Tiny Forests, Urban Gardening und Stadtobst: Mehr Grün ist in immer mehr Städten populär. Wer aber kümmert sich um die Pflege der Pflanzen? Und kann man überhaupt essen, was zwischen Abgaswolken wächst?
Andernach in Rheinland-Pfalz ist das Paradebeispiel einer “essbaren Stadt“. Seit den frühen 2010er-Jahren baut die Kommune ihr Angebot an öffentlich zugänglichen Obstbäumen und Gemüsebeeten aus und wurde dafür bereits mehrfach ausgezeichnet.
In der Folge gab und gibt es viele Nachahmer, darunter Wuppertal. Dort entstanden unter anderem Streuobstwiesen mit Hinweistafeln, die alle Bürgerinnen und Bürger zum Ernten einladen. Zumeist sind es Apfelbäume, aber auch Birnen, Pflaumen, Kirschen und Mirabellen.
Michael Felstau von der Initiative “Wuppertals urbane Gärten” ist begeistert von der Idee, dass “öffentliches Grün auch einen Nutzen haben kann“. Beim Bepflanzen werden alte Sorten bevorzugt, die es in der Region schon lange gibt. Finanziert wurde die Aktion in Wuppertal vor allem mit dem Bürgerbudget. Das sind öffentliche Gelder für gemeinwohlorientierte Projekte, zu denen auch die “essbare Stadt“ gehört.
Stadtgärten schon im 19. Jahrhundert
Dabei ist das Konzept gar nicht so neu, sondern war eher lange vergessen. Michael Grolm betreibt in Erfurt eine Obstbaum-Schnittschule. Mit der Industrialisierung ab dem 19. Jahrhundert sind die Städte gewachsen. “Es gab zum ersten Mal eine Schicht, die Arbeiter, die keinen Garten hatten, die aber auch Obst essen wollten“, sagt Grolm. Das sei auch der Anstoß für viele Obstdörfer und Obstregionen gewesen, wie zum Beispiel das Alte Land. Einfach ernten und mitnehmen durfte man das Obst seinerzeit aber nicht. Das Obst wurde oft versteigert. Dafür angestellte Wartinnen und Warte pflegten die Bäume.
Bei Pflege ist Kreativität gefragt
Eine fachgerechte Pflege ist auch heute sehr wichtig, schon damit unter dem Baum Platz für Fußgänger oder zum Beispiel Fahrradstellplätze bleibt. Ein junger Baum sollte in seinen ersten 15 Lebensjahren regelmäßig durch fachgerechten Schnitt “erzogen“ werden. Nur so bildet er eine stabile Krone und wird hochstämmig. Dadurch ist eine Unternutzung etwa durch Fahrzeuge oder Fußgänger möglich. Mit Autos wird es allerdings schwierig: Zum einen sind typische Obstbäume nicht hoch genug, andererseits könnte Fallobst Dellen machen.
“Wuppertals Urbane Gärten“ organisiert die Pflege mit einem ehrenamtlichen Kernteam von sechs bis zehn Aktiven, zum Beispiel bei einer schmalen Streuobstwiese im Stadtteil Barmen. 30 Obstbäume stehen da, ganz in der Nähe einer großen Hauptstraße. “Bei diesen Aktionen kommen dann bis zu 30 Leute, die Tipps haben wollen für ihre eigenen Bäume oder einfach Spaß an der Sache haben“, sagt Michael Felstau. Die Mitglieder der Initiative gehen auch in Schulen, an denen Obstbäume stehen und geben dort Pflanz- und Schnittseminare.
Ernte nicht zu früh
In einem nächsten Schritt möchte die Initiative noch mehr über die aktuell 50 Stadtobstbäume aufklären. Angedacht sind laut Michael Felstau QR-Codes an den Bäumen, “wo man lesen kann, welche Sorte das ist, wann sie blüht, wann sie reif wird und ab wann man sie ernten kann. Die Menschen, die vorbeikommen, reißen Dinge runter, beißen einmal rein und werfen es dann an den Wegrand. Und das ist natürlich schade“.
Michael Grolm setzt auf eine umsichtige Sortenwahl. Die Früchte sollten nach der Reife sofort genießbar sein, ohne dass man sie noch lagern oder verarbeiten muss.
Schadstoffbelastung kaum Grund zur Sorge
Mit Blick auf den Klimawandel rät Obstbaum-Experte Grolm zu “pflanzen, pflanzen, pflanzen!“, schon weil jeder Baum helfe, die Stadt abzukühlen. “Solange wir jetzt noch Regen haben, kriegen wir jetzt noch Bäume groß“, sagt er zuversichtlich.
Und egal, wo in der Stadt Äpfel, Birnen & Co. wachsen: Die Schadstoffbelastung sei ein eher geringes Problem. Da wäre die Aufnahme möglicher Schadstoffe aus dem Boden. Michael Grolm deutet Studien mit Bäumen auf ehemaligen Mülldeponien als Entwarnung. Zwar seien im Laub Schadstoffe in hoher Konzentration gefunden worden, aber nicht in den Früchten.
Und auch die Luftschadstoffe aus den Auspufftöpfen sieht Grolm nicht als wirkliches Problem: “Ich sage jetzt mal: So ein Apfel, den man im Supermarkt kauft, der ungefähr 30 mal gespritzt worden ist, hat garantiert eine höhere Belastung als ein Apfel, der irgendwo an der Straße hängt.” Laut einer Studie der Technischen Universität Berlin gilt das für Baumobst und Nüsse aller Art. Beerenobst und Kräuter sollten besser mindestens zehn Meter von einer Straße entfernt stehen.
Eine Nahversorgung mit frischem Obst und Gemüse scheint also auch in der Stadt möglich. Vorausgesetzt es gibt die nötigen Flächen für genügend Bäume, die sich gegenseitig bestäuben können – und Menschen, die sie pflegen.