Klettern ist ein Trendsport. In Deutschland hat sich die Zahl der Kletterer in den letzten Jahren vervielfacht, auf über eine Million schätzt allein der Deutsche Alpenverein die Besucherzahl in Kletterhallen. In Österreich ist der Anteil der Kletterbegeisterten mit vier Prozent der Bevölkerung dreimal so hoch wie in Deutschland. Da liegt es nahe, dass sich die Forscher in der Alpenrepublik auch mit der Luft in Kletterhallen befassen. Thilo Hofmann von der Universität Wien und seine Mitarbeiterin Anya Sherman haben dort problematische Stoffe aus Autoreifen gefunden. Die Quelle: Kletterschuhe. Was das für den Sport bedeutet, beantwortet der Umweltwisssenschaftler im Interview.
Was haben Sie in den Kletterhallen untersucht?
Wir haben den Staub in der Luft gemessen und den Staub von den Fußböden und von den Haltegriffen an den Wänden analysiert. Insgesamt haben wir neun Hallen untersucht, in Spanien, Frankreich, Österreich und in der Schweiz.
Wie kamen Sie darauf, Stoffe aus Gummireifen in Kletterhallen zu suchen?
Das war Zufall: Anya Sherman, die sich in meinem Labor mit Substanzen aus Reifengummi befasst, war auf einer Konferenz und traf dort Thibault Masset, der in Lausanne an ähnlichen Themen arbeitet. Beide sind Kletterer, gingen zusammen klettern und dachten sich: „Die Sohlen der Kletterschuhe sehen ja so aus wie Autoreifen.“ Und dann schnitten sie vorne aus der Spitze ein Stückchen ab und analysierten das bei uns.
Meine Gruppe arbeitet seit etwa zehn Jahren zu Reifengummi in der Umwelt. Damals gab es ganz wenig Forschung dazu. Das hat sich erst vor etwa fünf Jahren geändert. Man hat 2020 in der Nähe von Seattle herausgefunden, dass ein bestimmter Stoff in Autoreifen giftig für eine Lachsart ist. Die Tiere sterben schon an diesen geringen Mengen, die der Regen von der Straße in die Flüsse spült.
Und den Stoff haben Sie auch in den Kletterhallen gefunden?
Nicht nur diesen. Wir haben 15 Substanzen nachgewiesen, von denen wir wissen, dass sie Reifengummi zugesetzt werden oder aus diesen Substanzen entstehen. Das sind zum Beispiel Vulkanisationsbeschleuniger, Antioxidationsmittel, eine ganze Reihe chemischer Zusatzstoffe, die man für Reifen braucht, die mit 280 Kilometern pro Stunde über die Straße rollen.
Und warum sind die in den Sohlen der Kletterschuhe?
Kletterschuhe müssen an den Wänden und den Griffen halten, beim Klettern muss Reibung entstehen, damit die Kletterer nicht abrutschen. Dieser Grip entsteht durch die Zusammensetzung und die Zusatzstoffe im Sohlengummi. Aber wir haben in den 30 verschiedenen Kletterschuhen, die wir untersucht haben, riesige Unterschiede gefunden. Die Konzentrationen an Zusatzstoffen unterscheidet sich teilweise um den Faktor 1000. Es ist also gar nicht erforderlich, dass dem Sohlengummi die gleichen Anteile an solchen Stoffen zugesetzt werden wie dem Gummi für Autoreifen. Ein Beispiel ist die Substanz 6PPD. Die schützt Autoreifen vor Schäden durch Ozon. Die Ozonkonzentration kann auf der Straße hoch sein. Aber in einer Kletterhalle ist das nicht der Fall.
Wir vermuten daher, dass die Gummihersteller einfach Chargen an die Sohlenhersteller geliefert haben, die ursprünglich für Reifen gedacht waren. Und die Sohlenhersteller wissen vermutlich gar nicht, was alles an Stoffen in den Mischungen drin ist.
