Merz geht den unbequemen Weg

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An dem Tag, an dem es darum geht, wer was wird in der Bundesregierung, und die CDU ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag erteilen soll, dankt Friedrich Merz beim kleinen Parteitag am Anfang einem Mann, der bleibt, was er ist: Carsten Linnemann. Der habe sich entschlossen, „seine sehr erfolgreiche Arbeit“ als Generalsekretär der CDU fortzusetzen und nicht Teil der Bundesregierung zu werden. Merz spricht Linnemann seinen „herzlichen Dank“ aus dafür, dass er weiter arbeiten wolle an der „Weiterentwicklung der CDU“.

Linnemann dankt Merz kurz darauf, dass der wiederum Verantwortung übernehmen will als Bundeskanzler – und gibt ihm mit auf den Weg, dass die CDU nicht die Außenstelle des Bundeskanzleramts sein werde, nicht nur die Begleitband der Bundesregierung. Sie werde ihre eigenen Hits schreiben. Stehender Applaus. Und dann ging es schnell von dem Partei- in den Regierungsmodus – inklusive der Vorstellung der CDU-Minister.

Nach einem Bundesparteitag ist der Bundesausschuss der CDU das zweithöchste Gremium, und im Gegensatz zum Parteitag hat er den Vorteil, dass er mit einer weitaus geringeren Anzahl von Delegierten nicht nur kostengünstiger ist – sondern auch deutlich berechenbarer für die Parteispitze. Erst kurz vor der Bundestagswahl hatte die CDU ihr Statut wieder so geändert, dass es reicht, wenn der Bundesausschuss dem Koalitionsvertrag zustimmt.

Schon bevor die Delegierten am Mittag im Berliner Hotel Estrel zusammenkommen, hat Merz in den Gremien der Partei nicht nur die Liste seiner Minister vorgelegt, sondern auch verkündet, dass er zusammen mit Markus Söder (CSU) Jens Spahn als Fraktionsvorsitzenden vorschlagen möchte. Alexander Hoffmann soll neuer Vorsitzender der CSU-Landesgruppe werden. Am 5. Mai sollen Spahn und Hoffmann gewählt werden in der Fraktion, am 6. Mai dann Merz zum Bundeskanzler im Bundestag. Und weil Söder in Bayern auch seine CSU-Minister vorstellt, ist den Delegierten klar, wem sie auf ihrer Seite mit der Zustimmung zum Koalitionsvertrag den Karrieresprung möglich machen: allen voran natürlich Friedrich Merz, dem angehenden Bundeskanzler.

Kritik vom Arbeitnehmerflügel

Merz hatte am Wochenende die letzten Gespräche geführt, um seine Ministerliste fertigzustellen. Dass man es aber kaum schaffen kann, mit einer Liste alle glücklich zu machen und alle regionalen, inhaltlichen oder persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen, zeigt sich auch am Montag. Nicht nur weil Dennis Radtke, der Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), sich umgehend öffentlich empört, dass keiner aus seinem Flügel es ins Kabinett geschafft habe. „Eine Regierung ohne Beteiligung der CDA kannte ich bisher nur aus Zeiten, in denen die CDU in der Opposition war“, schreibt er auf der Plattform X. Nein, auch im niedersächsischen CDU-Landesverband sorgte die Kabinettsliste für kräftigen Ärger hinter den Kulissen. „Das geht so nicht“, heißt es von einflussreicher Stelle.

Der drittgrößte CDU-Landesverband wird künftig keinen Minister im Kabinett stellen, sondern nur drei Parlamentarische Staatssekretärinnen. Dies wird im niedersächsischen Landesverband übereinstimmend als Geringschätzung gewertet. Vergleiche werden gezogen: Der viel kleinere Landesverband Schleswig-Holstein stelle künftig zwei Minister, auch Rheinland-Pfalz sei reich bedacht worden. Nach Informationen der F.A.Z. soll Merz dem niedersächsischen Europaabgeordneten David McAllister das Außenministerium angeboten haben, was dieser allerdings in der vergangenen Woche ablehnte. Der ehemalige Ministerpräsident hatte dem Vernehmen nach zuvor parteiintern signalisiert, dass er seine Zukunft weiterhin in Brüssel sieht.

