Profitiert Friedrich Merz vom Aufschwung?

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Glück muss man haben, wenigstens ein bisschen. Das mag abwegig klingen zum Auftakt einer Regierung, die wie kaum eine vor ihr schon von Beginn an eingeklemmt ist zwischen Problemen, umgeben von einem kaltblütigen Krieger in Moskau, einem irrlichternden Potentaten in Washington und einer aggressiven Rechtspopulistin an der Spitze der größten Oppositionspartei daheim. Und einer hartnäckigen Wirtschaftsflaute, die den Umgang mit all diesen Herausforderungen noch viel schwieriger macht.

Aber einiges deutet darauf hin, dass gerade auf diesem letzten Feld der Grauton ins etwas Hellere changiert, dass Friedrich Merz und seine Minister schon leicht verbesserte Verhältnisse vorfinden, wenn sie an diesem Dienstag im Schloss Bellevue vom Bundespräsidenten ihre Ernennungsurkunden erhalten.

Die Indikatoren sind nach wie vor widersprüchlich, manches sieht immer noch nicht gut aus. Der scheidende Wirtschaftsminister korrigierte seine Konjunkturprognose kurz vor Ende der Amtszeit noch mal kräftig nach unten, und der Kollege aus dem Arbeitsressort musste an seinen letzten Tagen mitteilen, dass sich die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahr noch mal erhöht hat. Das ist die eine Seite.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Auf der anderen Seite gibt es aber auch Hinweise, dass sich manche Dinge positiver entwickeln als zuletzt. Mag die Frühjahrsbelebung auf dem Arbeitsmarkt im langjährigen Vergleich noch so schwach ausfallen, sie ist immerhin deutlicher als in den beiden Vorjahren. Mag die Wirtschaft in diesem Jahr nicht wachsen, so schrumpft sie anders als zuletzt wenigstens nicht, und das trotz der Trump-Zölle, die in die jüngsten Prognosen schon eingerechnet sind. Während die Autobranche auch schwächeln mag, berichteten die Maschinenbauer zuletzt von wachsenden Auftragseingängen. Auch die lange darbende Baubranche hofft dank sinkender Zinsen und wieder steigender Immobilienpreise auf einen Aufwärtstrend.

Zum Teil mögen dabei die Milliardensummen eine Rolle spielen, die sich etwa Rüstungs- oder Baufirmen von der geplanten Schuldenaufnahme der öffentlichen Hand erhoffen. Zum Teil mag es auch einfach der übliche Konjunkturzyklus sein, der auf eine Schwächephase auch ohne strukturelle Reformen eine leichte Belebung folgen lässt. Manche aus der alten Regierung mögen es als ungerecht empfinden, dass jetzt der künftige Bundeskanzler davon profitiert, teils auch von Beschlüssen, die er im Wahlkampf noch abgelehnt hat. Das ändert aber nichts daran, dass es der neuen Regierung hilft.

Die Parallelen zu Merkel

Womöglich geht es Merz jetzt so wie seiner christdemokratischen Vorgängerin Angela Merkel, die ihr Amt 2005 ebenfalls zu einem Zeitpunkt angetreten hatte, zu dem eine Phase der ökonomischen Stagnation gerade in eine Wachstumsperiode überging – mit dem Unterschied allerdings, dass ihr Vorgänger Gerhard Schröder mit seinen Sozialreformen einen gewichtigen, wenn auch nicht den einzigen Beitrag dazu geleistet hatte. Jedenfalls stieg die Wirtschaftsleistung des Landes in ihrem ersten vollen Amtsjahr 2006 um volle 3,9 Prozent, ein Wert, der später nur noch in den Erholungsphasen nach den tiefen Einbrüchen durch Finanzkrise und Pandemie erreicht wurde.

