Ein Konklave gehört nicht nur im Leben eines Kardinals der römisch-katholischen Kirche zu den eher seltenen Ereignissen. Auch in Wettbüros kommt es nicht allzu häufig vor, dass man anstatt auf Pferde oder den Ausgang von Fußballspielen darauf wetten kann, welcher Mann auf die Loggia des Petersdomes tritt, nachdem das „Habemus Papam …“ verklungen ist.
Doch einen gewichtigen Unterschied gibt es zwischen dem gewöhnlichen Treiben in Wettbüros und der Aktivität vor einer Papstwahl schon. Über die Teilnehmer an Pferderennen und die Gegner auf dem Fußballplatz liegen in der Regel ungleich mehr Informationen über die traditionellen Stärken und die aktuelle Form vor als über die Eigenschaften und Verdienste der Männer, die von welcher Seite und mit welchen Absichten auch immer in den Wochen und Tagen vor dem Konklave für die Nachfolge des kurz zuvor verstorbenen Kirchenoberhauptes ins Gespräch gebracht werden.
Dieser Schleier des Nichtwissens umgibt aber nicht allein die virtuellen Zaungäste dieses ebenso einzigartigen wie geheimnisumwitterten Rituals, das sich unter Michelangelos Ewigem Gericht in der Sixtinischen Kapelle abspielt. Auch die wahlberechtigten Kardinäle selbst, derzeit 135 an der Zahl, sind einander fremder, als es die einheitliche Gewandung suggeriert.
Der Kardinalsrat
Zwar hat Papst Franziskus in den zwölf Jahren seines Pontifikates nahezu achtzig Prozent der heute noch nicht achtzig Jahre alten Kardinäle in das nach wie vor ausschließlich aus Männern bestehende Kollegium berufen. Doch hielt es das Kirchenoberhaupt nicht für nötig, alle Kardinäle in gewissen Abständen zu gemeinsamen Beratungen nach Rom zu rufen. Genauso sah er davon ab, aus den Kardinälen, die er mit der Leitung der vatikanischen Behörden betraute, ein Beschluss- oder auch nur Beratungsgremium zu bilden, das einem Kabinett auch nur entfernt ähnlichgesehen hätte.
Mochte Franziskus die Kurie als solche wie seine beiden Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI. nicht sonderlich hoch schätzen, so setzte er bei der Reform der Kurie auf einen neuen „Kardinalsrat“, der sich aus einer einstelligen Zahl von Kardinälen zusammensetzte, die entweder die Kurie oder die verschiedenen Erdteile repräsentierten. Die Idee ist daher nicht fernliegend, dass unerfahrene Papstwähler im Kreis der Mitglieder der sogenannten K-8 nach potentiellen Nachfolgern Ausschau halten oder sich zumindest an ihnen orientieren – dies aber nur dann, wenn man nicht nach Kandidaten Ausschau hält, die gerade nicht für inhaltliche oder szenische Kontinuität mit dem vergangenen Pontifikat stehen.
Denselben prüfenden Blicken ausgesetzt ist eine Gruppe von Kardinälen, die Papst Franziskus in den vergangenen Jahren mit Aufgaben betraut hat, die sie aus der Menge von mehr als 230 Mitgliedern des Kardinalskollegiums herausheben sollte: Es sind dies die Geistlichen, die vor allem deswegen weltweit bekannt sind, weil sie während der Synode genannten mehrwöchentlichen Versammlungen von Bischöfen, Ordensleuten und auch Laien jeglicher Couleur, in denen Papst Franziskus die wichtigste Signatur seines Pontifikates gesehen hat, eine herausgehobene Funktion innehatten.

Eine Schlüsselrolle auf beiden Ebenen hatten in den vergangenen Jahren gleich zwei Kardinäle aus Europa inne: Pietro Parolin, ein 70 Jahre alter Italiener, war als Leiter des sogenannten Staatssekretariats der ranghöchste und auch engste Mitarbeiter des verstorbenen Papstes. Gegen ihn ging auf diplomatischem wie auch kirchenpolitischem Parkett nichts, ohne ihn wenig.
Offene Feinde hat der langjährige Kirchendiplomat sich darüber nicht gemacht, wenn auch seine Appeasement-Politik gegenüber China nicht überall auf Wohlwollen stößt. Und zu den nicht gering zu schätzenden Fähigkeiten des Italieners gehört es auch, dass sein Name mit dem jüngsten Skandal um die Vatikanfinanzen nur selten in Verbindung gebracht wird, obwohl dieser sich in seinem unmittelbaren Verantwortungsbereich abgespielt hat.

