So schmutzig kann der Handelskrieg noch werden

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In der langen Geschichte transatlantischer Handelskonflikte ist schon um so manches kostbare Gut gerungen worden, doch wohl keines ist so berüchtigt wie die Banane. Die Europäer bevorzugten in den Neunzigerjahren die Früchte aus ihren ehemaligen Kolonien in der Karibik mittels hoher Zölle, zum Nachteil des US-Konzerns Chiquita, der in Südamerika anbaute. Hinzu kam – offiziell anders begründet – eine Regel, die jeder EU-Kritiker kennt: Bananen höherer Handelsklassen durften nicht mehr „ungewöhnlich gekrümmt“ sein – zum Nachteil der südamerikanischen Variante.

Die Amerikaner zogen vor die Welthandelsorganisation, die „Banana Wars“ wurden zum längsten handelspolitischen Zwist seit dem Zweiten Weltkrieg. Vor Gericht verlor die EU („ein historischer Moment“, so der WTO-Chef), sie öffnete ihren Markt aber so langsam, dass Chiquita Insolvenz anmelden musste.

So kurios der Konflikt war, bietet er ein Beispiel dafür, welche unkonventionellen Mittel es im Waffenarsenal eines Handelskrieges gibt. Seit Donald Trump Anfang April fast die ganze Welt mit Zöllen überzogen hat, stürzen sich die Nationen in einen Wirtschaftskrieg, wie man ihn seit 100 Jahren nicht gesehen hat – und finden immer neue Wege, ihre Wirtschaftskraft zur Waffe zu machen. Gegenzölle sind die offensichtlichste Waffe im Arsenal, aber nicht die einzige. Vor manchem schreckt man, wie in echten Kriegen, zurück. Vieles andere ist bereits im Einsatz. „Es gibt nichts im internationalen wirtschaftlichen Austausch, das nicht schon mal als Sanktion verwendet wurde“, sagt der Präsident des Wifo-Instituts Gabriel Felbermayr.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Die Massen mobilisieren

Die kanadische Regierung reagierte auf die US-Zölle im Januar mit einer „Buy Canadian“-Kampagne. Das gab schöne Bilder für die Medien her, allerdings ist die Wirkung solcher Boykotte begrenzt. „Boykotte sind politisch wirksam, wirtschaftlich nicht“, sagt Handelsökonom Julian Hinz. Sie funktionierten nur bei wenigen Verbraucherprodukten wie Whiskey, bei denen offensichtlich sei, dass sie aus Amerika kommen. Bei Vorprodukten spielten Boykotte hingegen keine große Rolle. Allerdings könne man durchaus politischen Druck aufbauen, wenn amerikanische Whiskey-Produzenten auf Fox News über die Boykotte klagen – auch wenn der tatsächliche volkswirtschaftliche Schaden klein ist.

Die Finanzmärkte aufheizen

Als mächtigster Gegner für Donald Trump hat sich bisher der Anleihemarkt entpuppt. Erst nachdem die Kurse seiner Staatsanleihen stark gefallen waren, setzte Trump einen Teil der Zölle wieder aus. Spekuliert wurde, ob Länder den gezielten Verkauf von Anleihen als Druckmittel verwendet haben. Lässt sich der Markt so instrumentalisieren? Infrage kommt das wohl nur für größere Länder mit entsprechend großen Anleihereserven. „Niemanden interessiert, was Kanada denkt“, sagt der Harvard-Professor Kenneth Rogoff im F.A.S.-Interview. Es sei aber sehr plausibel, dass China verkauft hat. „Und ich glaube, nicht nur China.“ Allerdings sind auch die Reserven ein zweischneidiges Schwert. Länder, die ihr Vermögen in Dollar-Anleihen halten, machen sich ihrerseits verwundbar für amerikanische Sanktionen.

