Was ist ein Mythos? Ein Mythos, so lässt sich den Schriften des Historikers Martin Grundweg entnehmen, ist eine Erzählung, die Sinn und Ordnung in die Welt bringt, Freunde von Feinden trennt und einer Gruppe damit zu kollektiver Identität und Schlagkraft verhilft. Dabei geht es Grundweg um die großen Mythen der deutschen Nation, insbesondere diejenigen, die sich um Blut und Boden ranken: die Schlacht auf dem Lechfeld, die Schlachten der Befreiungskriege, die Schlachten des Ersten Weltkriegs. In solchen Schlachten gegen einen „gemeinsamen äußeren Feind“ habe das deutsche Volk zu sich selbst gefunden, weil hier „das ‚Wir‘ vom ‚Nicht-Wir‘ eindeutig geschieden“ worden sei.
Grundwegs Ausführungen sind in der „Sezession“ publiziert worden, der Zeitschrift von Götz Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“, sowie in dem „Staatspolitischen Handbuch“, das der Schulung von Kursteilnehmern des Instituts dient. Im Jahr 2014 erschienen an den beiden Orten insgesamt 19 Texte unter seinem Namen. Im Autorenverzeichnis von Heft 60 der „Sezession“ wurde er so vorgestellt: „Martin Grundweg, 1984, studierte Geschichte und Politologie und arbeitet als Historiker.“
Kampf gegen die Entmythologisierung
Grundwegs Ziel war damals die Revitalisierung von Mythen wie dem „Augusterlebnis“ des Jahres 1914, die er gegen das „staatlich verordnete Geschichtsbild“, also gegen die „alles andere überdeckende Konzentration auf den Nationalsozialismus“, in Stellung brachte. Den Kampf für den Mythos gelte es auch auf dem Feld der Geschichtswissenschaft zu führen: gegen den „Konstruktivismus“, die „Entmythologisierung“, „die heiligen Kühe der linksliberalen Geschichtsschreibung – Modernisierungstheorie, Säkularisierungsthese, deutscher Sonderweg und deutscher Schuldkult“, und allgemein gegen die „Legitimationswissenschaftler“ der Bundesrepublik. Angesichts der Debatten um die Schuld am Ersten Weltkrieg zeigte sich Grundweg 2014 verhalten optimistisch, dass sich die Dinge in die richtige Richtung entwickelten; seine Hoffnungen ruhten auf einem „neuen Historikerstreit“, der zu „ungeahnten Ergebnissen führen“ könne. Nach seinem wunderbar produktiven Jahr 2014 publizierte Grundweg allerdings nichts mehr, weder in Schnellroda noch anderswo.
Nun, elf Jahre nach seinem plötzlichen Verschwinden, ist Martin Grundweg selbst zum Protagonisten eines Mythos geworden, genauer gesagt: eines Opfermythos. Grundwegs geschichtspolitisches Programm entspricht offensichtlich in geradezu idealtypischer Weise dem, was in der Forschung als geschichtspolitisches Programm der Neuen Rechten beschrieben und analysiert worden ist, einschließlich der Behauptung eines „deutschen Schuldkults“. Trotzdem wird bestritten, dass Grundweg als Teil der Neuen Rechten bezeichnet werden darf. Behauptet wird, dass es sich bei dieser Zuordnung um eine „Verschwörungserzählung“, einen brutalen „Rufmord“, eine „Hexenjagd“ und einen besonders perfiden Fall von „Cancel Culture“ handele.