Das Vertrauen des Papstes im Blick auf das Gelingen der jüngsten Synoden genoss der Erzbischof von Luxemburg, Jean-Claude Hollerich. Wie Franziskus gehört der 66 Jahre alte Geistliche dem Jesuitenorden an – was eher ein Handicap als ein Vorteil sein dürfte, auch wenn er viele Jahre in Japan lebte und der dortigen Ordensprovinz angehört. Eine Zeit lang war er Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der EU. Als einer der beiden Koordinatoren der letzten Weltsynode ist Hollerich vielen Bischöfen bekannt.

Für Afrika gehörte dem Kardinalsrat zuletzt der Erzbischof von Kinshasa an, Fridolin Ambongo Besungu. Das erklärt auch, warum sein Name immer wieder dann fällt, wenn es heißt, es sei höchste Zeit für einen Papst aus Afrika. Spätestens seit er im Namen aller afrikanischen Bischöfe die im Dezember 2023 vom Vatikan veröffentlichte Erklärung „Fiducia supplicans“ ablehnte, die eine Segnung homosexueller Paare durch katholische Priester ermöglicht, gilt der 65 Jahre alte Kardinal als Wortführer der afrikanischen Bischöfe. Zudem gehört er dem Kapuzinerorden an und verfügt damit über ein weiteres Netzwerk.
Franziskus sah die Zukunft der Kirche in Asien
Als Fingerzeig für das nächste Konklave verstanden werden könnte auch der Hinweis von Papst Franziskus, die Zukunft der katholischen Kirche liege in Asien. Worauf sich diese Prognose stützt, ist indes nicht klar. Sollte es die Zahl der Katholiken sein, so wächst die Kirche in vielen Ländern Afrikas prozentual ebenso schnell wie etwa in Indien oder in den vergangenen Jahrzehnten auf den Philippinen oder in Südkorea. Vor diesem Hintergrund fällt des Öfteren der Name des früheren Erzbischofs von Manila, Luis Tagle.
Franziskus holte ihn 2019 nach Rom und machte ihn zum Präfekten der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, also der vatikanischen Behörde für die Kirchen in Afrika und Asien. Franziskus sehe in ihm womöglich seinen Wunschnachfolger, hieß es damals.

Seit derselbe Papst Tagle 2022 als Präsident des Dachverbandes der nationalen Caritasverbände entließ, ist es jedoch stiller um Tagle geworden. Zumal Tagle nicht über eine Hausmacht verfügt. Im Vatikan hat er sich bisher nicht profiliert. Und die Gruppe der asiatischen Kardinäle ist deutlich heterogener als etwa jene der lateinamerikanischen. Ein Kardinal von den Philippinen hat mit ganz anderen Problemen zu kämpfen als einer aus Südindien oder ein Kardinal aus der Mongolei.
Kardinäle aus großen lateinamerikanischen Ländern wie Brasilien oder Mexiko standen während des Pontifikates von Franziskus nicht im Vordergrund dessen, was man als Weltkirche bezeichnen könnte. Nicht zu unterschätzen ist allerdings das numerische Gewicht der Kardinäle aus dem südlichen Teil der beiden Amerikas.
Allerdings gilt auch hier, was für die Geistlichen aus anderen Kontinenten gilt: Dass ein Afrikaner nur deswegen für einen Kandidaten aus Afrika stimmen sollte, weil er auf demselben Kontinent geboren wurde, ist eine naive Annahme. Einen Kardinal aus dem Maghreb verbindet womöglich mit Kardinälen aus dem Mittelmeerraum mehr als mit einem Mitbruder aus Südafrika, und die Distanz zwischen Papua-Neuguinea und Indien ist um ein Vielfaches größer als zwischen Rom und Jerusalem.

