Der Worst Case für den Welthandel

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Verluste an den Börsen, verunsicherte Unternehmen und Containerschiffe, die nicht mehr gebucht werden – der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt hat die Weltwirtschaft schon jetzt sichtbar getroffen. Wer hofft, dass es sich dabei um vorübergehende Phänomene handelt, dürfte sich täuschen. Das zumindest erwartet die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), die zahlreiche exportstarke Konzerne und Mittelständler vertritt. Die liberale Weltwirtschaftsordnung unter dem Dach der Welthandelsorganisation WTO habe „keine echte Zukunft mehr“, sagte Verbandspräsident Wolfram Hatz der F.A.Z. Er geht davon aus, dass der globale Ordnungsrahmen künftig deutlich instabiler sein wird. Hatz warnt: „Regelbasierte Handelspolitik wird durch Machtpolitik ersetzt.“

Die Praktiker aus der deutschen Wirtschaft sind damit noch pessimistischer als die Fachleute der WTO. Die hatten Mitte April einen Einbruch des Welthandels für das laufende Jahr von ursprünglich 2,7 Prozent Zuwachs auf ein Minus von 0,2 Prozent prognostiziert. Für 2026 erwarteten sie jedoch eine Rückkehr auf den alten Wachstumspfad. Nicht so die bayerische Wirtschaft. Sie sieht „das Fundament der bisherigen liberalen Weltwirtschaftsordnung weggebrochen“, zum einen wegen der „aggressiven protektionistischen Agenda“ von US-Präsident Donald Trump, zum anderen weil auch Länder wie China und Russland eine neue globale Ordnungsstruktur befürworteten.

Aber wie könnte die neue Normalität im Welthandel aussehen? Der Wirtschaftsverband hat vom Institut Prognos drei Szenarien für eine Welt erarbeiten lassen, in der multilaterale Institutionen und die westliche Staatengemeinschaft ihre zen­trale Rolle verloren und große Schwellenländer einen stärkeren Einfluss haben.

EU kann Handelshürden im Binnenmarkt abbauen

In den ersten beiden Szenarien bleibt der geopolitische Konflikt zwischen den USA und China bestehen, er eskaliert aber nicht. Was erst einmal beruhigend klingt, hat aus Sicht der Autoren dennoch weitreichende Folgen. „Viele Länder erhöhen – oft in erratischer Weise – ihre Einfuhrzölle, nicht tarifäre Handelshemmnisse in Form von technischen Vorschriften, Sicherheitsbestimmungen oder Zulassungsbestimmungen nehmen deutlich zu, heißt es in der Studie, die der Wirtschaftsverband am 7. Mai auf dem von ihm mitveranstalteten Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee vorstellen wird.

Im ersten Szenario nimmt die EU eine neutrale Position ein, es findet „eine gewisse außenwirtschaftliche Entflechtung statt“, die Vereinigten Staaten und China verlieren als Absatz- und Beschaffungsmarkt für die EU etwas an Bedeutung. Zugleich aber gelingt es der EU, Handelshürden im Binnenmarkt abzubauen und enger mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten. Mit Ländern und Wirtschaftsräumen wie Indien, Mercosur, ASEAN, Japan, Südkorea, Australien und Kanada werden Freihandelsabkommen neu abgeschlossen oder vertieft. Selbst wenn diese Verbesserungen gelingen werde es aber schwierig für Deutschland, unter dem Strich nicht schlechter dazustehen: Sollte sich der Handel mit China und den USA halbieren, entspreche das 10 Prozent des deutschen Außenhandels oder dem gesamten Handel mit den genannten möglichen Freihandelspartnern. Vor allem die Bereiche Pharma (Amerika) und Elektronik (China) könnten leiden.

Wenn China Taiwan angreift

Im zweiten Szenario verfällt auch die EU in Protektionismus. Dann „dürfte der außenwirtschaftliche Austausch – und damit eine ganz wesentliche Geschäftsgrundlage vieler deutscher und bayerischer Unternehmen – massiv erodieren“, heißt es in der Studie. konkrete Zahlen, wie viele Arbeitsplätze und wie viel Wirtschaftskraft in diesem Fall auf dem Spiel stehen, liefert die Studie nicht.

Im dritten Szenario eskaliert der Konflikt der USA mit China durch einen Angriff Chinas auf Taiwan, mit dem die Volksrepublik zumindest indirekt seit Jahren droht. Die EU steht in diesem „worst case“ auf Seiten der USA, der Handel mit China bricht ähnlich stark ein wie der mit Russland nach dem Angriff der russischen Armee auf die Ukraine. In Zahlen bedeutet das „ein Minus in Höhe von 60 Milliarden Euro bei der deutschen Ausfuhr und von knapp 140 Milliarden Euro bei der deutschen Einfuhr“. Zugleich brechen die Auslandsinvestitionen weg, Forschungskooperationen verschwinden und – wahrscheinlich am schlimmsten – Lieferketten werden „umfassend und lange“ gestört, in Deutschland kommt es zu stark steigenden Preisen und zu Produktionsausfällen.

Diesen Zusammenbruch halten die Autoren nicht für die naheliegendste Variante. „Wahrscheinlich ist eines der ersten beiden Szenarien“, sagte Verbandspräsident Hatz. Tendenziell werde die EU auf drastische Handelsbeschränkungen verzichtet und stattdessen Kompensation durch den Abschluss von Handelsabkommen mit anderen Staaten suchen, was dem ersten, positiven Szenario entspricht. Hatz hält das für richtig und fordert von der EU, den außenwirtschaftlichen Austausch mit anderen großen westlich orientierten Volkswirtschaften zu verstärken und die Handelshürden in der EU abzubauen. Die „nichttarifären“ Handelshemmnisse innerhalb der EU entsprechen Zöllen in zweistelliger Höhe, hat der internationale Währungsfonds vorgerechnet.