Regeln zur Waffe machen

Dass die in dieser Woche verhängten Strafzahlungen in Höhe von 700 Millionen Euro gegen die US-Konzerne Meta und Apple etwas mit den Zöllen zu tun haben, hat die EU bestritten. Metas oberster Lobbyist war bemüht, das anders darzustellen, als er sagte, die Kommission erhebe damit einen „Multimilliarden-Zoll“ gegen das Unternehmen. Handelsökonom Gabriel Felbermayr sieht ein breites Spektrum an Möglichkeiten, die europäische Regulierung als Mittel in einem Wirtschaftskrieg einzusetzen – so wie einst im Falle der Banane. Regulierung habe immer auch „protektionistische Elemente, auch wenn das in der EU gern bestritten wird.“

Er nennt als Beispiel die europäischen Digitalregeln: „Im Extremfall kann man sagen, eine Plattform wie X wird einfach verboten, oder es wird verboten, dort Werbung zu schalten.“ Er warnt allerdings, man müsse „sehen, was man damit auslöst und ob man nicht die eigenen Interessen trifft.“ Schließlich habe Europa auch ein Interesse daran, dass es eine Digitalwirtschaft gibt. Die Gefahr besteht zudem, einen Regulierungsprozess, der eigentlich unabhängig agieren soll, übermäßig zu politisieren.

Konzerne bestrafen

Die EU hat zuletzt wieder lauter über eine sogenannte Digitalsteuer auf die Umsätze von Techkonzernen wie Google, Meta und Amazon nachgedacht. Ob eine Steuer das richtige Werkzeug ist, ist aus zwei Gründen fraglich. Erstens weil die EU sie womöglich ohnehin einführen möchte. Wird sie zur Verhandlungsmasse in einem Zoll-Deal, würde sich Europa dieses Instrumentes für andere Zwecke berauben.

Und zweitens, weil, ähnlich wie bei Zöllen, die Europäer am Ende auf den Kosten sitzen bleiben könnten. Die Ökonomin Dominika Langenmayr hat ausgewertet, wie sich die bereits existierende Digitalsteuer in Frankreich im Falle von Amazon auswirkt. Die Plattform erhöhte die Gebühren für Händler, die gaben die Kosten an ihre Kunden weiter. „Am Ende wird die Steuer größtenteils von den Konsumenten vor Ort getragen“, sagt Lan­genmayr. Unklar ist, inwieweit das auch bei anderen Geschäftsmodellen wie dem von Google der Fall wäre.

Wechselkurse manipulieren

Sollte China seine Währung, den Renminbi, systematisch abwerten, würde das nicht nur die Amerikaner treffen. In den Wirtschaftskonflikten der Dreißigerjahre griffen Länder vielfach zu diesem Mittel, um ihre Position auf Kosten ihrer Nachbarn zu stärken. Die Abwertung macht die eigenen Exporte günstiger und gleicht so den Zoll aus. Doch aktuell macht allein die Höhe der Zölle gegen China dies unrealistisch. „Wenn es um Zölle von wenigen Prozent geht, kann man das vielleicht noch ausgleichen“, sagt Ökonom Julian Hinz. „Bei Zöllen von fast 150 Prozent gibt es dieses Mittel nicht mehr.“

Zudem würde eine Abwertung nicht den Amerikanern gezielt schaden, sondern alle eigenen Exporte erleichtern – auf Kosten der eigenen Importe. Für „eher theoretisch“ hält Hinz dieses Szenario. Für Europa mit seiner frei konvertierbaren Währung und einer unabhängigen Zentralbank ist die Abwertung ohnehin keine Option. „Das erfordert ein Instrumentarium, das im Westen nicht vorhanden ist“, sagt Handelsökonom Felbermayr.

