Warum die EU die Neuwahlen in Deutschland sehnlich erwartet

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Der luxemburgische Ministerpräsident Luc Frieden wies kürzlich darauf hin, dass sein Land von drei Staaten umgeben sei, in denen die Regierung keine Mehrheit im Parlament habe. Das stimmt, doch aus ganz unterschiedlichen Gründen. In Belgien wird ein halbes Jahr nach der Parlamentswahl immer noch um eine Regierungskoalition aus fünf Parteien gerungen.

In Frankreich ist durch die vom Präsidenten erzwungene Neuwahl der Nationalversammlung eine strukturelle Mehrheit verloren gegangen. In Deutschland kann der Bundespräsident dagegen nach der Abstimmung des Bundestags über die Vertrauensfrage, die der Bundeskanzler am Montag stellen will, den Weg für eine vorgezogene Wahl frei machen. Das eröffnet den Bürgern eine Chance, die politische Lähmung zu überwinden.

Tatsächlich warten auch die Institutionen der Europäischen Union und die meisten Mitgliedsländer sehnlichst auf einen Wechsel in Berlin. Die gescheiterte Ampelkoalition hat für die Europäische Union keinen Aufbruch gebracht. Statt eine „aktive Europapolitik“ mit einem „konstruktiven Gestaltungsanspruch“ zu betreiben, statt sich „frühzeitig zu Vorhaben der Europäischen Kommission zu positionieren“ – alles Ziele aus dem Koalitionsvertrag –, stifteten die drei Parteien immer wieder heillose Verwirrung in Brüssel.

Bei wichtigen Gesetzesvorhaben über eine neue Abgasnorm, zur Überwachung von Lieferketten und zur Regulierung Künstlicher Intelligenz war lange Zeit nicht klar, wo Deutschland stand. Nicht selten führte das dann zu Enthaltungen, dem berüchtigten „German Vote“. Dem Verbot von Verbrennermotoren stimmte die Regierung erst zu, wollte dann aber nachverhandeln. Bei der Reform der Asylpolitik musste Scholz ein Machtwort sprechen.

Mit Verlässlichkeit hatte das nichts zu tun. Auch in außen- und handelspolitischen Fragen nahmen die europäischen Partner allzu oft eine Kakophonie wahr. Während der Wirtschaftsminister und die Außenministerin, beide von den Grünen, die strategische Abhängigkeit von China vermindern wollten, trat der Bundeskanzler bei jeder Gelegenheit auf die Bremse. Ähnlich war die Konstellation, wenn es um Sanktionen gegen Russland oder die Unterstützung der Ukraine ging. Wenn andere versuchten, die Berliner Position herauszufinden, konnte man nur antworten: Kommt darauf an, wen man fragt.

Vor vollendete Tatsachen gestellt

Es gab aber auch das entgegengesetzte Phänomen – einsame Entscheidungen in Berlin, mit denen die Partner vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Das betraf insbesondere den „Doppel-Wumms“ im Herbst 2022. Während die EU-Partner über einen gemeinsamen Preisdeckel debattierten, preschte die Bundesregierung mit einem 200 Milliarden Euro schweren Sonderfonds vor, der die Energiekosten in Deutschland deckeln und heimische Unternehmen stützen sollte.

Enge Partner zeigten sich düpiert, der französische Präsident Macron warnte öffentlich gar vor einer „Isolation“ Berlins. Auch von der plötzlichen Entscheidung, an allen deutschen Außengrenzen wieder zu kon­trollieren, wurden einige überrascht. Im Koalitionsvertrag stand dagegen das Versprechen, Ausnahmeregelungen im Schengenraum „restriktiver und nicht ohne Konsultationen unserer europäischen Partner zu nutzen“.

Die Irritationen haben viel mit dem Auftreten des Bundeskanzlers zu tun. Olaf Scholz nahm die Kritik anderer nicht ernst, weil diese sie nur öffentlich äußerten, angeblich aber nicht im direkten Gespräch mit ihm. Tatsächlich war das jedoch ein umso größeres Warnzeichen: Offenbar sahen die Partner keinen anderen Weg, um den Kanzler zu erreichen, als ihn öffentlich zu kritisieren.

Überliefert wird etwa, wie Scholz, Macron und der damalige niederländische Ministerpräsident Rutte im Oktober 2022 über die Energiepolitik diskutierten. Rutte und Macron waren sich in einem Punkt einig und wollten wissen, wie Scholz es sah. Der soll nur die Arme verschränkt und nichts gesagt haben. Dieses Verhalten ließ sich auch bei seinen Pressekonferenzen nach Gipfeltreffen oft beobachten, selbst wenn er ein paar Worte von sich gab.

Erinnerungen an Angela Merkel

Von Merkel waren die Partner gewohnt, dass sie stets um Kompromisse rang und versuchte, alle Staaten einzubinden. In ihrer Zeit war es auch üblich, dass Berlin und Paris Debatten mit gemeinsamen Positionspapieren prägten und sich vor wichtigen Entscheidungen abstimmten, gerade auch auf der politischen Ebene.

Von der deutsch-französischen Achse ist eigentlich nur eine Kommissionspräsidentin geblieben, die sich um Lösungen bemüht, mit denen beide Seiten leben können. Auf Dauer ist das allerdings zu wenig, um Europa voranzubringen und im globalen Wettbewerb zu bestehen. Die meisten Akteure hoffen deshalb auf einen Neuanfang in Berlin.