Bei Reifen und also auch bei Klettersohlen ist nicht bekannt, welche Zusatzstoffe enthalten sind. Es ist aber bekannt, dass viel mehr Chemikalien dem Gummi zugesetzt werden können als diejenigen, nach denen Sie gesucht haben. Könnte es sein, dass noch mehr Stoffe in den Sohlen und damit in der Luft der Kletterhalle ist, als Sie bestimmt haben?
Wir wissen erst mal nicht, was in einem Reifen drin ist. Das ist Betriebsgeheimnis. Die Substanzen, die sich in der Umwelt aus den Zusatzstoffen bilden, kennen wir auch oft nicht. Und die können giftiger sein als der Zusatzstoff selbst. Manche vermuten, dass in Autoreifen über 100 verschiedene Chemikalien enthalten sind. Es ist mühselig, die alle herauszufinden. Für Analyse und Quantifizierung muss ich aber wissen, nach welchen Stoffen ich suchen muss. Wir laufen in der Umweltanalytik also immer so ein bisschen hinterher.
Ist es gesundheitsschädlich, in der Halle zu klettern?
Wir haben keine toxikologische Untersuchung gemacht. Ich kann Ihnen heute nicht sagen, welche Gesundheitsgefahr in einer Kletterhalle besteht. Aber wir machen mit Toxikologen an der Uni Wien im Moment Experimente mit Zellen. Wenn wir aus Autoreifen diese Substanzen extrahieren und das auf Lungenzellen geben, sehen wir jetzt schon Entzündungsreaktionen und DNA-Schäden. Diese Substanzen sind nicht harmlos. Die Belastung in einer vollen Kletterhalle ist ähnlich hoch wie an einer viel befahrenen Straße in einer asiatischen Megacity, in Peking oder Hongkong.
Es ist aber doch nicht überraschend, dass die Luft besonders schlecht ist, wenn die Halle voll ist.
Menschen, die klettern gehen, wollen etwas für Ihre Gesundheit tun. Sie erwarten dementsprechend eine Umgebung, die gesund ist. Würden Sie an einer sechsspurigen Straße Sport machen und dabei das Gefühl haben, Ihrem Körper etwas Gutes zu tun? Eher nicht.
Was sollten Kletterer also tun?
Wenn es irgend geht, sollten sie nicht zu Stoßzeiten in die Halle gehen, also nicht zwischen 17 und 20 Uhr, wenn die Leute von der Arbeit kommen und dann Sport machen wollen. Wenn nicht so viel los ist, dann geht diese Staubkonzentration drastisch runter, und dann atmen sie von den Substanzen weniger ein. Das Zweite ist: Ich sehe in Kletterhallen manchmal Leute, die Kinder mitnehmen oder ihre Babys auf die Matte legen. Aber gerade kleine Kinder sollten bitte nicht in die Halle. Die Atemluft ist dort allein durch das Magnesiapulver, mit dem die Sportler ihre Hände einreiben, für sie nicht gut. Und dann atmen sie auch diese organischen Schadstoffe ein. Die größte Belastung haben aber diejenigen, die den ganzen Tag in der Kletterhalle sind, die dort arbeiten.
Wie haben die Kletterhallen auf Ihre Ergebnisse reagiert?
Ich bekam vor ein paar Tagen einen sehr kritischen Anruf von der Climbing Association aus England. Aber es hilft nicht, so zu tun, als wäre nichts oder in England gäbe es das Problem nicht, auch wenn wir dort nicht gemessen haben.
Was können die Kletterhallenbetreiber machen?
Sie können mehr lüften. Manche haben schon moderne Lüftungssysteme, seit Corona ist Innenraumluft ein Riesenthema. Und sie müssen mehr reinigen und die Haltegriffe absaugen. Eine Kletterhalle hat aufgrund unserer Messergebnisse sogar die Marke der Leihschuhe gewechselt.