Missbrauchsopfer berichtet über Treffen mit Franziskus

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Frau Wich, was haben Sie dem Papst bei Ihrer Begegnung erzählt?

Ich habe ihn gefragt: „Warum machen Sie das?“ Der Papst antwortete, weil es seine Aufgabe sei. Seine starke Präsenz und deutliche Zugewandtheit ermutigten mich dann, über mich zu sprechen. Ich wollte keine Details nennen. Berichtet habe ich nur, dass ich zwischen meinem achten und zehnten Lebensjahr vielfach von einem katholischen Priester missbraucht wurde. Mein Anliegen war, darüber zu sprechen, was das mit einem kleinen Kind macht. Ich erzählte von dem unerträglichen Schmerz, der alles mit sich reißt und nichts vom Leben übriglässt, der in der tiefsten Erinnerung verborgen bleibt, aber permanent in das Leben hinwirkt.

Wie hat Franziskus reagiert?

Er sagte nur: „Gott weint mit Dir“. Ich habe erwidert: „Dann muss Gott aber viel weinen“. Daraufhin kamen Tränen in seine Augen. Ich hätte ihn in diesem Augenblick am liebsten in den Arm genommen.

Papst Franziskus mit Agnes Wich 2014 im Vatikan
Papst Franziskus mit Agnes Wich 2014 im Vatikanprivat

Haben Sie auch über den kirchlichen Umgang mit Missbrauch gesprochen?

Ja, ich habe ihm gesagt: „Der Umgang mit Tätern, das geht überhaupt nicht.“ Sobald sie aus dem kirchlichen Dienst entlassen würden, seien sie unbeaufsichtigt und hätten die Möglichkeit, aufs Neue Missbrauch zu begehen. Da stimmte der Papst mir zu.

Franziskus’ Umgang mit Missbrauch und seine Äußerungen dazu haben Kritik hervorgerufen, etwa als er die Täter als „Werkzeuge des Teufels“ bezeichnete. Hat Sie das nicht gestört?

Franziskus hat beim Umgang mit Missbrauch sehr viel mehr bewegt als seine Vorgänger. Er hat schon eine Menge in die Wege geleitet. Leider wurde davon zu wenig umgesetzt, etwa von der Null-Toleranz-Politik. Da hatte ich den Eindruck, hier tritt die Kirche auf der Stelle, das entgleitet ihm. Was Vertuschung und Täterschutz anbelangt, hat er meines Erachtens viel zu zögerlich reagiert, er hätte die Macht gehabt, tiefgreifende Konsequenzen zu ziehen. Andererseits habe ich den Eindruck gehabt, Franziskus wurde mit zunehmendem Alter zwischen den Fronten aufgerieben. Mein Bild von der tiefen Menschlichkeit und Zugewandtheit dieses Papstes ist aber trotz aller Enttäuschungen geblieben.

Agnes Wich
Agnes WichPicture Alliance

Was wünschen Sie sich von Franziskus` Nachfolger?

Ich wünsche mir, dass der nächste Papst die Null-Toleranz-Politik schonungslos durchsetzt. Es müssten Statuten entwickelt werden, die weltweit einheitlich regeln, wie eine Aufarbeitung von Missbrauch sowie der Umgang mit Tätern und Vertuschung aussehen sollen. Ganz wichtig finde ich auch die Unterstützung von Betroffenenvereinigungen. Der nächste Papst sollte sie nach Rom einladen. Beim Missbrauchsgipfel 2019 im Vatikan haben Betroffene noch vergeblich vor den Toren des Vatikans dafür demonstriert, mit Franziskus sprechen zu können. Das wäre eine große Geste gewesen. Aber er kam nicht.