Industrie bangt um kritische Rohstoffe

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Chinas Einschränkungen für die Ausfuhr der begehrten Metalle aus der Volksrepublik sorgen für große Unruhe in vielen deutschen Unternehmen, wie Recherchen der F.A.Z. zeigen. Weil Exporteure neue Genehmigungen für die Ausfuhr von Seltenen Erden aus China heraus beantragen müssen und unklar ist, wann und ob diese Genehmigungen erteilt werden, könnten sich Lieferungen nach Europa um sechs bis acht Wochen verzögern oder ganz wegfallen. 

Sollte es nur zu Verzögerungen kommen, ist unsicher, ob die aufgebauten Lagerbestände so lange reichen. „Die aktuellen Exportkontrollen Chinas bei Seltenen Erden gefährden die Versorgungssicherheit der Elektro- und Digitalindus­trie“, warnt Wolfgang Weber, der Vorsitzende der Geschäftsführung des Verbands der Elektro- und Digitalindus­trie (ZVEI), mit drastischen Worten.

Es gleicht einem Unfall in Zeitlupe, den die Welt gerade beobachtet: Als Gegenschlag im Handelskrieg hat China Anfang April die Ausfuhr von rund einem halben Dutzend wichtiger Seltener Erden vorerst ausgesetzt. Die kaum bekannten Elemente mit Namen wie Samarium, Terbium oder Yttrium sind für viele Produktionsvorgänge kaum ersetzbar. Seitdem greifen die Produzenten überall auf der Welt auf ihre Lagerbestände zurück. „Im Moment sind wir gut bevorratet und kommen über die nächsten Wochen. Zudem sind wir in Gesprächen mit unseren Zulieferern, ob wir auf andere Seltene Erden umstellen oder sie aus anderen Herkunftsländern beziehen können“, sagt etwa Martin Schwarz, Produktionsvorstand des deutschen Motorsägenherstellers Stihl, stellvertretend für viele Unternehmen.

Ein Vertreter der Deutschen Rohstoffagentur sprach in der F.A.Z. allerdings vom „schärfsten Schwert“, das die Chinesen mit dem Ausfuhrstopp gezückt hätten. Denn die Volksrepublik hat auf die Produktion und vor allem die Aufbereitung einiger dieser Produkte ein Monopol. Laut Statistischem Bundesamt kamen im Jahr 2024 65,5 Prozent der importierten Menge an Seltenen Erden in Deutschland direkt aus China. Für einzelne Metalle sind es aber weit mehr als 90 Prozent. Deshalb ist es nur eine Frage der Zeit, dass die Bestände der bisherigen Kunden zur Neige gehen. Die Folge wären Produktionsstopps in vielen Industrien, weil die Seltenen Erden nicht überall ersetzt werden können. Dass es so kommt, so sagen Industrievertreter, ist eine Frage von Wochen, wenn Peking nicht umschwenkt.

Weitreichende Informationen für Lizenzvergabe

Offiziell hat die chinesische Regierung neue Exportkontrollen eingeführt, die vor allem die US-Rüstungsindustrie treffen soll. Um zu verhindern, dass Chinas Seltene Erden in amerikanischen Kampfjets und U-Booten landen, brauchen die Exporteure jetzt Lizenzen. China verlangt dafür sehr weitreichende Informationen, bei denen es sich um Geschäftsgeheimnisse handeln kann, darunter etwa technische Zeichnungen von Motoren oder Informationen über Endprodukte und deren Verkaufsregionen. Weil es im vergangenen Jahr in einem ähnlichen Fall sechs bis acht Wochen dauerte, dass Lizenzen erteilt wurden, hoffen viele, dass es in diesem Jahr nicht länger sein wird.

Der Handelskrieg zwischen den USA und China hat aber inzwischen eine ganz andere Dimension. „Eine Garantie einer Erteilung der neuen Lizenzen haben die Exporteure nicht“, mahnt Hildegard Müller, Präsidentin des Automobilverbands VDA. Noch gibt es keine Berichte darüber, dass der Export dieser Seltenen Erden wieder anläuft. Die chinesische Propaganda frohlockt derweil über die Nervosität, die die Maßnahmen schüren. „Chinas Seltene-Erden-Kontrollen versetzen die USA in Angst“, schreiben verschiedene Staatsmedien wortgleich.

Durch den Handelskrieg der Giganten drohen gewaltige Kollateralschäden in anderen Industrieländern. Betroffen ist nicht zuletzt die deutsche Automobilindustrie, die die begehrten Metalle vor allem für die Herstellung von Permanentmagneten braucht, welche in Elektromotoren für den Antrieb aber auch in kleineren Motoren für Anwendungen wie Fensterhebern zum Einsatz kommen. Zudem brauchen Katalysatoren und Systeme zur Abgasreinigung Seltene Erden.

