Antidepressiva gehören neben der Psychotherapie zu den wichtigsten Behandlungsmaßnahmen einer Depression. Doch wie wirksam sind sie?
Bei einer Depression werden häufig Antidepressiva verschrieben. Wann können die Medikamente helfen und wann kann die Therapie ohne sie auskommen? t-online hat bei einem Psychiater nachgefragt, wie er Antidepressiva einschätzt.
Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit zufolge erkranken bis zu 20 Prozent der Menschen mindestens einmal in ihrem Leben an einer Depression. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Eine Depression ist eine ernste, behandlungsbedürftige Erkrankung. Sie verursacht bei den Betroffenen erhebliches Leiden und beeinflusst ihr Denken, Fühlen und Handeln tiefgehend. In schweren Fällen können die negativen Gefühle und Gedanken so belastend werden, dass Erkrankte Suizidgedanken oder -impulse bekommen.
Depressionen behandeln – die zwei wichtigsten Therapien
Die zwei wichtigsten Behandlungsmöglichkeiten bei Depressionen sind die Psychotherapie – etwa eine Verhaltenstherapie – und die Behandlung mit Medikamenten, sogenannten Antidepressiva. Für die medikamentöse Behandlung stehen unterschiedliche Wirkstoffe zur Verfügung, welche unter anderem dabei helfen sollen, die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin im Gehirn wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Zu den am häufigsten verordneten Antidepressiva gehören:
- trizyklische Antidepressiva (TZA)
- selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
- selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI)
“Antidepressiva sollen helfen, das seelische Gleichgewicht Betroffener zu stabilisieren. Sie finden vor allem bei mittelschweren und schweren sowie bei chronischen Depressionen Anwendung. Bei einer leichten Depression reicht oftmals die Psychotherapie aus”, sagt Dr. Andreas Hagemann, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der unter anderem auf Burn-out und Stresserkrankungen spezialisierten Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck.
Dr. Andreas Hagemann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Ärztlicher Direktor der unter anderem auf Burn-out und Stresserkrankungen spezialisierten Privatkliniken Duisburg, Eschweiler und Merbeck.
Aussagekräftige Studien zeigen, dass Antidepressiva die Beschwerden einer Depression verbessern und einen Rückfall verhindern können. Allerdings wirken die Medikamente nicht bei allen Betroffenen gut: Ein Teil hat trotz der Einnahme eines Antidepressivums weiter depressive Beschwerden.
Wie an einer Depression erkrankte Menschen auf die Therapie mit Antidepressiva reagieren, ist unterschiedlich. Wie wirksam die Wirkstoffe im Einzelfall sind, ist nicht vorhersehbar. Auch lassen sich mögliche Nebenwirkungen im Vorfeld nicht ohne Weiteres einschätzen. Die Wahl des Antidepressivums hängt daher auch von den zu erwartenden Nebenwirkungen und den Erfahrungen des behandelnden Arztes ab. Es ist durchaus möglich, dass im Rahmen der Therapie der Wirkstoff mehrmals gewechselt werden muss, bis die gewünschte Symptomlinderung erreicht wird.
Auch an die korrekte Dosierung muss man sich herantasten. Anfangs startet man mit einer niedrigen Wirkstoffdosis, die dann langsam gesteigert wird. So lassen sich Verträglichkeit und mögliche Nebenwirkungen besser einschätzen. Antidepressiva müssen täglich eingenommen werden und es braucht einige Wochen, bis erkennbar ist, ob ein Wirkstoff wirksam ist.
“Es ist wichtig, im Vorfeld mit der Ärztin oder dem Arzt ausführlich über die Einnahme sowie Vor- und Nachteile der einzelnen Präparate zu sprechen. Besonders heikel ist der Einsatz bei suizidalen Gedanken, da die Antriebssteigerung meist vor der Stimmungsverbesserung einsetzt”, erklärt Hagemann. “Leider treten auch die Nebenwirkungen oft zu Beginn der Behandlung auf, die gewünschte Wirkung erst nach Wochen. Insbesondere (in der Regel reversible) sexuelle Funktionsstörungen können während der Einnahme auftreten und sind der in der Praxis der häufigste Grund, dass das Medikament vom Patienten abgesetzt wird, wenn nicht im Vorfeld hierüber aufgeklärt wird.”
Laut dem Experten gibt es verschiedene Einflussfaktoren, die dazu führen können, dass Antidepressiva nicht wie erhofft wirken:
- Der Wirkstoff des Antidepressivums passt nicht.
- Die eingenommene Dosis ist zu gering.
- Der Betroffene nimmt das Medikament erst seit Kurzem ein.
- Das Antidepressivum wird nicht nach Anweisung eingenommen.
- Die Aufnahme oder der Abbau des Wirkstoffs im Körper ist gestört.
- Es treten unerwünschte Nebenwirkungen auf.
- Andere Erkrankungen spielen in das Symptombild mit hinein.
“Zwei bis vier Wochen nach Erreichen der Zieldosis sollte sich eine Verbesserung der Symptome zeigen. Ist das nicht der Fall und ist der Medikamentenspiegel im Blut ausreichend hoch, sollte ein anderes Medikament ausprobiert werden. Nur etwa ein Drittel der Depressiven spricht auf eine erste medikamentöse Therapie an”, weiß Hagemann. “Bei schweren Depressionen können unter Umständen auch zwei Antidepressiva gleichzeitig verabreicht werden, um den Leidensdruck der Betroffenen zu lindern.”
Bewährt hat sich laut dem Psychiater die Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva. Würden beide Verfahren genutzt, steigere das die Chance auf Heilung deutlich: “Der Therapiealltag hat gezeigt, dass die alleinige Einnahme eines Antidepressivums oder eine alleinige Psychotherapie bei mittelschweren und schweren Depressionen deutlich weniger erfolgreich ist als die Kombination beider Therapieoptionen”, so Hagemann.
Ergänzend zur Psychotherapie und zur Einnahme von Antidepressiva versprechen weitere Therapiemaßnahmen eine Linderung der Beschwerden. “Eine der wichtigsten Maßnahmen ist die Aufrechterhaltung einer Tagesstruktur, weshalb eine Krankschreibung auch kontrovers diskutiert wird. Sportliche beziehungsweise körperliche Betätigung gehört mittlerweile zum Standard jeder intensiven klinischen Behandlung, kann aber auch von Betroffenen selbst durchgeführt werden, um wieder in Bewegung zu kommen”, sagt Hagemann.
Als hilfreich hat sich dem Experten zufolge vor allem in der dunklen Jahreszeit oder bei saisonalen Depressionen die Lichttherapie erwiesen. In Selbsthilfegruppen kann vermittelt werden, dass Betroffene, aber auch Angehörige mit der Erkrankung nicht allein sind und Unterstützung bei der Suche nach individueller Hilfe bekommen. Neben den hier genannten, vom Patienten auch ohne ärztliche Hilfe durchführbaren Optionen gibt es noch weitere Möglichkeiten. Welche Maßnahmen im Einzelfall Erfolg versprechen, hängt vom jeweiligen Patienten ab. Die Therapiemöglichkeiten werden gemeinsam mit dem behandelnden Facharzt abgestimmt.