Die Gratwanderung der Bärbel Bas

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Die drei Buchstaben „Bas“ sind im Geschäftsbereich des Bundesarbeitsministeriums künftig doppeldeutig. Bisher bezeichnen sie das Bundesamt für soziale Sicherung (BAS) in Bonn, dessen 750 Beschäftigte unter anderem die Zuschüsse an die Rentenversicherung verwalten und Krankenkassen beaufsichtigen. Nun tritt Bärbel Bas (SPD) hinzu, um als neue Ministerin die ganze Bandbreite der Amtsgeschäfte von Hubertus Heil zu übernehmen, von Bürgergeld bis Rente, Fachkräfteeinwanderung bis Flüchtlingsintegration, Arbeitsförderung bis Mindestlohn. Nicht zu vergessen, dass sie künftig mit einem Etat von 180 Milliarden Euro über mehr als ein Drittel des Bundeshaushalts verfügt.

Nach den Kriterien politischer Arithmetik hatte die bisherige Bundestagspräsidentin diesmal bei der Postenvergabe entscheidende Vorteile: Bas, Mitglied der Parlamentarischen Linken der SPD-Fraktion, die einst als Gesundheitspolitikerin engagiert gegen die private Krankenversicherung stritt, ist eine Frau aus Nordrhein-Westfalen. Demgegenüber fand sich Heil plötzlich in einem allzu starken Gedränge niedersächsischer Männer wieder, von SPD-Chef Lars Klingbeil über Verteidigungsminister Boris Pistorius bis zum Generalsekretär und designierten Frak­tions­vor­sit­zen­den Mattias Miersch.

Bas steht vor kniffligen Herausforderungen

Nicht weniger Erstaunen als Bas’ Berufung löste daher nach den intensiven Wochen der Koalitionsvorbereitung der Umstand aus, dass für Heil in der Klingbeil-SPD offenbar gar keine prominente Ver­wen­dung mehr zu finden war. Immerhin hatte Heil sich in knapp acht Ministerjahren einen Ruf als „Aktivposten“ der Regierungen Merkel und Scholz erworben, als hochprofessioneller Administrator und – was Arbeitgeber oft nervte – als taktisch gewiefter Sachwalter von SPD- und Gewerkschaftsanliegen. Bas wäre es wohl recht, wenn Heil nun in seiner Professionalität trotz aller Enttäuschung davon absähe, die Arbeit der neuen Ministerin von der Seitenlinie zu kommentieren.

Auf Bas kommen allerdings nicht nur insofern knifflige Herausforderungen zu. Denn politisch anspruchsvoll ist zugleich das Arbeitsprogramm, das ihr der neue Koalitionsvertrag aufgibt. Und dies umso mehr, als es in Person des CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann auch in der Union einen ambitionierten Anwärter auf das Arbeits- und Sozialministerium gegeben hat – dessen Handschrift deutlich im Vertragstext zu finden ist. Aus dieser Perspektive betrachtet, fällt es nun Bas zu, an Linnemanns Stelle die dort formulierten Vorhaben zu bearbeiten.

Dazu zählt die „Abschaffung“ des Bürgergelds (so die CDU-Terminologie), sein Umbau zu einer neuen Grundsicherung mit strengeren Regeln und dem Ziel, die vier Millionen erwerbsfähigen Leistungsbezieher stärker zur Aufnahme von Arbeit anzuhalten. Durch das neu gestaltete Bürgergeld hatte die SPD einst ein politisches Trauma und den Zorn der Gewerkschaften überwinden wollen, deren Auslöser die umstrittenen Hartz-Reformen in der Regierungszeit ihres Bundeskanzlers Gerhard Schröder waren.

Herkunft aus Duisburg

Neben „schnelleren, unbürokratischeren Sanktionen“ für Verweigerer sieht der Koalitionsvertrag nun etwa vor, dass für „Menschen, die arbeiten können, der Vermittlungsvorrang gelten“ soll. Diesen hatte die Ampelkoalition zurückgenommen mit der Begründung, dass man arbeitslose Bürgergeldbezieher lieber für höherwertige Arbeit qualifizieren solle, als sie auf den erstbesten Helferjobs zu drängen. Für die SPD-Ministerin wird es also eine Gratwanderung sein, sich einerseits koalitionstreu zu verhalten und andererseits nicht die eigenen Truppen zu verärgern, wenn sie den Gesetzentwurf dazu erarbeiten und vertreten muss.