Lieferunterbrechungen nicht auszuschließen

Mercedes hat eine Taskforce gebildet, um die Auswirkungen der neuen Regelung abschätzen zu können. „Kurzfristig ist die Produktion nicht gefährdet, wir haben aber Hunderte Lieferanten, die für ihre Komponenten Seltene Erden brauchen. Noch gibt es bei uns keinen Überblick, welche Zulieferer besonders betroffen sind“, sagt ein Sprecher auf Anfrage. „Die Schiffe mit betroffenen Komponenten werden wohl jetzt Wochen auf die Genehmigungen warten müssen, der Zollkrieg beginnt – und das ist der Trumpf der Chinesen.“

Während der Sportwagenhersteller Porsche die Versorgung durch seine Lieferanten als „unverändert gut“ einschätzt, hält der Zulieferer ZF auch Lieferunterbrechungen für möglich. Das Friedrichshafener Unternehmen bezieht die Rohstoffe nicht selbst, sondern als Zulieferteile, zu deren Herstellung Seltene Erden benötigt werden. „Hier sehen wir bereits erste Auswirkungen in den Lieferketten einiger unserer Lieferanten“, erklärt ein Sprecher. „Je nach Dauer der Erteilung neuer Exportlizenzen sind auch kurzfristige Lieferunterbrechungen nicht auszuschließen.“

Zum Teil stellt die ZF die Lieferketten der betroffenen Teile auf Luftfracht um, um die Zeitverzögerung durch den Genehmigungsprozess wieder aufzuholen. Bosch äußert sich nicht zu möglichen Folgen der neuen Politik Chinas auf die Produktionssicherheit des Autozulieferers. „Wir evaluieren derzeit die möglichen Auswirkungen von Chinas Exportstopp für Seltene Erden auf unsere globalen und regionalen Geschäftsaktivitäten“, sagt eine Sprecherin.

Unternehmen prüfen alternative Beschaffungsquellen

Auch der Maschinenbau ist auf leistungsstarke Permanentmagneten angewiesen, die Elektromotoren in industriellen Anlagen, Robotern und automatisierten Produktionslinien antreiben. „Aktuell verursachen die Exportrestriktionen mehrwöchige Lieferverzögerungen, bis die ersten chinesischen Exportgenehmigungen vorliegen“, sagt Dietrich Birk, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) Baden-Württemberg. Anzeichen für eine negative Entscheidungslinie in Richtung Europa seien derzeit nicht erkennbar.

„Welche Auswirkungen die Lieferverzögerungen haben werden, ist unklar. Manche Unternehmen haben einen Lagerbestand solcher Produkte, der groß genug ist, um mehrwöchige Lieferverzögerungen abzupuffern”, sagt Birk. Betroffene Unternehmen prüfen nach Angaben des VDMA zudem alternative Beschaffungsquellen außerhalb Chinas, um ihre Lieferkette zu diversifizieren.

Noch keine Probleme hat der baden-württembergische Maschinenbauer und Laserspezialist Trumpf. „Für die nächsten Wochen sehen wir keine Engpässe“, sagt ein Sprecher. Trumpf nutzt Seltene Erden unter anderem in bestimmten Laserkristallen, allerdings handele es sich im Vergleich zu anderen Unternehmen um eine überschaubare Zahl von Komponenten, die betroffen wären. „Wenn unsere Vorlieferanten nicht mehr lieferfähig wären, wäre aber auch Trumpf mittel- bis langfristig davon betroffen“, erläuterte der Sprecher weiter.

Metallhändler haben wichtige Funktion

In der Elektroindustrie werden die wertvollen Metalle bei sehr vielen elektrischen und elektronischen Produkten gebraucht, sie sind unter anderem in Smartphones, Computern, Festplatten, LEDs, Bildschirmen, Laser- und Röntgen aber auch Generatoren etwa für Windkraftanlagen zu finden. Im Moment versuchen die Unternehmen nach Angaben des ZVEI in zweierlei Hinsicht auf die neue Situation zu reagieren. „Zum einen versuchen sie, den neuen chinesischen Anforderungen zu entsprechen. Die Bearbeitungszeit wird dabei mit sechs bis acht Wochen veranschlagt“, erläutert Weber weiter. „Zum anderen versuchen sie, sich anderer, nicht-chinesischer Bezugsquellen zu bedienen.“ Ohne handelspolitische Restriktionen gibt es nach Angaben von Geschäftsführer Weber keine Knappheiten bei Seltenen Erden, die in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen.

