Die ersten AfD-Anhänger hatten schon wenige Minuten nach der Knaller-Nachricht die Deutung zur Hand: Es liege an den guten Umfragewerten für die Partei, dass der Staat nun keine andere Lösung mehr wisse, als sie als rechtsextrem einzustufen. „Wie lachhaft“, schrieb einer. Ein anderer, sarkastisch: „Sicher Zufall.“ Dazu zwei Clown-Emojis. Auch die brandenburgische AfD-Landtagsabgeordnete Lena Kotré machte sich diese Deutung zu eigen. Auf Telegram postete sie unter dem Stichwort „Ursache“ ein Bild aktueller Umfragebalken und unter „Wirkung“ eine Zeitungsüberschrift: „AfD ist gesichert rechtsextremistisch“. Die Aufregung zeigt allerdings auch, dass die Politiker und ihre Unterstützer um die Partei fürchten. Denn tatsächlich hatten sie lange befürchtet, dass der Tag kommen würde, der nun gekommen ist.
Auffällig wenig kam zunächst von führenden AfD-Politikern. Waren sie geschockt, mussten sie sich sortieren? Jedes Wort wog nun schwerer als vorher. Der Verfassungsschutz stuft die AfD ab sofort als gesichert rechtsextrem ein. Das teilte die Behörde am Freitagvormittag mit. „Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar“, hieß es in einem Rundschreiben an Journalisten. Durch dieses Verständnis ziele die Partei darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen, sie zu benachteiligen und damit auch rechtlich nicht gleichzustellen. Die AfD pflege ein „ausgrenzendes Volksverständnis“.
Das schlug im politischen Berlin ein wie eine Bombe: Denn nicht nur fühlen sich viele Politiker der anderen Parteien bestätigt in ihren Warnungen vor der AfD, vor den „Rechtsextremisten“, die sie nun so nennen dürfen statt von Rechtsaußen-Politikern oder äußerst Rechten zu sprechen. Wichtiger ist vielen noch, was daraus folgen könnte: doch noch ein Verbotsverfahren. Automatisch geht das nun allerdings nicht; Bundestag, Bundestag oder Bundesregierung müssen es beim Bundesverfassungsgericht beantragen. Ein entsprechender Vorstoß aus dem Parlament war im Januar gescheitert; er fand nicht genügend Zustimmung. Manche erwarten, dass jetzt einige Abgeordnete nochmal neu nachdenken.
Das Gutachten dauerte länger als erwartet
Oder schon nachgedacht haben, aber auf die schriftliche Bestätigung durch den Verfassungsschutz warteten. Denn wirklich überraschend kommt die Hochstufung nicht. Schon letztes Jahr war damit gerechnet worden; dann aber dauerte es länger als erwartet. Es hieß, die Behörde nehme sich besonders viel Zeit, um bei der Begründung sauber und genau zu sein. Dann stand die vorgezogene Bundestagswahl ins Haus; wäre das Gutachten in den Wochen davor erschienen, wäre wohl bei vielen der Eindruck entstanden, es sollte den Wahlausgang beeinflussen.
Dass auch jetzt weder Umfragewerte noch konkurrierende Parteien Einfluss auf das Gutachten und seinen Veröffentlichungszeitpunkt gehabt hätten, betonte Bundesinnenministerin Nancy Faeser wenige Minuten, nachdem die Nachricht bekannt war, in einer schriftlichen Erklärung. Die neue Einstufung sei das Ergebnis einer „umfassenden und neutralen Prüfung, die in einem 1100-seitigen Gutachten festgehalten ist“. Es habe keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben.
Wohl in der Annahme, dass die AfD gegen das Gutachten klagen werde, fügte sie hinzu: „Auch die neue Bewertung wird sicherlich gerichtlich überprüft werden. Im Rechtsstaat entscheiden am Ende unabhängige Gerichte.“ Eine Klage der AfD scheint sicher; führende Vertreter der Partei hatten das in der Vergangeheit mehrfach angekündigt für den Fall, der nun eingetreten ist.
So begründet der Verfassungsschutz die Hochstufung
Das erwähnte Gutachten wurde der Öffentlichkeit bisher nicht zugänglich gemacht. Aus Sicherheitskreisen erfuhr die F.A.Z., dass das Gutachten den Zeitraum von Februar 2021 bis April 2025 umfasst; der ethnisch-abstammungsmäßige Volksbegriff werde unter anderem festgemacht an Aussagen wie „Passdeutsche“, Chiffren wie „Großen Austausch“ und „Umvolkung“ für einen angeblich gesteuerten Prozess der Verdrängung ethnisch Deutscher und der Verwendung von Tiermetaphern – mit Fokus auf invasive Arten – im Zusammenhang mit Migration. Fremdenfeindlich seien etwa in der Partei verbreitete Ausdrücke wie „Messermigranten“ und die wiederholte Forderung nach „millionenfacher Remigration“.
Der Verfassungsschutz weist in seiner Mitteilung auch darauf hin, dass in der Vergangenheit mehrere Gerichte die Einstufung der AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall bestätigt hätten, also anerkannt hätten, dass ausreichend Anhaltspunkte vorlägen, dass von der AfD Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgingen. Diese Anhaltspunkte hätten sich inzwischen bestätigt und „in wesentlichen Teilen zur Gewissheit verdichtet“.
Auch zu ihren Kriterien gaben die Verfassungsschützer Auskunft: Die Haltung der AfD sei an den Grundprinzipien der Verfassung gemessen worden, Menschenwürde, Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip. Neben dem offiziellen Parteiprogramm und Aussagen von AfD-Spitzenpolitikern habe man auch solche von anderen Repräsentanten sowie Verbindungen zu Rechtsextremisten einbezogen. Die AfD-Führung hatte immer wieder beklagt, dass an ihrem Programm nichts auszusetzen sei, und dass sie sich darin zu allem bekenne, was den Rechtsstaat ausmache.
Allerdings fiel es ihr immer wieder schwer, krude Äußerungen von einzelnen Politikern einzuordnen, die sich etwa zur NS-Zeit, zum Parteienstaat oder Migranten auf eine Weise einließen, die auch der Parteispitze unangenehm war. Die Erklärung war dann immer: Einzelfälle ohne Bedeutung.
In der AfD wurde befürchtet, dass die Hochstufung vor allem das Einreißen der Brandmauer erschweren könnte. So wäre sie weiter isoliert. Und es würde schwerer, vor allem die CDU dazu zu bewegen, die Brandmauer einzureißen; die müsste ihren Wählern dann erklären, mit einer rechtsextremen Partei gemeinsame Sache zu machen.