Die amerikanische Missbrauchsopferorganisation „Bishop Accountability“ hat zwei Kardinälen, die vor dem Konklave in der kommenden Woche als mögliche Nachfolger von Papst Franziskus auf dem Stuhl Petri gehandelt werden, schwere Versäumnisse beim Umgang mit Missbrauchsfällen vorgeworfen. Anne Barrett Doyle, Vorsitzende der 2003 gegründeten Organisation, sagte am Freitag in Rom über Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, kein Kurienmitarbeiter habe „so viele Dokumente über Missbrauchsfälle zurückgehalten wie er“.
Zwar habe Papst Franziskus im Dezember 2019 das kirchenrechtliche Vertraulichkeitsgebot (Päpstliches Geheimnis) bei Missbrauchsfällen mit minderjährigen Opfern aufgehoben, doch habe das von Parolin geführte Staatssekretariat auch danach immer wieder die Herausgabe von vatikanischen Dokumenten zu solchen Fällen verweigert.
Parolin habe auch zugelassen oder sogar veranlasst, dass der später als serieller Missbrauchstäter von Papst Franziskus exkommunizierte amerikanische Kardinal Theodore McCarrick in kirchendiplomatischer Mission in Peking unterwegs war, obschon Papst Benedikt XVI. gegen McCarrick ein Reiseverbot verhängt hatte. Parolin gilt als Architekt des Geheimabkommens von Herbst 2018 zwischen dem Heiligen Stuhl und Peking zur gemeinsamen Ernennung von Bischöfen für chinesische Diözesen, bei dessen Zustandekommen der jüngst verstorbene ehemalige Kardinal McCarrick eine wichtige Rolle gespielt hat.
Keine Richtlinie für Umgang mit Missbrauchsopfern in Manila
Mit Blick auf den philippinischen Kurienkardinal Luis Antonio Tagle sagte Doyle, dieser „weint in der Öffentlichkeit“, wenn Missbrauchsfälle zu Sprache kämen, doch bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt durch Geistliche und bei den Schutzmechanismen befänden sich die Philippinen „noch im dunkelsten Mittelalter“. So habe das Erzbistum Manila, dem Tagle von 2011 bis 2019 vorstand, noch immer keine Richtlinien für den Umgang mit Missbrauchsopfern und zur Vermeidung von sexualisierter Gewalt in der Kirche veröffentlicht.
Der Rechtsanwalt Michael Gatchalian, der aus Cebu City zugeschaltet war und als Ministrant selbst von einem inzwischen exkommunizierten Augustinermönch missbraucht worden war, beklagte, dass in den Philippinen Missbrauchsopfer „noch immer eingeschüchtert, bedroht und ausgegrenzt“ würden. „Ich habe vor 23 Jahren erstmals Anzeige gegen den Priester erstattet, und es hat sich bis heute nichts geändert“, sagte Gatchalian.
Tagle als der seit Jahren einflussreichste Bischof und Kardinal der Philippinen sei ursächlich für die Fortdauer einer Unkultur der Vertuschung von Missbrauchsfällen und des Nichtstuns zur Vermeidung weiterer Fälle von sexualisierter Gewalt in der philippinischen Kirche verantwortlich, sagte Doyle. Das internationale Netzwerk von Missbrauchsopfern „Ending Clergy Abuse“ (ECA) forderte vom nächsten Papst, dieser müsse sich „für Gerechtigkeit statt für den Schutz der Institution entscheiden“.