Merz bot dem niedersächsischen Landesverband auch das Amt des Europa-Staatsministers an, das im Außenministerium angesiedelt ist. In Niedersachsen hätte man erwartet, nach der Absage McAllisters entweder das Verkehrs- oder das Gesundheitsministerium zu erhalten, deren Besetzung nicht aus primär fachlichen Gründen erfolgt sei und bei denen Merz „Spielraum“ gehabt habe. Zudem gab es in der niedersächsischen CDU – und dem Vernehmen nach nicht nur dort – Irritationen über die karge Kommunikation von Merz mit den Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten über die Postenverteilung in Berlin. „Das muss sich ändern“, heißt es, Merz müsse die Spitzen der Landesverbände einbinden.

Merz geht auf die Junge Union zu

Beim Bundesausschuss versucht Merz erst einmal, die Delegierten einzubinden. Er geht auf die Kritik am Koalitionsvertrag ein, sagt an einer Stelle sogar, dass die Kritik stimme, dass man an manchen Stellen „ziemlich unklar geblieben“ sei. Wo man relativ schnell Reformen auf einen geordneten Weg bringen müsse. Zum Beispiel bei der Rentenpolitik, der Gesundheit, der Pflege. Auch an die jungen Delegierten richtet Merz sich, ausdrücklich erwähnt er den Chef der Jungen Union, Johannes Winkel. Er habe seine öffentlich geäußerte Kritik zum Koalitionsvertrag gehört und nehme das sehr ernst.

Auch über die aufgenommenen Schulden, die Reform der Schuldenbremse und das Sondervermögen Infrastruktur spricht Merz. Er sagt, dass es „keine Euphorie“ gebe mit Blick auf den Vertrag. Die Koalition sei auch kein gesellschaftspolitisches Projekt. „Wir bilden eine Arbeitskoalition“, sagt Merz. „Wir wissen, dass wir in der Pflicht stehen, Erfolg zu haben.“

Warum man in der Pflicht stehe, hat vorher Linnemann schon mit Blick auf den Aufstieg der AfD ausgeführt. Merz hatte bereits in den Parteigremien am Morgen auch auf den Erfolg der FPÖ bei der Wahl in Wien am Wochenende verwiesen. Merz sagt, es gehe um den Erfolg „bei der Selbstbehauptung der demokratischen Mitte unseres Landes“. Dafür, das führt Merz aus, brauche er einen Politikwechsel, den er natürlich im Koalitionsvertrag angelegt sieht. Merz spricht über die Ukraine und die außenpolitischen Herausforderungen, über Amerika und den Handel, und er spricht über die Migration. Ab Tag eins würden die deutschen Staatsgrenzen noch besser kontrolliert werden, Zurückweisungen solle es im noch größeren Umfang geben. Nach Afghanistan und nach Syrien werde man abschieben.

Trotz mancher Kritik schon vor, aber auch während des Bundesausschusses in der Aussprache nach der Rede von Merz werben die Redner durchweg um Zustimmung. Das gilt für die CDA, aber auch für den Wirtschaftsflügel. Gitta Connemann, die Vorsitzende der Mittelstandsunion, sagte, die Botschaft dieses Koalitionsvertrages sei, „Leistung muss sich wieder lohnen“. Und Leistung werde sich wieder lohnen. Kurz darauf endet die Aussprache. Die Delegierten stimmen mit überwältigender Mehrheit zu.

Nun fehlen nur noch die Sozialdemokraten, deren Mitgliederbefragung in der Nacht zum Mittwoch endet. Merz hat am Montag im Hotel Estrel noch eine angenehme Aufgabe zu erledigen. Er stellt unter dem Beifall der Delegierten die Minister vor, die die Christdemokraten ins Kabinett Merz schicken wollen.