Am 12. März 2025 verabschiedete das Studierendenparlament der Universität Würzburg einen Antrag gegen eine „neurechte Diskursverschiebung in der Lehre“, festgemacht am Lehrstuhl für Neueste Geschichte, den seit 2013 Peter Hoeres bekleidet. Die Studierenden forderten eine Auseinandersetzung der Universitätsleitung mit neurechten Tendenzen und Strukturen am Hoeres-Lehrstuhl, ein alternatives Lehrangebot und mehr Lehrveranstaltungen zum Holocaust. Außerdem wurde der Akademische Rat Benjamin Hasselhorn zu einer eidesstattlichen Erklärung aufgefordert, nicht unter Pseudonym in der rechtsextremen „Sezession“ publiziert zu haben. Die Vermutung, dass sich Hasselhorn hinter Grundweg verbirgt, ist seit 2021 publik. Ich hatte sie in einem Artikel in der „taz“ belegt, nachdem ich 2020 in der „Süddeutschen Zeitung“ und im „Merkur“ zwei Artikel über Hasselhorn als exemplarischen Akteur neurechter Geschichtspolitik veröffentlicht hatte. Hasselhorns Person fand damals öffentliche Aufmerksamkeit, weil er im Bundestag als Sachverständiger im Streit um Entschädigungsansprüche der Hohenzollernfamilie aufgetreten war, nominiert von der Fraktion der CDU/CSU. Wegen der Klagen von Georg Friedrich von Preußen gegen etliche Historiker beschäftigte dieser Streit auch den Historikerverband. In der F.A.Z. äußerten sich die Verbandsvorsitzende Eva Schlotheuber und ihr Kollege Eckart Conze in einer beiläufigen Bemerkung kritisch über Hasselhorns Expertise. Hasselhorn hat seine Identität mit Grundweg nie direkt abgestritten, sondern unterließ eine Stellungnahme. Erst der Beschluss des Studierendenparlaments bewirkte jetzt eine Änderung seines Verhaltens. Auf Anfrage des Bayerischen Rundfunks und der „Main-Post“ gab der zweifach promovierte Historiker und Theologe zu, unter dem Pseudonym „Martin Grundweg“ geschrieben zu haben.
Indiz einer Trendwende
Die Aktion der Studierenden rief zahlreiche Artikel in der Presse und in Onlinemedien hervor. Ihr politisches Ziel erreichte sie nicht. Das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst teilte nach einem Gespräch mit dem Universitätspräsidenten und Hoeres mit, am Lehrstuhl solle zwar ein „zusätzliches Lehrangebot“ eingerichtet werden, die kritisierten Äußerungen und Schriften von Hasselhorn und Hoeres seien jedoch „in keiner Weise zu beanstanden“. Das schließt offenbar auch Hasselhorns Texte aus „Sezession“ und „Staatspolitischem Handbuch“ ein.
Die Presseinformation des Ministeriums, die online nicht vom Ministerium, sondern nur vom Lehrstuhl Hoeres vorgehalten wird, ist von den Beteiligten als vollumfängliche Rehabilitierung verstanden worden. In einem luziden, auch von Peter Hoeres weiterverbreiteten Kommentar für die rechtskatholische „Tagespost“ hat der Philosoph Sebastian Ostritsch folgerichtig von einem „Indiz einer allgemeinen gesellschaftlich-kulturellen Trendwende“ gesprochen: Die „Macht der woke-Bewegung“ sei gebrochen, die Zeit der Ausgrenzungen und Verfolgungen bald vorbei. Die maßgebliche Verantwortung für den Etappenerfolg schreibt Ostritsch dem Lehrstuhlinhaber zu, der den Wokies durch Schaffung einer „medialen Gegenöffentlichkeit“ erfolgreich das Handwerk gelegt habe.

Tatsächlich war Hoeres, der sein Renommee auch einer viel gelobten Darstellung der Geschichte der F.A.Z. verdankt, unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe in die Gegenoffensive gegangen, durch mehrere Interviews und vor allem das stetige Bespielen der sozialen Medien. Aus Hasselhorns Autorschaft für die „Sezession“ eine „aktuelle Verbindung“ zur Neuen „herzuleiten“, sei „hanebüchen“. Hasselhorn sei schließlich Mitglied der CSU. Den studentischen Aktivisten, die Hoeres namentlich markierte, gehe es niederträchtigerweise „um die Vernichtung der akademischen Karriere eines exzellenten Nachwuchshistorikers“. Hinter dem Antrag vermutete Hoeres andere, sinistre Motive: Womöglich störe man sich eigentlich an seinem Widerstand gegen „Genderfehlschreibungen“ und an seinem „Einsatz gegen Antizionismus und für Israel“. Unter dem Hashtag #NieWieder sammelten sich daraufhin im Internet Unterstützer der verfolgten Historiker. Auf der Plattform X und auf Facebook machte Hoeres ein anonymes Drohschreiben öffentlich, aus dem in der medialen Fortschreibung bald sogar mehrere Drohbriefe wurden, so etwa in einer Pressemitteilung des von Hoeres und anderen Historikern maßgeblich initiierten Vereins Netzwerk Wissenschaftsfreiheit.
