Spätaussiedlerin als Staatsministerin für Migration

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Natalie Pawlik zählt mit 32 Jahren zu den jüngeren Abgeordneten im Bundestag. Mit Zitterpartien an politisch entscheidenden Tagen hat sie aber schon reichlich Erfahrung. 2021 holte sie mit einem knappen Vorsprung vor dem CDU-Konkurrenten das Direktmandat im Wahlkreis Wetterau I. Im Februar schien ihr Wiedereinzug ins Parlament ein Wunsch zu bleiben – erst das Scheitern des BSW an der Fünf-Prozent-Hürde machte der Sozialdemokratin den Weg nach Berlin frei.

Und dann dieser historische Dienstag: Erstmals ging eine Kanzlerwahl im ersten Durchgang schief. Anschließend verhehlte sie nicht, sich über die Abweichler in den Reihen der Koalition geärgert zu haben.

Ein Aus für die Regierung vor ihrem ersten Arbeitstag hätte für Pawlik einen schon verkündeten Aufstieg zunichte gemacht. Diente sie der Ampel-Koalition als Beauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, so zeichnet sie fortan als Staatsministerin und kümmert sich als Beauftragte um Migration, Flüchtlinge und Integration. Das sieht sie als „große Ehre“.

Pawlik besetzt zudem eine der nur noch zwei Führungspositionen der hessischen SPD in der neuen Regierungsmannschaft. In ihrem neuen Amt will sie Erfolgsgeschichten in den Fokus rücken und dazu beitragen, dass Integration in unseren Städten und Gemeinden gelinge. „Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte tragen täglich zum Erfolg Deutschlands bei“, hebt sie hervor. Sie sagt aber auch: „Wir müssen den Kommunen genau zuhören, wo sie Probleme sehen.“

1999 aus Sibirien nach Deutschland gekommen

Nachdem sie als neue Staatsministerin nominiert worden war, hagelte es Glückwünsche. Was online einlief, zeigt sich im Instagram-Auftritt von Pawlik. Unter den Gratulanten sind auffallend viele mit russisch klingenden Nachnamen. Das kommt keineswegs von Ungefähr: Natalie Pawlik gehört zu den Tausenden Spätaussiedlern aus den Ländern der früheren Sowjetunion. Wie viele Russlanddeutsche Pawlik gewählt haben, steht dahin. Inzwischen ist sie längst in der Wetterau zu Hause und gut vernetzt. Wie gut, zeigte ihr Erststimmenergebnis: Pawlik kam auf 25,7 Prozent, das waren 8,1 Prozent mehr als beim Zweitstimmenergebnis ihrer Partei im Wahlkreis. Das habe sie sich auch verdient, hieß es am Wahlabend im Kreishaus sogar aus den Reihen politischer Gegner.

Pawlik kennt viele Belange ihres künftigen Arbeitsgebiets aus eigener Erfahrung. Sie kam im August 1992 in Wostok zur Welt. Als sie das Grundschulalter erreicht hatte, siedelte ihre Familie nach Deutschland aus. Nach einer kurzen Zeit im Erstaufnahmelager Friedland ließ sich die Familie in Bad Nauheim nieder. Nach dem Fachabitur studierte Pawlik Geschichts- und Kulturwissenschaften an der Universität Gießen und schloss das Studium mit einem Master ab. Schon in jungen Jahren fand sie ihre politische Heimat in der SPD, kümmerte sich an der Uni um Hochschulpolitik und leitete das Wahlkreisbüro des heimischen Europaabgeordneten Udo Bullmann aus Gießen.

Die Kommunalpolitik lernte sie als Stadtverordnete und im Kreistag kennen. Die politische „Ochsentour“ ist ihr mithin nicht fremd. Mit ihrem Werdegang steht sie für das Aufstiegsversprechen ihrer Partei, auch aus kleinen Verhältnissen heraus („Arbeiterkind“) Großes erreichen zu können. „Als wir 1999 aus Sibirien nach Deutschland ausgesiedelt sind, hätte niemand damit gerechnet, dass ich einmal dem Bundeskabinett angehören könnte“, sagt sie. Allerdings eilt der zierlichen blonden Brillenträgerin der Ruf voraus, ehrgeizig und ausdauernd zu sein.