Schwächen ausnutzen

China hat Mitte April die Ausfuhr Seltener Erden blockiert, ein Produkt, für dessen Verarbeitung es ein Monopol hat. „Für China ergibt das Sinn, weil es große Teile der globalen Lieferkette kontrolliert“, sagt Lisandra Flach, Handelsökonomin am Münchner Ifo-Institut. Europa hingegen müsse genau prüfen, welche Güter sich für die USA nicht ersetzen lassen. Da die EU kaum über strategisch wichtige Rohstoffe verfügt, sind das vor allem Maschinen. Eine weniger rabiate Maßnahme als der komplette Exportstopp wäre eine Besteuerung. „Europa könnte natürlich zu den USA sagen: Ihr möchtet doch eine eigene Chipindustrie aufbauen. Dafür braucht ihr Maschinen von Trumpf oder ASML“, sagt Gabriel Felbermayr. Darauf könne die EU eine Exportsteuer erheben. Hier hat Europa ein Monopol, die Amerikaner könnten nicht ausweichen. Druck könnte die EU auch über ihre Pharmaexporte ausüben, die in Amerika ohnehin schon teuer sind.

Häfen dichtmachen

Auch auf der Importseite lassen sich härtere Maßnahmen als Zölle ergreifen, indem die Einfuhr bestimmter Produkte komplett gestoppt wird. In der vergangenen Woche wies China amerikanische Boeing-Flugzeuge ab. Schon im März hatte das Land den Importeuren amerikanischer Sojabohnen die Lizenz entzogen. Offizielle Begründung dafür waren unzulässige Schutzmittel, die Entscheidung kam allerdings am selben Tag, an dem eine erste Runde von US-Zöllen gegen China in Kraft trat. Sojabohnen sind der wichtigste amerikanische Export in die Volksrepublik, der sich zudem durch andere Anbieter etwa in Brasilien ersetzen lässt.

Weiter eskalieren

Nur die Phantasie setzt den Handelskriegern Grenzen – und die Sorge, dass man manche Schritte nicht leicht zurücknehmen kann. Jeder kann zum Spielball werden: China hat zuletzt Hollywood-Filme aus den Kinos verbannt, während Donald Trump Jr. auf der Plattform X schrieb, es sei eine gute Idee, chinesische Studenten abzuschieben.

Der Politikwissenschaftler Tobias Gehrke hat für den European Council on Foreign Relations eine lange Liste möglicher Gegenmaßnahmen zusammengestellt, von offensichtlichen wie Zöllen bis zu ausgefalleneren: dem Abraten von touristischen Reisen in die USA, einer Steuer auf transatlantischen Schiffverkehr oder Eingriffen in den von den USA dominierten Markt für Cloud- und Satelliteninfrastruktur. „Das Problem ist: Die niedrig hängenden Früchte sind gepflückt“, sagt Gehrke. Gleichzeitig habe Europa noch nie mit Gegenmaßnahmen abseits des Güterverkehrs zurückgeschlagen. „Wir sind hier in unkartiertem Gelände“, weil niemand die Folgen abschätzen könne.

Als letztes Mittel bleibt der EU das sogenannte Antizwangsinstrument, das der Kommission umfangreiche Kompetenzen einräumt, sich auch über bestehende Regeln hinwegzusetzen, etwa den Schutz geistigen Eigentums aufzuheben oder Unternehmen außergewöhnliche Zwangs­maßnahmen aufzuerlegen – vorausgesetzt, die Mitgliedstaaten finden zu einer qualifizierten Mehrheit. „Dann könnte man wirklich alles machen“, sagt Gehrke. „Dieses Instrument ist wirklich scharf.“ Damit ginge aber auch eine ganz neue Eskalation einher, die gut überlegt sein will.

Den Spielregeln folgen

Eine Option schließlich steht Amerikas Handelspartnern weiterhin offen, die in einer regelbasierten Handelsordnung eigentlich der erste Schritt sein sollte: die Klage bei der Welthandelsorganisation. Große Hoffnungen macht sich niemand, dass sich damit etwas erreichen lässt. Schließlich haben die Amerikaner deutlich gemacht, dass sie sich nicht an deren Regeln gebunden fühlen. Dennoch hält Ifo-Ökonomin Lisandra Flach die Klage für eine gute Idee: „Es wäre als Signal gegenüber anderen Ländern wichtig, dass die EU sagt: Wir wollen weiter WTO-konform handeln.“ Zu viel sollte man sich davon aber nicht versprechen: „Es ist nur ein Signal. Effektiv wird es nicht sein.“