Eine wichtige Funktion bei der Rohstoffbeschaffung für die Industrie kommt den Metallhändlern zu. „Unsere Metallhändler stehen in ständigem Dialog mit ihren asiatischen und weltweiten Partnern, um die Rohstoffversorgung sicherzustellen. Dabei können sie die Verfügbarkeit von Metallen in den meisten Fällen ermöglichen, es ist letztlich eine Frage des Preises“, heißt es vom Verband Deutscher Metallhändler und Recycler (VDM) dazu, der noch keine akuten Engpässe sieht. Industrieunternehmen begäben sich vor allem dann in eine Abhängigkeit, wenn sie ihre Metalle von einem einzigen Produzenten im EU-Ausland bezögen. Metallhändler hätten dagegen Dutzende gewachsener Kontakte.

Der Verband warnt, dass eine Renationalisierung von Metallen in die Irre führe. „ Sowohl der europäische Metallhandel als auch das Metallrecycling sind auf den Weltmarkt angewiesen. So wie die US-Zollpolitik Druck ausübt, kann auch China gezielt den Rohstoffhebel einsetzen“, heißt es. Eine kluge Rohstoffpolitik reagiere darauf nicht nach dem Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn, sondern setze auf Dialog. Eine sichere Rohstoffversorgung braucht laut VDM klare Rahmenbedingungen und ein globales Verständnis für Warenströme.

Die Rohstoffstrategie der Bundesregierung beruhe bekanntlich auf drei Säulen: heimischer Bergbau, Recycling und Import. Ein internes Papier des VDM zeigt mögliche Stellschrauben auf, wie der Import unterstützt werden kann. Dazu gehörten unter anderem Erleichterungen für die Finanzierung von Rohstoffimporten. Der Einkauf von Rohstoffen sei kapitalintensiv und mit erheblichen Preis- sowie Lieferkettenrisiken verbunden. „Banken zeigen sich bei der Finanzierung solcher Geschäfte zunehmend zurückhaltend“, beobachtet der VDM.

Staatliche Rohstoffreserven gefordert

Um die Liquidität und Risikotragfähigkeit von Rohstoffhändlern zu stärken, werde der Aufbau eines Rohstoffhandelsfonds oder eines Kreditabsicherungsprogramms über KfW oder BMWK empfohlen. Außerdem regen die Metallhändler den Aufbau staatlicher Rohstoffreserven an. Dieser sei „unerlässlich, um die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern zu reduzieren“. Eine staatliche Bevorratung für kritische Rohstoffe wie Antimon, Kobalt, Molybdän, Wolfram von mindestens einem Jahr sollte in enger Kooperation zwischen Industrie und Metallhandel erfolgen.

Dass es eine solche Reserve noch nicht gibt, ist für Benedikt Sobotka nicht nachvollziehbar. Als langjähriger Vorstandschef des kasachischen Bergbaukonzerns Eurasian Resources Group wirbt er vehement für ein solches Äquivalent zur Gasreserve und rechnet vor, dass diese einem Gaswert im zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich entspreche, um den deutschen Bedarf maximal drei bis vier Monate zu decken. „Im Vergleich dazu reden wir bei den Seltenen Erden von winzigen Beträgen“, sagt Sobotka. Würde man die gleiche Sicherheit wie beim Erdgas erhalten wollen, müsste man seiner Rechnung zufolge Seltene Erden im Wert von circa 20 Millionen Euro einlagern. Dies entspräche etwa 2000 Tonnen, die in vier Standard-40-Fuß-Container passten. „Die gesamte deutsche strategische Seltenerdenreserve für vier Monate würde also 20 Millionen Euro kosten und auf den Hinterhof einer kleinen Spedition in Hanau passen. Wenn das kein lösbares Problem ist . . .“, sagt Sobotka.

Zudem fordert der Rohstoffmanager, dass Deutschland die schon in Europa vorhandenen verarbeiteten Rohstoffe systematisch sammeln und recyceln solle. „Auch heute noch geht ein großer Anteil dieser Materialien wieder zurück nach China oder wird unwiderruflich entsorgt.“ Die meisten Magnete landeten derzeit im Stahlschrott, statt sie einer strategischen Kreislaufwirtschaft zuzuführen. Langfristig müsse Europa aber endlich eigene Rohstoffvorkommen systematisch erschließen. Es gebe in Europa einige interessante Rohstoffprojekte, die wirtschaftlich sein könnten. Allerdings befänden sich die meisten dieser Projekte noch in relativ frühen Entwicklungsstadien.