Dort aber residiert Pierbattista Pizzaballa, der lateinische Patriarch von Jerusalem. Der sechzig Jahre alte Italiener gehört dem großen Franziskanerorden an. Für ihn spreche, dass er aufgrund seiner Erfahrungen im Nahen Osten Expertise mitbringe, wie die Kirche in einer Zeit der Kriege und Konflikte zu führen sei. Dass Pizzaballa sich wie Franziskus schwertat, nach dem Überfall der Hamas auf Israel den Aggressor zu benennen, dürfte ihm bei vielen Kardinälen nicht geschadet haben.
Ebenfalls mit Sicherheit nicht einheitlich abstimmen werden die insgesamt 14 wahlberechtigten Kardinäle aus den Vereinigten Staaten und Kanada, gar nicht zu reden davon, dass zum ersten Mal in der Geschichte der katholischen Kirche die Wahl auf einen Geistlichen aus der westlichen Supermacht schlechthin fallen könnte.
Nicht zu unterschätzen ist in diesem Konklave indes die Zugehörigkeit einzelner Kardinäle zu Ordensgemeinschaften oder Bewegungen, die im Vatikan und Europa gut vernetzt und zugleich auf vielen Kontinenten aktiv sind. Letzteres trifft etwa auf den Kardinalerzbischof von Bologna zu, Matteo Zuppi.

Der gebürtige Römer schloss sich als junger Priester der Gemeinschaft Sant’Egidio an und war Anfang der Neunzigerjahre an der Aushandlung eines Friedensabkommens für Mosambik beteiligt. Heute verfügt die weitgehend von Laien getragene „UN“ des Vatikans über ein weitgespanntes Netzwerk innerhalb der katholischen Kirche wie über exzellente Kontakte zu allen anderen wichtigen Religionsgemeinschaften auf der Welt. Zuppi wurde von Papst Franziskus mehrmals auf Friedensmission nach Moskau geschickt, biss aber dort trotz der tendenziell prorussischen Haltung des verstorbenen Papstes auf Granit.
Viele Faktoren

Interessant sind aber auch immer wieder Spekulationen über Kardinäle, die in kaum eines der klassischen Raster passen. Etwa über Kardinal Michael Czerny, 78 Jahre alt, Sohn von Überlebenden des Nationalsozialismus aus der Tschechoslowakei, Jesuit, viele Jahre in Lateinamerika und Afrika sozial engagiert, mittlerweile in verschiedenen Funktionen an der vatikanischen Kurie tätig.
Sollten die Kardinäle aber nochmals „an die Ränder der Kirche“ gehen wollen, so hätten sie dank der Ernennungspolitik von Franziskus eine reiche Auswahl. Südsudan ist ebenso mit einem Kardinal vertreten wie Südkorea und erstmals auch die „Unberührbaren“ (Dalits) in Indien mit dem Erzbischof von Hyderabad, Anthony Poola.

Neben ihrer persönlichen Ausstrahlung dürfte aber je nach Blickwinkel auch die Haltung zu Fragen wie Migration oder der von Franziskus favorisierten „Synodalität“ als Strukturprinzip der Kirche des 21. Jahrhunderts eine nicht unerhebliche Rolle spielen.
Auch ist nicht auszuschließen, dass die Einstellung zu Fragen der Sexualmoral wie etwa Homosexualität oder zu der Stellung von Frauen in der Kirche ins Gewicht fallen wird. Was von Katholiken in den Kirchen des globalen Nordens mehrheitlich akzeptiert oder für wünschenswert gehalten wird, stößt mitunter in den Kirchen des globalen Südens, aber auch unter konservativeren Kirchenführern etwa aus Europa und den Vereinigten Staaten, auf heftigen Widerspruch.
Über fast allen Geistlichen, die in den vergangenen Jahrzehnten in der katholischen Kirche Leitungsämter innehatten, lastet indes der Schatten des Themas sexuelle Gewalt. In Nordamerika wie auch in Westeuropa hat die Kirche als Institution über den Umgang mit diesem Thema massiv an Vertrauen verloren. In Afrika, aber auch in Asien haben sich die Kirchen bislang nicht nur ihrer Geschichte nicht gestellt, sondern auch der Gegenwart.
Sollte sich ein Kardinal gleich aus welcher Region während der sogenannten Generalkongregationen vor dem Beginn des Konklaves oder im Verlauf des Wahlprozesses als solchem als möglicher Anwärter auf das Papstamt profilieren, müssten seine Wähler sicher sein können, dass es keine Vergangenheit gäbe, die ihn auf welche Weise auch immer einholen könnte.