Die neue Bundesregierung will schnell, günstig und nachhaltig Bauen. Geht das alles zugleich? Eine Lösung könnte das zirkuläre Bauen nach dem Baukastenprinzip sein. Doch noch stehen oft Vorschriften und Normen im Weg.
Der “Green Deal” der EU setzt auf Kreislaufwirtschaft. Davon aber ist die Baubranche weit entfernt. Der Bausektor verschlingt weltweit etwa die Hälfte aller Rohstoffe und verursacht hohe CO2-Emissionen. Nicht nur beim Heizen und Kühlen von Gebäuden, sondern auch schon bei deren Bau.
“Unser Baurecht, Produktrecht, Vergaberecht – alles ist im Prinzip auf eine lineare Bauwirtschaft ausgerichtet und hatte nie im Blick, dass man Baustoffe im Idealfall mehrfach verwenden kann“, sagt der Berliner Architekt Jörg Finkbeiner. Natürlich gibt es bereits ein Baustoff-Recycling. Doch das ist oft ein Downcycling und allenfalls ein guter Anfang.
Was ein Senfglas mit dem Bausektor zu tun hat
Was wird aus einem leeren Senfglas? Füllt man es erneut mit Senf, wird es wiederverwendet. Nimmt man es als Trinkglas, wird es weiterverwendet. Und schmilzt man es ein und macht daraus ein Gürkchenglas, wird es recycelt.
Für Philipp Dietsch vom Karlsruher Institut für Technologie ist das ein treffendes Bild für den Umgang mit Baumaterialien. Es soll künftig darum gehen, Ressourcen möglichst lange im Kreislauf zu halten, und zwar im besten Fall so, dass das Senfglas ein Senfglas bleibt. Üblich ist das Gegenteil: abreißen statt erhalten, neu bauen statt weiternutzen. Das kostet nicht nur Geld, sondern eben auch große Mengen an Rohstoffen. Damit wächst das Interesse an Alternativen wie dem zirkulären Bauen.
Gebäudebestand ist Rohmaterial von morgen
Für Architekt Finkbeiner vom Büro Partner und Partner beginnt zirkuläres Bauen mit dem Blick auf das, was bereits da ist. In Deutschland seien die Städte weitgehend gebaut, sagt er. Andere Regionen der Welt hätten diesen Prozess noch vor sich, und die bräuchtenen dringend neue Rohstoffe.
Hierzulande aber haben wir schon viele Gebäude, die erhalten bleiben sollten. Der Fokus müsse auf Sanierung, Umbau und Rückbau liegen – nicht auf Abriss. Wer heute neu plant, muss also nicht nur kreativ und funktional denken, sondern auch ressourcenschonend. Die Bausubstanz von heute ist das Rohmaterial von morgen.
Gesetz sorgt für “Kreislaufschwierigkeiten“
Rückbau und Wiederverwendung von Bauteilen werden in Deutschland durch veraltete Regeln erschwert. Finkbeiner kritisiert das. Es sei nicht vorgesehen, Materialien mehrfach einzusetzen. Er nennt als Beispiel eine wenige Monate alte Brandschutztür. Selbst wenn sie fachgerecht ausgebaut wird, würde sie ihre Zulassung als Brandschutztür verlieren. Weiter nutzbar sei sie nur als gewöhnliche Tür.
In der Praxis bedeutet das: Viele Bauteile landen – technisch einwandfrei – auf dem Müll. Wiederverwendung scheitert oft an zu starren Zulassungsverfahren.
Alte Bauweisen neu denken
Materialien mehrfach zu nutzen war früher durchaus üblich, sagt Philipp Dietsch und verweist auf alte Fachwerkhäuser: Ihre Holzverbindungen waren gesteckt statt verklebt, ließen sich problemlos auseinandernehmen und wieder zusammenbauen. Dass für Freilichtmuseen schon viele Fachwerkhäuser transloziert wurden, unterstreicht das. Natürlich können auch einzelne Balken oder die Dachpfannen weiterverwendet werden.
Was die Vorfahren erfolgreich praktiziert hätten, sei aber über die Entwicklung industrieller Baumethoden verloren gegangen, sagt Dietsch. Er plädiert für den Märklin-Baukasten als Vorbild: bauen, zurückbauen, neu kombinieren. Wenn Gebäude wie Baukästen gedacht werden, könnten ganz neue Routinen entwickelt werden – flexibel, effizient und materialschonend.
Steigende Baukosten sprechen für zirkuläres Bauen
Damit zirkuläres Bauen in größerem Stil funktioniert, braucht es mehr als gute Absichten. Materialpässe und digitale Gebäudedatenbanken sind der Schlüssel, um Ressourcen zu erfassen und ihren Wiedereinsatz planbar zu machen.
Noch steht die Branche am Anfang, aber das könnte sich bald ändern. Das Baugewerbe leidet jetzt schon unter gestiegenen Materialpreisen, und die Lage um knappe Ressourcen wird sich weiter verschärfen. So werden zirkuläre Strategien nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich attraktiv.