Ukrainische Journalistin Roshchyna in russischer Haft gefoltert und gestorben

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Eine neue Recherche bringt grau­same Details zum Tod der ukrainischen Journalistin Victoria Roshchyna in russischer Gefangenschaft ans Licht und bettet den Fall in den Kontext systematischer Folter von ukrainischen Kriegsgefangenen und Zivilisten ein.

45 Journalisten ukrainischer und in­ternationaler Medien, darunter die Onlinezeitung „Ukrainska Pravda“, für die Roshchyna schrieb, „Guardian“, ZDF, „Zeit“ und „Spiegel“ waren an der Recherche beteiligt. Sie berichten von Folterspuren und entfernten Organen an der mittlerweile in die Ukraine überstellten Leiche. Initiiert wurde das „Viktoriia Project“ vom in Paris ansässigen investigativen Netzwerk „Forbidden Stories“, das sich der Aufdeckung von Verfolgung und Misshandlung von Journalisten verschrieben hat.

„Verletzungen wurden ihr zugefügt, als sie noch lebte“

Roshchynas Tod war Anfang Oktober 2024 bekannt geworden, nach russischen Angaben starb sie am 19. September. Wenige Tage vorher hätte sie bei einem Austausch freikommen sollen. Die neue Recherche zeigt, dass Roshchynas Leiche bereits am 14. Februar 2025 als mit der Nummer 757 markierter „unidentifizierter Mann“ zusammen mit 756 Körpern gefallener ukrainischer Soldaten nach Kiew überstellt wurde. Ein DNA-Test bestätigte, dass es sich um die Journalistin handelt.

Die „Ukrainska Pravda“ zitiert den Leiter der Kriegsabteilung der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft, Jurij Bielousow, mit der Angabe, dass an Roshchynas Leiche zahlreiche Anzeichen von Folter und Misshandlung festgestellt wurden, darunter Abschürfungen und Prellungen an verschiedenen Körperteilen und eine gebrochene Rippe. Die Gerichtsmediziner hätten auch Hinweise auf Elektroschocks festgestellt. „Die Verletzungen wurden ihr zugefügt, als sie noch lebte“, so Bielousow.

Roshchynas Leiche weise zudem Spuren einer von russischer Seite durchgeführten Autopsie auf – Gehirn, Augäpfel und Teile des Kehlkopfs fehlen. Ein internationaler Gerichtsmediziner bestätigte, dass so womöglich Beweise für einen Tod durch Erdrosselung oder Ersticken verdeckt werden sollten.

Die Journalistin begab sich ab Beginn der Großinvasion mindestens viermal in von Russland besetzte ukrainische Gebiete, um von dort zu berichten. Sie geriet schon im Frühjahr 2022 in Gefangenschaft, wurde aber nach anderthalb Wochen freigelassen. Ende Juli 2023 reiste sie über Lettland und Russland in die besetzten Gebiete, wo sie am 3. August in Enerhodar in der Region Saporischschja verschwand. Zunächst beantworteten russische Behörden keine Anfragen zu ihrem Verbleib, erst im April 2023 Jahres wurde ihre Inhaftierung bestätigt. Schon eine vor zwei Monaten veröffentlichte Recherche von Reporter ohne Grenzen, des Investigativmediums „Slidstvo.info“, des ukrainischen Rundfunks „Suspilne“ und des Mediums „Graty“ zitierte eine Zellengenossin Roshchynas im südrussischen FSB-Gefängnis Taganrog, mit der Angabe, die Journalistin habe weniger als 30 Kilogramm gewogen und keine medizinische Hilfe erhalten. Roshchyna habe von Elek­troschocks berichtet, ihre Haut habe Messerwunden aufgewiesen. Vor ihrer Überstellung nach Taganrog war Roshchyna in einer Folterkammer, wahrscheinlich in ei­ner umgebauten Garage, in der von Russland besetzten Stadt Melitopol festgehalten worden.

Schätzungsweise 16.000 ukrainische Zivilisten sind in den besetzten ukrainischen Gebieten und in Russland inhaftiert. Wie die neue Recherche bestätigt, sind neben ukrainischen Soldaten auch sie systematischen, grausamen Misshandlungen ausgesetzt. „Die von den Russen praktizierte Folter ist eine flächendeckende und alltäglich angewandte Praxis. Es ist eindeutig, dass das organisiert abläuft“, so die UN-Sonderberichterstatterin für Folter, Alice Jill Edwards.