Dobrindt einstimmig im Amt des Landesgruppenchefs bestätigt. Dennoch ist seine Macht klar begrenzt. Das muss in einem Text, in dem Markus Söder – womöglich auch nach Dobrindts Geschmack – schon viel zu lange nur am Rand vorgekommen ist, noch hervorgehoben werden. Der CSU-Chef ist es, der am Ende die Kabinettsposten für seine Partei vergibt. Dobrindt kann ihm auch nicht gefährlich werden. In Bayern hat er keine wirkliche Machtbasis, und obschon er im kleinen Kreis zu wirken vermag, ist er keiner, dem die Herzen oder auch nur die Lacher zufliegen, etwa im Bierzelt.

Einst war Dobrindt eindeutig dem Seehofer-Lager zuzuordnen. Dass er sich auch unter dessen Widersacher Söder oben halten konnte, zeigt seine Wendigkeit, aber auch seine Unabkömmlichkeit. Dass er nun die Qual der Wahl zwischen verschiedenen Ämtern hat, ist unter Söder alles andere als eine Selbstverständlichkeit.