Spitzen von Schwarz-Rot zurückhaltend zu Verbot der AfD

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Kaum war am Freitagvormittag bekannt geworden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die gesamte AfD als gesichert rechtsextremistisch einstuft, brach die Diskussion darüber, ob die Partei verboten werden soll, mit Wucht wieder aus. Einige, die bisher schon für ein Verbotsverfahren waren, fühlten sich bestätigt. Politiker aus der Opposition oder solche, die in den Parteien der künftigen Koalition weniger politisches Gewicht haben, waren schneller mit der Forderung nach einem Verbot bei der Hand. Je größer das politische Gewicht derjenigen, die sich äußerten, desto vorsichtiger wurden die Aussagen.

Die Linke preschte erwartungsgemäß vor. Die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Heidi Reichinnek, und der Parteivorsitzende Jan van Aken forderten, das Verbotsverfahren „mit aller Entschlossenheit voranzutreiben“. Der Grünen-Abgeordnete Kassem Taher Saleh schrieb in einer Mitteilung, „seit dem ersten Tag“ dringe er auf ein Verbotsverfahren.

Miersch nach Einstufung zurückhaltender

Dass der frühere Ostbeauftragte der Bundesregierung und sächsische Christdemokrat Marco Wanderwitz am Freitag sofort ein AfD-Verbot forderte, verwunderte noch weniger. Schließlich hatte er erst kürzlich einen Verbotsantrag initiiert. Wanderwitz hatte allerdings bei der jüngsten Bundestagswahl nicht mehr kandidiert. In der SPD legte sich immerhin eine stellvertretende Bundesvorsitzende, Serpil Midyatli, fest: „Das Verbot muss kommen.“ Auch der sozialdemokratische Innenminister von Thüringen, Georg Maier, sprach sich für ein Verbotsverfahren aus.

Auf den politischen Etagen, auf denen ein Verbotsverfahren betrieben und erklärt werden müsste, herrschte dagegen Zurückhaltung vor. Gut deutlich wurde das Dilemma am Beispiel von SPD-Generalsekretär Matthias Miersch. Er hatte noch vor Ostern im Interview mit der F.A.Z. gesagt, er warte auf das Gutachten des Verfassungsschutzes. „Sollte dieses zu dem Schluss kommen, dass die AfD gesichert rechtsextrem ist und eine konkrete Gefahr für unser demokratisches Gemeinwesen darstellt, dann wäre das ein starkes Signal“, hatte Miersch geäußert. „Auf dieser Grundlage könnte ein Verbotsverfahren ernsthaft geprüft und gegebenenfalls eingeleitet werden.“

Am Freitag klang Miersch zurückhaltender. Zwar sagte er dem „Spiegel“, das Bundesamt für Verfassungsschutz habe auf mehr als 1100 Seiten dargelegt, dass „das Weltbild der AfD eine klare Sprache spricht“. Ein Verbotsverfahren brachte er aber nicht ins Spiel. Die neue Koalition aus Union und SPD müsse das weitere Vorgehen umgehend beraten. „Jetzt braucht es eine gemeinsame, entschlossene Antwort des Rechtsstaats.“

Auch andere Sozialdemokraten äußerten sich in diesem Sinne. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, sprach von einem „klaren verfassungsrechtlichen Signal“ und kündigte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur an, man werde sich mit dem Koalitionspartner über den weiteren Umgang mit der Union abstimmen. Der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte vor einem „Schnellschuss“.

Schadenfreude wegen Vorstoß von Spahn

Besonders schwierig ist die Lage für die CDU, die künftige Kanzlerpartei. Noch bevor am Dienstag der Parteivorsitzende Friedrich Merz zum nächsten Bundeskanzler gewählt werden soll, will der derzeitige Fraktionsvize Jens Spahn am Montag Chef aller Unionsabgeordneten werden. Spahn hatte kürzlich große Unruhe nicht nur bei der SPD, sondern auch in den eigenen Reihen hervorgerufen, weil er gefordert hatte, die AfD im Bundestag in organisatorischen Fragen so zu behandeln wie die anderen Oppositionsfraktionen. Das zielte unter anderem auf die Wahl von AfD-Politikern zu Ausschussvorsitzenden.

Das hatte zu scharfer Kritik des künftigen Koalitionspartners geführt. Auch am Freitag nutzte Katja Mast die Gelegenheit, welche die Festlegung des Verfassungsschutzes bot, um gegen Spahns Vorstoß anzugehen, ohne dessen Namen zu nennen. „Für mich bestätigt sich einmal mehr, dass Vertreter der AfD im Bundestag für Ämter nicht wählbar sind und Demokratinnen und Demokraten nicht repräsentieren können.“

Spahn äußerte sich am Freitag nicht öffentlich. Er dürfte wissen, wie heikel die Lage ist und erst einmal mit der Fraktion über den Umgang mit der AfD und der Einstufung durch den Verfassungsschutz reden wollen. Schon bisher hatten manche Parteifreunde sich gegen seinen Vorstoß gewehrt. Am Freitag sagte die zur CSU gehörende Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz, als gesichert rechtsextremistische Gruppierung sei die AfD „keine Partei wie jede andere“. Eine Wahl von AfD-Abgeordneten in das Bundestagspräsidium oder zu Ausschussvorsitzenden halte sie „nun für kaum mehr denkbar“.

Und ganz oben? Merz sagte öffentlich nichts. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bekräftigte in einer dürren Mitteilung, es bleibe dabei, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben werde. Ansonsten gelte es, die Probleme der Menschen zu lösen. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder äußerte, die „Brandmauer“ zur AfD stehe. Man wolle „keine Dämonisierung, aber eben auch keine Relativierung“. Die CSU wolle die AfD „durch gutes Regieren entlarven“. Daniel Günther, christdemokratischer Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und politischer Lieblingsfeind von Söder, sagte dagegen klar, er sei für ein Verbotsverfahren. Zur Kanzlerwahl gibt es für Merz außer Blumen auch eine AfD-Debatte.