Europa League: Bodø/Glimt greift nach Europacup-Sensation

4

News folgen

Bodø/Glimt schreibt in der Europa League an einem Fußballwunder. Mit geringen Mitteln und einer besonderen Philosophie lehrt der Verein die Großklubs das Fürchten. Heute könnte es Tottenham ereilen.

“Die Mini-Metropole des Nordens” – so bewirbt die norwegische Tourismusförderung einen 50.000-Einwohner-Ort am Polarkreis. Bald könnte genau diese Stadt auch zu einer Sportmetropole werden, zumindest was den Fußball angeht.

Denn: Der Fotballklubben Bodø/Glimt legt gerade einen Europapokal-Run hin, wie es ihn bei einem Außenseiter lange nicht mehr gegeben hat. Als erster norwegischer Verein überhaupt hat Bodø/Glimt das Halbfinale eines Europapokals erreicht – und das nicht bloß in der drittklassigen Conference League, sondern in der Europa League. Dem Nachfolger des legendären Uefa-Cups.

Dort treten die Skandinavier am Donnerstag beim haushohen Favoriten Tottenham Hotspur an (ab 21 Uhr im Liveticker von t-online). Der Unterschied zwischen dem Topteam aus der Premier League und dem amtierenden Meister der Eliteserien könnte größer kaum sein – und das nicht nur, weil die gesamte Bevölkerung der Stadt in Nordnorwegen problemlos im 62.000 Zuschauer fassenden Spurs-Stadion Platz finden würde.

Während der Kader von Tottenham laut dem Portal “Transfermarkt.de” fast 850 Millionen Euro wert ist, kommt der Fotballklubben nicht einmal auf 50 Millionen. Allein acht Spurs-Stars kosten demnach mehr als der gesamte Kader der Norweger.

Doch derartige Vergleiche sind sie bei Bodø/Glimt mittlerweile gewohnt. Sowohl in der Vorrunde gegen den FC Porto (3:2) oder Beşiktaş Istanbul (2:1), vor allem aber zuletzt im Viertelfinale gegen Lazio Rom (2:0 und 5:4 nach Elfmeterschießen) hätte die Außenseiterrolle der Norweger nicht größer sein können – und doch triumphierten sie.

Kein Wunder, dass Kapitän Ulrik Saltnes sagt: “Wir sind Außenseiter – und das ist die beste Rolle, die du im Fußball haben kannst.” Auf den ersten Blick hört sich das wie eine Binsenweisheit an, doch im Fall des Fotballklubben und speziell seines Kapitäns spiegelt diese Aussage einen essenziellen Gedanken wider.

Denn: In Bodø werden keine Saisonziele wie die Anzahl von Titeln, Platzierungen oder Punkten ausgegeben, es geht primär darum, sich weiterzuentwickeln. Frei nach dem ehemaligen Werbespruch einer großen deutschen Supermarktkette: Jeden Tag ein bisschen besser. Oder, wie es Co-Kapitän Patrick Berg ausdrückt: Es gehe um den Prozess. Der sei in Bodø “das Allerwichtigste”.

Eine solche beinahe romantisch anmutende Philosophie ist bei den Schwergewichten des europäischen Klubfußballs mit Hunderttausenden Fans, globaler Strahlkraft und einem damit verbundenen stetigen Erfolgsdruck kaum vorstellbar.

Doch im kleinen Bodø am Rande der Arktis, wo die Fans zum nächstgelegenen Auswärtsspiel in Tromsö neun Stunden mit dem Auto fahren müssen (und die Duelle auch noch “Derbys” nennen), gehen die Uhren etwas anders.

Vor allem seit 2019. In diesem Jahr wurde die Leitidee implementiert – und 2020, 2021, 2023 sowie 2024 folgten die ersten Meisterschaften der Klubgeschichte. Einen gewichtigen Anteil daran hat Mentaltrainer Bjørn Mannsverk. Der 56-Jährige war früher Kampfpilot und behauptet von sich, nur “minimal” Ahnung vom Fußball zu haben. Doch auf anderer Ebene hat Mannswerk Entscheidendes bewirkt.

Ulrik Saltnes (r., hier gegen Lazios Nicolo Rovella) trägt seit der Jugend das Trikot von Bodø/Glimt und ist einer der Führungsspieler des norwegischen Meisters.Vergrößern des Bildes
Ulrik Saltnes (r., hier gegen Lazios Nicolo Rovella) trägt seit der Jugend das Trikot von Bodø/Glimt und ist einer der Führungsspieler des norwegischen Meisters. (Quelle: IMAGO/IPA Sport/ABACA/imago)

So wie 2016, als Kapitän Saltnes die Fußballschuhe eigentlich schon an den Nagel hängen wollte. Mit gerade einmal 24 Jahren. “2016 war ich eigentlich fertig mit Fußball”, gibt der 32-Jährige heute zu. Bodø war in die zweite Liga abgestiegen, und Saltnes wollte in Kopenhagen Wirtschaft studieren.