Eine weitere Parallele besteht darin, dass Merz ebenso wie einst Merkel seine Prioritäten stark auf die Außenpolitik verschiebt. Der Reisekalender für die ersten Amtswochen, die Personalentscheidungen in Kanzler- und Presseamt deuten auf eine starke Priorisierung dieses Themenfelds ebenso hin wie auf eine starke Kontinuität zu den Vorgängerregierungen, auch zur lange gescholtenen Ampelkoalition. Wichtige Berater holt sich Merz aus dem Umfeld der scheidenden Außenministerin Annalena Baerbock, die doch von manchen Unionspolitikern schwer gescholten wurde, allerdings nicht in der derzeit entscheidenden Frage, der Haltung zum Kriegstreiber aus Moskau.

Auf den ersten Blick könnte das darauf hindeuten, dass der schon in den letzten Wahlkampfwochen nur noch halbherzig verfolgte Primat der Wirtschaftspolitik jetzt endgültig einer Schwerpunktverschiebung auf andere Themenfelder weicht. Schließlich überlässt Merz mit dem Finanz- und Arbeitsressort zwei der wirtschaftspolitisch entscheidenden Themenfelder dem sozialdemokratischen Koalitionspartner, was koalitionsarithmetisch allerdings alternativlos war. Der CDU bleibt nur das vergleichsweise einflussarme Wirtschaftsministerium, eine Konstellation, für die Merkel noch 2018 aus den eigenen Reihen als überaus schlechte Verhandlerin kritisiert worden war.

Neue Minister mit Unternehmenserfahrung

Umso wichtiger war es dem designierten Kanzler, wenigstens auf die verbleibenden Ressorts mit ökonomischem Schwerpunkt neues Personal zu setzen, das anders als er selbst auch über operative Erfahrung in Unternehmen verfügt. Da ist zunächst der künftige Digitalminister Karsten Wildberger, der sich in den vergangenen vier Jahren an einer ähnlich schwierigen Aufgabe versuchte: Er führte den Elektrohändler Media-Saturn, der mit seinem schwachbrüstigen Onlineshop lange Zeit als der Inbegriff dafür galt, wie sehr die Europäer gegenüber Amazon und Co. den Anschluss verloren haben. Da kann der Kampf mit den Mühlen der öffentlichen Verwaltung dann auch kaum noch schrecken.

Über ähnliche Erfahrungen mit dem Versuch, einen eher schwerfälligen Konzern aufzumischen, verfügt die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. Sie führte zuletzt den Essener Energieversorger Westenergie, eine Tochter von Eon. Auch sie steht auf eine etwas paradoxe Weise für die erstaunlichen Kontinuitäten von Merkel zu Merz. Schließlich war es die frühere Kanzlerin, die einst den Aufstieg der protestantischen Naturwissenschaftlerin aus dem brandenburgischen Luckenwalde mit Wohlwollen begleitete – zu den Zeiten, als Reiche Parlamentarische Staatssekretärin unter den Umweltministern Norbert Röttgen und Peter Altmaier war.

Schließlich herrschte, bevor sich Merkel 2005 in die pragmatischen Niederungen der Exekutive begab, bei aller harten persönlichen Rivalität mit Merz zumindest in wirtschaftspolitischen Fragen doch weitgehend Einigkeit zwischen den beiden fast gleich alten Politikern. Auf dem erst gefeierten, später dann verrufenen Leipziger Reformparteitag der CDU durfte der vom Fraktionsvorsitz entthronte Merz sein Konzept einer vereinfachten Steuererklärung auf dem Bierdeckel präsentieren, mit dem die Parteichefin vollkommen einverstanden war. Umgekehrt entsprach die Idee Merkels, die Krankenkassenbeiträge nicht mehr vom Einkommen abhängig zu machen, auch den Vorstellungen des Mannes, der 22 Jahre später seinerseits zum Bundeskanzler aufsteigt.

Was sagt der Koalitionspartner dazu?

Der Blick in den Koalitionsvertrag und auf Teile des Personaltableaus lässt nun bei einigen Merz-Anhängern von einst den Verdacht aufkommen, als zeitige die Verwandlung vom Oppositionsführer zum Regierungschef auch bei dem Sauerländer eine ähnliche Kehrtwende zu Kompromiss und Pragmatismus wie einst bei seiner Vorgängerin. Das hängt freilich auch von den dialektischen Winkelzügen ab, die der politischen Logik zu eigen sind – und die sich, wenn nicht alles täuscht, der langjährige Polit-Abstinenzler Merz allmählich zu eigen macht.