Aus neunzehn Texten wurde einer
Das Herzstück der Kampagne war allerdings die wunderbare Verwandlung von 19 Texten in einen einzigen, überdies gänzlich harmlosen, überdies in einer Zeitschrift, die damals ja noch gar nicht vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft worden sei. Im Newsletter des Deutschen Hochschulverbands war zu lesen, Hasselhorn habe „vor elf Jahren unter Pseudonym einen Artikel in der laut Selbstbezeichnung ‚rechtsintellektuellen‘ Zeitschrift ‚Sezession‘ veröffentlicht“. Gemeint ist damit Martin Grundwegs ambitioniertester Text, „Demokratie von rechts“, den die Studierenden als „unvereinbar mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ bezeichnet hatten. Doch sei, so Hoeres, das Gegenteil der Fall: Hasselhorn habe hier „unter Verweis auf Friedrich Meinecke für die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ geworben. Hasselhorn selbst spricht davon, sich in der „Sezession“ für einen „dezidiert demokratischen deutschen Tory-Konservativismus“ eingesetzt zu haben. Auch in der F.A.Z. wurde Hasselhorn mit einem Grundweg-Zitat eine „eindeutige Parteinahme für die Demokratie“ bescheinigt. Dieser Lesart haben sich mittlerweile 684 Akademiker in einer „Solidaritätserklärung“ angeschlossen, der Großteil von ihnen Professoren. Die wahre Gefahr für die Demokratie gehe von den „Extremisten“ aus, „die die Mitglieder des Lehrstuhls für Neueste Geschichte […] zu Opfern einer Kampagne machen, um ihren Ruf zu zerstören“.

Mit „Demokratie von rechts“ bezog Grundweg Stellung in einer Debatte über die Zukunft der Neuen Rechten. Eine „rechte Alternative zur Demokratie zu entwerfen“, hält er „auf den ersten Blick“ für „durchaus denkbar“, er verwirft diese Option aber als „wenig aussichtsreich“. Seine Begründung: Eine dafür benötigte „rechte Gegenelite“ stehe angesichts der „jahrzehntelangen Zersetzungstendenzen“ anders als in der Weimarer Republik nicht mehr bereit; und die Gegeneliten aus der Wirtschaft seien mehr noch als die vorhandene politische Elite als Gegner zu betrachten. Daher empfiehlt Grundweg der Neuen Rechten die „Mobilisierung der ‚Mitte‘, im Namen des gesunden Menschenverstands“, was eine „eindeutige Parteinahme für die Demokratie“ und die „Bereitschaft, ‚anknüpfend‘ zu agieren“, erforderlich mache. Der Weg zur Mehrheit führe in Deutschland über die AfD.
Es geht hier also offensichtlich nicht um eine grundsätzliche Absage an eine Elitenherrschaft oder um ein Bekenntnis zur FDGO (oder gar zur CSU), das sich allein schon mit der Parole von der „Gleichheitslüge“ schlecht vertragen würde, sondern um Strategie, um „metapolitische Klugheit“ und „Realismus“. Was das Herz sagt, steht ohnehin auf einem anderen Blatt – daher auch der Verweis auf Meineckes „Vernunftrepublikanismus“ und die Herzensmonarchisten der Weimarer Republik. Vokabeln wie „Zersetzung“ und „Plutokratie“ haben einen giftigen Beigeschmack. Unabhängig von allen Fragen der Autorintention zeugt die Verwendung dieses historisch kontaminierten Vokabulars von den Problemen, die sich einhandelt, wer sich als Neuer Rechter in die Tradition des deutschen Nationalismus einschreibt. Wohin die Reise unter den neuen Mehrheitsverhältnissen führen sollte, blieb 2014 unausgesprochen; Indizien liefern Streifzüge durch die konservative Vergangenheit, die Selbstverortung im Interregnum (in einem anderen Artikel) und der weite Demokratiebegriff, der auch die „volkskonservativen“ Strebungen der DNVP nach einem „autoritärere[n], aber weiterhin demokratische[n] Regime“ oder die politischen Gestaltungsideen der Verschwörer des 20. Juli 1944 einschließt.
Kämpft auch Kubitschek für die FDGO?
