Wenn deutsche Touristen in der Schweiz ein Restaurant besuchen, bricht ihnen regelmäßig der Schweiß aus. Das liegt an den saftigen Preisen auf der Speisekarte. Für das berühmte „Zürcher Geschnetzelte“ zum Beispiel sind oft umgerechnet 40 Euro oder mehr fällig. Dass das Essengehen in der Eidgenossenschaft besonders teuer ist, erklärt sich nur zum Teil mit den hohen Löhnen und Mieten, welche die Gastronomen zu berappen haben. Mindestens so schwer wiegen die hohen Einkaufspreise für Rohwaren wie Fleisch, die Folge von staatlichem Protektionismus sind.
Die heimischen Bauern werden durch hohe Zölle auf Agrarimporte vor preisgünstiger Konkurrenz aus dem Ausland geschützt. Gemäß Daten der Welthandelsorganisation (WTO) lag der Schweizer Agrarzoll im Jahr 2023 bei durchschnittlich 24,8 Prozent – also fast dreimal so hoch wie in der EU und sechsmal so hoch wie in den Vereinigten Staaten. Der Zoll auf Fleisch beläuft sich im Durchschnitt auf 85 Prozent; auf Milchprodukte fallen sogar 130 Prozent an.
Liberalen Gemütern ist dieses Zollregime, das auf Kosten der Konsumenten geht, schon lange ein Dorn im Auge. Aber gegen die mächtige Bauernlobby im Parlament war bisher kein Kraut gewachsen. Jetzt ist der Handlungsdruck so groß wie noch nie: Donald Trump will Importe aus der Schweiz mit einem Zoll von 31 Prozent belegen. Das würde die exportstarke Schweizer Wirtschaft schwer treffen, zumal die Wettbewerber aus der EU „nur“ mit 20 Prozent bestraft werden sollen.
Ähnlich wie alle anderen Länder, die von Trumps Zollwut betroffen sind, versucht die Schweiz einen „Deal“ mit der amerikanischen Regierung aufzugleisen. Am Rande der IWF-Frühjahrstagung in Washington sprach Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) mit ihrem amerikanischen Amtskollegen Scott Bessent. Auch der Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin nahm an dem Treffen teil. Danach stellte Keller-Sutter erfreut fest, dass die Schweiz zu den 15 Ländern gehöre, mit denen die Amerikaner prioritär verhandeln wollten.
In der Sache war der Besuch allerdings ernüchternd. Die Berner Delegation hoffte vergeblich, dass die Amerikaner den eigenen Überschuss im Dienstleistungshandel ins Kalkül einbeziehen würden. Stattdessen schauen sie weiterhin ausschließlich auf ihr großes Handelsdefizit im Güterhandel mit der Schweiz, das vor allem durch die Importe von Medikamenten, Maschinen und Uhren zustande kommt. Auch die Tatsache, dass die Eidgenossen seit Anfang 2024 keine Industriezölle mehr erheben, besänftigt Trumps Truppen bisher nicht.
Trump nimmt Agrarzölle ins Visier
Folglich muss die Schweiz noch etwas anderes auf den Tisch legen. Neben den Investitionszusagen Schweizer Unternehmen und der Unterstützung beim Aufbau des Systems einer Berufslehre drängt sich ein Abbau der Agrarzölle auf. Die Abschottung der Schweizer Landwirtschaft mit Zöllen, Mengenbeschränkungen und Direktzahlungen an die Bauern (von jährlich 2,8 Milliarden Franken) steht prominent im Mängelbericht, den das amerikanische Handelsministerium Anfang April mit Blick auf die „unfairen Handelspraktiken“ anderer Länder veröffentlicht hat.
Doch Guy Parmelin suchte dieses Thema in den Gesprächen in Washington auszuklammern. Man habe den Amerikanern erklärt, „dass die Landwirtschaft für uns ein Synonym der nationalen Sicherheit ist“, sagte der Wirtschaftsminister auf einer Pressekonferenz. Parmelin gehört der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) an, die einst eine reine Bauernpartei war und bis heute als verlängerter Arm der Landwirte agiert, deren Einkommen zur Hälfte staatlich gestützt sind.
Macht der Bauern blockiert Freihandelsabkommen
Das Argument der Versorgungssicherheit ist aus Sicht von Ökonomen wenig glaubwürdig. „Wenn es wirklich darum ginge, müsste die Schweiz eine andere Agrarpolitik betreiben“, sagt Michele Salvi, Senior Fellow bei der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse. „Dann müsste alles darauf ausgerichtet sein, kalorienreiche Lebensmittel zu möglichst niedrigen Preisen zu produzieren und die Pflichtlager aufzustocken. Das wäre im Sinne der Ernährungssicherheit viel zielführender und effizienter als die jetzige Subventionspraxis.“
Im Gespräch mit der F.A.Z. erinnert Salvi daran, dass die Landwirtschaft weniger als ein Prozent zur Schweizer Wirtschaftsleistung beiträgt. Deren gewaltige Pfründen zulasten der wichtigen Exportwirtschaft zu verteidigen, sei absurd. Die Schweiz verschanze sich schon viel zu lang hinter landwirtschaftlichen Zollmauern und habe damit immer wieder den Abschluss neuer Freihandelsabkommen verhindert. Im Jahr 2006 scheiterte zum Beispiel ein Abkommen mit den USA am Widerstand der Schweizer Bauern, die sich unter anderem vor Fleischimporten fürchteten.
Salvi sieht in dem Handelsstreit mit Trump einen willkommenen Anlass, die Agrarzölle endlich abzuschaffen und damit perspektivisch den Weg zu einem Freihandelsabkommen mit den USA frei zu machen. Dies würde der Schweiz einen Nettonutzen von jährlich 2,5 Milliarden Franken bescheren, schätzt der Ökonom. Das Argument des Schweizer Bauernverbands, Agrarzölle seien notwendig, um das hohe Niveau mit Blick auf Ökologie und Tierwohl zu halten, findet Salvi nicht überzeugend. „Dann dürften wir auch keine Agrarprodukte aus Italien oder China importieren.“ Den 2007 eingeführten Käsefreihandel mit der EU sieht er als Beispiel dafür, dass eine Marktöffnung für Schweizer Landwirte auch vorteilhaft sein kann. Seit dieser Liberalisierung sei die Produktion von Schweizer Käse um 15 Prozent gestiegen, der Export um 30 Prozent.
Auch in der Politik wächst die Kritik an den Agrarzöllen. Der FDP-Präsident Thierry Burkart hat vorgeschlagen, die Zölle für Produkte wie amerikanisches Rindfleisch und Orangen zu reduzieren oder aufzuheben. Die FDP-Jugendorganisation geht noch weiter: Sie fordert, die Agrarzölle binnen zehn Jahren ganz abzuschaffen. Die lobbygesteuerte Abschottung hemme die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsdynamik in der Landwirtschaft und sorge dafür, dass die Lebensmittelpreise in der Schweiz rund 60 Prozent oberhalb des EU-Schnitts lägen.