So könnte sich etwa der Jubel, der in Teilen der Branche und bei ihrem früheren Arbeitgeber über die Berufung Reiches zur Energieministerin ausbrach, als reichlich verfrüht erwiesen. Schließlich wird sie gerade aufgrund ihrer vorausgegangenen beruflichen Verwendungen im neuen Amt peinlich den Eindruck vermeiden müssen, als Interessenvertreterin unterwegs zu sein.

So ist es ihr auf einem anderen Themenfeld schon einmal ergangen. Als der Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber im Wahlkampf 2002 die damals 29-Jähriige als mögliche Familienministerin präsentierte, gab es Protest aus der katholischen Kirche. Der Kölner Kardinal Joachim Meisner bemängelte, dass sie als Mutter dreier Kinder mit ihrem damaligen Lebensgefährten nicht verheiratet sei. Wohl auch deshalb begann Reiche dann, besonders pointiert ein traditionelles Familienbild zu vertreten und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften als „nicht normal“ zu brandmarken, was ihr bis heute nachhängt. Solche Wechselwirkungen könnten ihr jetzt auch in der Wirtschaftspolitik bevorstehen.

Die nächste Frage ist, was der Koalitionspartner dazu sagt. Der künftige Finanzminister Lars Klingbeil hat zuletzt unternehmerfreundliche Töne angeschlagen und verkündet, dass er sich künftig mehr um die Wirtschaft kümmern wolle. Ob die Unionsparteien das als Drohung oder als Verheißung interpretieren sollen, steht auf einem anderen Blatt. Für das wichtige Arbeitsressort gilt die bisherige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas als mögliche Anwärterin. Inhaltlich ist hier schon klar, dass Arbeitsanreize verstärkt und die Zugänge zum Bürgergeld erschwert werden sollen. Das hat in den Koalitionsverhandlungen auch die SPD mitgetragen, die den Unmut ihrer eigenen Arbeitnehmerklientel über tatsächliche oder vermeintliche Kostgänger spürt.

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Zölle als Ausrede für schlechte Zahlen

Um ihren Arbeitswillen auch in der Wirtschaftspolitik zu demonstrieren, hat die Koalition schon angekündigt, die parlamentarische Sommerpause nach hinten zu verschieben und anders als in den Vorjahren bis zum 18. Juli zu tagen. Steuerentlastungen, Bürgergeldreform, Arbeitsanreize, geringere Energiekosten: Das alles soll so schnell wie möglich kommen oder zumindest beschlossen werden, vordringlicher jedenfalls als der aktuelle Bundeshaushalt, der möglicherweise vor den Ferien gar nicht mehr kommt.

Insofern liegt in den leichten Anzeichen einer konjunkturellen Belebung auch die Gefahr, dass der Arbeitseifer wieder erlahmt – oder zumindest der feste Vorsatz der Beteiligten an Kraft verliert, sich über die geplanten Gesetze nicht wieder so zu zerstreiten wie die Vorgängerregierung. Und wenn die frisch benannten Minister nicht schnell „liefern“, wie es seit einiger Zeit gern heißt, könnten sie sich schon bald neuen Vorwürfen ausgesetzt sehen, zumal in Ressorts wie dem Wirtschaftsministerium, dessen Einfluss auf die ökonomische Entwicklung jenseits der Energiefragen begrenzt ist.

Dann könnte das letzte bisschen Glück, auf das die neuen Minister hoffen dürfen, womöglich von Donald Trump kommen. Seine erratische Handelspolitik wäre dann die einfache Erklärung dafür, warum die deutschen Wachstumsraten nicht das im Wahlkampf versprochene Maß erreichen. Womöglich sogar dann, wenn es mit den Zöllen gar nicht so schlimm kommt wie befürchtet.