Das ist alles nicht sehr schwierig zu verstehen. Ein Studierender mag sich von der etwas schwammigen und langatmigen Darstellungsweise in die Irre führen lassen; ein Professor für Neueste Geschichte und mit ihm Hunderte Professorenkollegen dürfen das eigentlich nicht. Konsequenterweise wäre im Übrigen auch Götz Kubitschek zu bescheinigen, ein verkappter Kämpfer für die FDGO zu sein. Denn Kubitschek hat just den Absatz zur „Parteinahme für die Demokratie“ fünf Jahre später kopiert, für einen Text, der sich als Angebot an den gemäßigter auftretenden Flügel der Neuen Rechten lesen lässt, getrennt zu marschieren und vereint zu schlagen. Wenn Hasselhorn nun behauptet, den alten Kameraden in Schnellroda wegen politischer Differenzen im Jahr 2014 für immer Adieu gesagt zu haben, dann mag das in gewisser Weise stimmen – doch man muss festhalten, dass diese den „realpolitischen“ Rat, den er ihnen noch vor dem Abschied gegeben hatte, durchaus befolgt haben.
Kubitschek hat am 7. April den Skandal auf der Internetseite von „Sezession“ unter der Überschrift „Machtverhältnisse und Wissenschaftsfreiheit“ kommentiert und mitgeteilt, dass Hasselhorns Mitarbeit an „Sezession“ und Handbuch in „redaktioneller Betreuung“ durch Karlheinz Weißmann erfolgt sei. Er habe nicht mehr für die „Sezession“ geschrieben, nachdem Weißmann „auch aufgrund von unüberbrückbaren inhaltlichen Auseinandersetzungen als Redakteur zurückgetreten“ sei. Das ist allerdings nachweislich falsch: Laut eigener Aussage hatte Weißmann das IfS bereits im Frühjahr 2014 verlassen; „schon einige Zeit vorher bin ich aus der Redaktion der Sezession ausgeschieden“.

Karlheinz Weißmann war Hasselhorns Geschichtslehrer am Gymnasium in Northeim. Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber nennt Weißmann zu Recht den „eigentlichen Kopf der Neuen Rechten“ und die „zentrale Figur“ im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Für viele Schriften Grundwegs/Hasselhorns ist Weißmann die wichtigste Referenz. Der prägende Einfluss Karlheinz Weißmanns ist in Hasselhorns erster Dissertation über die „politische Theologie“ Kaiser Wilhelms II. durch die Fußnoten teilweise kenntlich gemacht. Doch auch für Weißmann verwendet Hasselhorn hier offenbar schon einen Codenamen. Sein „größter Dank“ gilt seinem „Lehrer Hartmut Voelkel, ohne den diese Arbeit gar nicht denkbar ist“. Voelkel begegnet uns auch im Vorwort der zweiten Dissertation über den nationalkonservativen Historiker Johannes Haller sowie als Autor zahlreicher Texte auf einer Website mit dem Namen „Drachenkämpfer“, die Hasselhorn bis mindestens August 2020 betrieben hat.
Der vergessene Nationalheilige der Deutschen
Die Seite widmet sich dem mythologischen und christlichen Kampf mit dem Drachen, also dem Satan. Was auf den ersten Blick skurril, fast schon ulkig daherkommt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als ziemlich gruseliger Ritt durch die Vorstellungswelten des völkischen Nationalismus. Das Steckenpferd der beiden Hauptautoren ist der Erzengel Michael, der vergessene Nationalheilige der Deutschen, der seit dem neunzehnten Jahrhundert Pate stehen soll für eine frühmittelalterliche Verschmelzung des Germanischen mit dem Christentum, eine implizit antisemitische Denkfigur, die zur Popularität des Engels in faschistischen, christlich-fundamentalistischen und reaktionären Bewegungen beigetragen hat. Von Voelkels abgründigen Texten lässt sich wiederum leicht nachweisen, dass es sich bei ihrem Verfasser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Weißmann handeln muss, da Voelkel von Weißmann und Weißmann erst kürzlich, in seinem „Lexikon politischer Symbole“, großflächig von Voelkel abgeschrieben hat, als die Website schon nicht mehr online war. Das ergibt – um noch einmal Martin Grundweg zu zitieren: nach Maßgabe des „gesunden Menschenverstands“ – nur Sinn, wenn es sich um denselben Autor handelt.
Weder Karlheinz Weißmann noch Benjamin Hasselhorn wollten sich auf Nachfrage zur Identität von „Hartmut Voelkel“ äußern. Indes hat Hasselhorn am 23. April in einem Onlineartikel in der „Welt“ nicht nur seine AfD-Mitgliedschaft von 2013 bis 2019 eingeräumt, sondern auch indirekt bestätigt, dass es sich bei Voelkel um Weißmann handelte. Darüber hinaus hat er zwischen den Zeilen – anders ist der Verweis auf einen Artikel über C. S. Lewis nicht zu verstehen – die Verantwortung für ein weiteres „Sezession“-Pseudonym übernommen, nach dem ich ihn 2021 aus guten Gründen gefragt hatte: „Johannes Ludwig“, erst „Fahnenjunker“, später „Leutnant im Bataillon für Operative Information“, im Dienst von April 2009 bis Dezember 2013.
