Wie Kiefernzapfen-Technik vor Hitze schützt

6

Stand: 09.05.2025 16:26 Uhr

Die Natur als Vorbild: Ein neues Schattensystem soll Gebäude vor Hitze schützen. Das Besondere: Das System verformt sich automatisch passend zum Wetter – ganz ohne Strom und Mechanik.

Es sind kleine, etwa 15 Zentimeter lange Schuppen, die in Freiburg eine Fassade so besonders machen. An warmen Tagen sorgen sie für Schatten. An kälteren Tagen öffnen sie sich, um möglichst viel Licht und damit auch Wärme ins Gebäude zu lassen.

Das Besondere: Die Schuppen verformen sich an warmen und kalten Tagen ganz von selbst, ohne zusätzliche Mechanik, ohne Motor und ohne Strom. Dahinter steckt eine Konstruktion, die sich ein Forschungsteam der Universität Freiburg und der Universität Stuttgart von der Natur abgeschaut hat. Kiefernzapfen sind das Vorbild.

“Kiefernzapfen sind kleine Wunderwerke der Natur. Wenn es feucht ist, sind Kiefernzapfen geschlossen. Und wenn es trocken ist und warm, öffnen sie sich”, sagt Thomas Speck, Leiter des Botanischen Gartens in Freiburg. Dieses Schließen und Öffnen hat er zusammen mit einem Architektenteam der Universität Stuttgart nachgebaut. Im Fachmagazin Nature Communications hat das Forschungsteam das neue System vorgestellt.

Die Schuppen verformen sich an warmen und kalten Tagen ganz von selbst – ohne zusätzliche Mechanik, Motor oder Strom.

Warum Kiefernzapfen ein gutes Vorbild sind

Die neu entwickelten Schuppen des Beschattungssystems funktionieren genauso wie die Kiefernzapfen. Wird die Luft trocken, öffnen sich die Zapfen, um im Sommer ihre Samen zu verteilen. Und dieses Verformen – diese Inspiration aus dem Wald – nutzt das Forschungsteam für das neue Verschattungssystem SolarGate. Im Hochsommer sind die Schuppen am stärksten geschlossen, sorgen für viel Schatten. Wird es abends kühler, öffnen sie sich ein bisschen, an kalten Tag sind sie ganz geöffnet.

“Unser Ziel ist wirklich, die Architektur grüner zu machen, gerade jetzt auch in Zeiten des Klimawandels”, sagt Biologe Speck. Im Gegensatz zu anderen Beschattungssystemen brauchen die neu entwickelten Schuppen keinen Strom, keine Sensoren, keine Mechanik. Sie werden in einem 3D-Drucker erstellt, können günstig aus Zellulosefasern hergestellt werden. Die Schuppen bestehen im Wesentlichen aus zwei Schichten. Eine Schicht quillt bei hoher Luftfeuchtigkeit auf, will sich ausdehnen. Die andere Schicht bleibt fest. So entsteht eine Spannung, und die Schuppen können sich je nach Luftfeuchtigkeit selbst verformen.

“Mehrere Grad Unterschied”

“Der Energieeintrag wird um 90 Prozent reduziert, wenn man ein so funktionierendes Versorgungssystem hat”, sagt Achim Menges von der Universität Stuttgart. Er ist Architekt und hat mit seinem Team den Bauplan für die Schuppen entworfen. Seit zwei Jahren sind die Schuppen als Beschattungssystem in einem kleinen Gebäude der Universität Freiburg installiert und sorgen für ein besseres Raumklima, sagt Thomas Speck: “Das sind dann mehrere Grad Unterschied, so fünf bis sieben Grad, und was das Schöne ist: Das kostet keine Energie.”

Die Schuppen werden aus Zellulosefasern hergestellt.

Weniger Hightech, mehr Ideen der Natur

In Zukunft werde der Energiebedarf für das Kühlen von Gebäuden deutlich steigen – umso wichtiger seien einfache Lösungen mit der Natur als Vorbild: “Wir neigen heute dazu, gerade weil Chips und Sensoren sehr billig geworden sind, überall noch einen Chip, noch einen Sensor reinzubauen”, sagt Speck. Das sei aber oft gar nicht notwendig. Weg vom Perfektionismus, hin zum Praktikablen sei das Ziel des Forschungsteams, sagt der Leiter des Botanischen Gartens in Freiburg: “Viele Lösungen der Biologie sind gar nicht mal optimal, die sind einfach gut genug, aber dafür widerstandsfähig, robust und eben auch billig.”

Die Schuppen sind in einem Glaskasten draußen an der Fassade vor dem eigentlichen Fenster montiert. So sind sie geschützt und können auf die Luftfeuchtigkeit draußen reagieren. Einmal installiert, sollen die Schuppen 20 Jahre halten.

Hier war eine fleischfressende Pflanze die Inspiration: Das Beschattungssystem FlectoLine wird seit zwei Jahren an einem Gewächshaus des Botanischen Gartens Freiburg getestet.

Fleischfressende Wasserpflanze als Vorbild

Im Botanischen Garten in Freiburg steht noch ein weiteres Beispiel für ein Beschattungssystem, wieder mit der Natur als Vorbild. Ein Team aus Biologinnen und Biologen hat sich hier von einer fleischfressenden Wasserpflanze inspirieren lassen – namens Wasserrad. Die Pflanze schnappt mit zwei Klappen zu, kann Fische fangen. Das Zuklappen braucht nur wenig Energie und lässt sich leicht nachbauen.

Wie bei der Schuppenfassade arbeitete das Freiburger Forschungsteam mit Architektinnen und Architekten der Universität Stuttgart zusammen – unter der Leitung von Jan Knippers. Das Ergebnis ist das Beschattungssystem FlectoLine, das seit zwei Jahren an einem Gewächshaus des Botanischen Gartens Freiburg getestet wird. Große Klappen werden per Druckluft und Computer gesteuert. Die bewegte Fassade sorgt bei den Besucherinnen und Besuchern des Botanischen Gartens immer wieder für Aufsehen, erzählt Thomas Speck: “Die finden es ganz toll. Die finden es so unglaublich ästhetisch unglaublich schön. Auch hier hat man wieder diese Bewegungsabläufe der Pflanzen praktisch übersetzt.”

Die großen Klappen werden per Druckluft und Computer gesteuert.

“Hochachtung vor der Evolution und vor der Natur”

Aktuell läuft der Langzeittest, genauso wie bei dem neuen Schuppen-System mit den Kiefernzapfen als Vorbild. Das Forschungsteam ist sicher: Sie können von der Natur auch in Zukunft noch einiges lernen.

“Je mehr und je tiefer ich mich mit diesen ganzen Pflanzen als Vorbilder für technische Entwicklungen beschäftige, umso größer wird meine Hochachtung vor der Evolution und vor der Natur”, sagt der Biologe: “Wir sind Lichtjahre davon entfernt, die Qualität, die Robustheit, die Funktionalität wie ich übertragen zu können.”

Er und sein Forschungsteam sehen also noch viel Potenzial, um die Architektur und vor allem die Fassaden mit neuen Lösungen aus der Natur zu verbessern. Sich öffnende Zapfen oder fleischfressende Pflanzen sind da also wahrscheinlich nur der Anfang. Viele weitere Vorbilder und neue Techniken könnten noch folgen.