Jeder Kanzler muss im Dreieck von Kabinett, Fraktion und Partei manövrieren, und jedes Mal stehen die Innenwinkel etwas anders zueinander. Für Friedrich Merz, der wohl am Dienstag Regierungschef wird, CDU-Vorsitzender bleibt und längere Zeit die Fraktion führte, könnte die Machtgeometrie aufgehen.
Im Kabinett ist er, von den SPD-Ministern abgesehen, von Loyalisten umgeben. Das gilt für Weggefährten wie den designierten Kanzleramtschef Thorsten Frei, aber auch für die Quer- und Semiquereinsteiger aus der Wirtschaft, die sich ohne größere Berliner Ambitionen als Teil des Merz-Projekts begreifen dürften. Manche sehen Schwachstellen im Regierungsteam, aber insgesamt atmet es einen frischeren Geist als die meisten Riegen unter Merkel.
Die Partei wiederum wird hauptberuflich von einem Mann gesteuert, der einigen Anteil an Merz’ Wiederaufstieg hat. Generalsekretär Carsten Linnemann konnte seine Position durch den Verzicht auf ein Ministeramt stärken und scheint nun eine Gewichtsklasse anstreben zu wollen, wie sie einst Kurt Biedenkopf oder Heiner Geißler besaßen. Dass er die CDU „mit eigener Stimme“ sprechen lassen will, muss kein Schaden sein. Sich nicht als „Außenstelle 1A des Bundeskanzleramts“ zu verstehen, könnte sogar helfen.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Läuft es gut, formt Linnemann die Partei zu einem sanften Druckmittel. Merz könnte dann, wie es bei den Grünen üblich war, mit der Stimmung an der Basis drohen, sollten die eigenen Grundsätze im Koalitionsalltag allzu sehr gerupft werden.
Eine Ankündigung als Mahnung
Allerdings dürfte die Parteigefolgschaft von Merz’ politischem Erfolg abhängen. Hinter Linnemanns Ankündigungen verbirgt sich auch die Mahnung, das schon angegriffene Selbstverständnis als Nach-Merkel-CDU im Regierungsalltag mit den Sozialdemokraten nicht weiter zu erschüttern. Eigentlich wollte Linnemann im Arbeitsministerium den Sozialstaat reformieren. Nun wird er, als Dirigent der größeren Regierungspartei, zumindest dessen Ausbau zu verhindern suchen.
Misslingt das, könnte er versucht sein, die Partei für eigene Ziele einzuspannen. Sollte Merz’ Koalitionsregierung hinter den Erwartungen zurückbleiben und die AfD in Umfragen womöglich dauerhaft an der Union vorbeiziehen, würde sich das am Kanzler und seinen Ministern festmachen, nicht am Generalsekretär.
Von ähnlichem Kalkül wird Jens Spahn geleitet sein. Mit ihm hat Merz, zur Überraschung vieler, den politisch stärksten Mann in seinen Reihen zum künftigen Fraktionschef erkoren. Auch wenn Spahn von vielen Unionsabgeordneten misstrauisch beäugt wird, verfügt er über die Möglichkeit, die Fraktion straff zu führen und dem Kanzler wertvolle Unterstützung zu leisten. Aber auch er stünde nicht in vorderster Schusslinie, sollte die Koalition mit ihrer Arbeit enttäuschen.
Spahns Vorschlag, die AfD – die am Freitag durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurde – endlich wie eine normale Oppositionspartei zu behandeln, ist noch kein sicherer Hinweis darauf, dass er perspektivisch eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit ihr sucht, aber doch ein Plädoyer für eine Normalisierung der Beziehungen. Dass AfD-Chef Chrupalla prompt ankündigte, nunmehr im Parlament einen „anderen“ – gemeint war: versöhnlicheren – Ton anzuschlagen, klang wie eine Erwiderung. Sollte die schwarz-rote Regierung ins Trudeln geraten, lässt sich erahnen, wer dann die CDU in welche Richtung führen will.