In den Neunzigerjahren begab sich eine „Neue Demokratische Rechte“ um Weißmann und Rainer Zitelmann auf den Marsch durch die publizistischen Institutionen. Ihr größter Coup gelang ihr 1995, als in der Propyläen Geschichte Deutschlands der Band über die nationalsozialistische Zeit erschien, verfasst von Karlheinz Weißmann. Der Ullstein-Lektor Zitelmann hatte ihm den Auftrag ohne Konsultation mit den Herausgebern der Reihe übertragen, als der vorgesehene Autor Hans Mommsen die Manuskriptabgabe schuldig blieb. Die Publikation löste einen Skandal aus und erwies sich als Pyrrhussieg der neurechten Strategen. Dass die ältere bürgerliche Öffentlichkeit der Bundesrepublik gegen die Truppe um Weißmann und Zitelmann die Reihen schloss, hat Kubitschek als Weißmanns „politisches Trauma“ bezeichnet. Dessen „metapolitisches“ Konzept fasst sein früherer Verbündeter Kubitschek so zusammen: Auf dem demokratischen Weg zur Macht müsse „die mögliche Mehrheit an Vokabeln, Argumente, Grundlagen, Wertungen und Tabus gewöhnt werden, deren sie jahrzehntelang entwöhnt wurde“. Die „Neudeutung und Rekonstruktion der kaputten Begriffe und falschen Schlussfolgerungen muss dabei wie ein langsames Unterschieben organisiert werden“. Man kann das, so wie die mutigen Würzburger Studierenden, auch auf einen Begriff bringen: Diskursverschiebung. So wichtig es ist, an Universitäten politischer Dissidenz einen Raum zu geben, so schwer vereinbar erscheint dieses Programm mit den Geboten akademischer Redlichkeit.
Sinnstiftung unabhängig vom Faktengehalt
Benjamin Hasselhorn ist an der Universität Würzburg im vergangenen Jahr mit einer Arbeit unter dem Titel „Churchill und andere Mythen. Ein Beitrag zur geschichtswissenschaftlichen Mythosforschung“ habilitiert worden. Das Thema habe sich auch deshalb gelohnt, schrieb Hasselhorn in einem auf der Internetseite der „Berliner Zeitung“ veröffentlichten Artikel, „weil Mythen keineswegs einfach Lügen oder Irrtümer sind, wie es ein verbreiteter Sprachgebrauch nahelegt“. Ein Mythos sei „vielmehr unabhängig von seinem Faktengehalt eine sinnstiftende Erzählung“.
An einem Mythos lässt sich durch den Verweis auf Fakten also kaum rütteln. Die diskursive Orientierung an der Unterscheidung von richtig und falsch, von Wahrheit und Lüge, gehört ohnehin, so scheint es gerade jedenfalls, der Welt von gestern an. Auf den Abraumhalden des Internets wünschen die Rächer der Würzburger Märtyrer amerikanische Verhältnisse und die Säuberung der Universitäten vom links-woken Gesindel herbei. Hoeres und Hasselhorn haben bereits angekündigt, rechtliche Schritte gegen die Studierenden zu prüfen. Er bereite „Strafanträge“ gegen die Antragsteller vor, teilte Hasselhorn auf Facebook mit – ein Vorgehen, das ein wenig an die Klagepraxis des Prinzen von Preußen im Hohenzollernstreit erinnert.
Apropos Hohenzollernstreit: Hier hat diese Geschichte vor fünf Jahren angefangen, hier möge sie für heute auch enden. Im Hohenzollernstreit ging es im weiteren Sinne – darin ist Hasselhorn uneingeschränkt zuzustimmen – um das Verhältnis von Konservatismus und Nationalsozialismus und die Rolle der konservativen Eliten bei der Machtübernahme. Das ist, wie jeder weiß, eine sehr aktuelle Problemkonstellation. Der Opfermythos vom unschuldig verfolgten Mythenforscher hat jetzt seinen Teil dazu beigetragen, Konservative mit ordinären Rechtsradikalen, Postfaschisten und anderen Spinnern aufs Neue zu verbünden, gegen die Fiktion einer mächtigen „woken“ Verschwörung.