Aufgrund ihrer Herkunft aus Duisburg, einer einstigen Hochburg des SPD-Arbeitermilieus, wird Bas nachgesagt, dass sie den Frust einfacher Arbeitnehmer über eine zu sehr auf Sozialleistungsbezieher fixierte Sozialpolitik verstehen könne. Der linke SPD-Flügel und der Deutsche Gewerkschaftsbund weisen Kritik am Bürgergeld jedoch regelmäßig als unsozialen „Generalverdacht gegen Bedürftige“ zurück.

Orientiert sich Heils Nachfolgerin am Koalitionsvertrag, muss sie überdies eine große Sozialstaatsreform umsetzen, die Leistungen straffen und vereinfachen soll. Zum einen soll die Anrechnung von Arbeitslohn für Bezieher von Sozialleistungen so gestaltet werden, dass Mehrverdienste nicht mehr durch übermäßige Abzüge von den Sozialtransfers belastet werden. Zum anderen steht zur Debatte, das Wohngeld und der Kinderzuschlag, zwei bisher separate Sozialleistungen, mit dem Bürgergeld zusammenzufassen.

Erwartungsdruck von mehreren Seiten

Auch das ist aber kein SPD-Projekt. Es stand schon im Ampelkoalitionsvertrag. Doch Minister Heil schob es auf die lange Bank. Gleiches gilt für die von der Ampel vereinbarte Lockerung gesetzlicher Arbeitszeitregeln, die nun mit dem schwarz-roten Vertrag eine Neuauflage in verschärfter Form erfuhr. Auch sie blieb unter Heil liegen, weil es die Gewerkschaften verärgert hätte. Jetzt liegt es an Bas, sich zwischen dem Erwartungsdruck der Union und der Gewerkschaften zu bewegen. Es könnte ihr politischer Hebel werden, das ebenfalls zum wiederholten Mal vereinbarte „Tariftreuegesetz“ durchzusetzen, in dem Ar­beit­geber und FDP ein „Bürokratiemonster“ sehen und das deshalb in den Ampelmühlen steckenblieb.

Druckmittel gegen CDU und CSU hat Bas freilich auch insofern in der Hand, als ohne Zutun der Arbeitsministerin nichts aus deren Rentenplänen würde, aus höhren Mütterrenten und einer neuen „Frühstartrente“. Da beide Steuermittel in Milliardenhöhe erfordern, hängen sie zudem vom neuen Finanzminister Klingbeil ab. Er will im Haushalt aber auch das nötige Geld finden, um die eigenen Rentenpläne der SPD zu finanzieren: das Festschreiben des Rentenniveaus, das für stärkere Rentenerhöhungen sorgen soll, und zwar laut Koalitionsvertrag auf Steuerzahlerkosten.

Politisch brenzlig ist überdies der Mindestlohn. Nach verbreiteter SPD-Lesart soll er notfalls ein weiteres Mal per Gesetz und über die unabhängige Mindestlohnkommission hinweg erhöht werden, falls sie im Juni nicht „freiwillig“ 15 Euro beschließt. Dass sich Union und SPD nicht einig sind, was sie dazu im Koalitionsvertrag vereinbart haben, hatte sich schon vor Ostern gezeigt. Sollte sich Bas für einen besonders offensiven Politikstil entscheiden, wäre dies ein naheliegender Ansatz: Sie könnte einen Gesetzentwurf mit 15 Euro vorlegen und damit die Koalitionspartner unter Druck setzen.

Es wäre allerdings das Gegenteil dessen, was sich Arbeitgeber von dem Wechsel erhoffen, zumal in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit. Von Heil waren sie zunehmend genervt, da seine Amtsführung nach ihrer Ansicht starke gewerkschaftliche Schlagseite hatte. „Die richtige Arbeitsmarktpolitik kann nicht gegen, sondern nur mit der Wirtschaft gemacht werden“, mahnt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Von der neuen Ministeriumsspitze „verlange ich, dass beide Sozialpartner eng in die Vorbereitung neuer Initiativen eingebunden werden“.