Können Roboter menschliches Pflegepersonal ersetzen?

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Dieser Roboter ist eine Mischung aus Mensch und Maschine. In Altersheimen will er dem Pflegepersonal helfen. Kann er das?

Welche Aufgaben könnten Roboter in Alterszentren übernehmen – und ab wann könnte es unethisch oder gar gefährlich sein, sie Menschen betreuen zu lassen? Eine Reportage

Martha Keller sitzt auf einem Stuhl in ihrem Zimmer im Alterszentrum. Das Zimmer hat grosse Fenster, Keller hat Blick auf den Zürichsee. Auf dem Beistelltisch steht eine Herde Porzellanelefanten, auf dem Nachttisch das Foto eines schwarzen Katers. «Der gehört meinem Sohn», sagt sie. Sie sagt es nicht zu einem Besucher. Sondern zu einem Roboter.

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Der steht neben ihr und blickt auf sie herab. Er ist so gross wie ein Mensch, «trägt» einen schwarzen Rock, Ärmel aus beigefarbenem Wollstoff. Seine Arme bestehen aus einem Kunststoffnetz, wenn man sie zusammendrückt, geben sie nach. Statt Händen hat der Roboter spitze Greifzangen, statt Füssen Räder, statt Gesicht einen Bildschirm. Darauf lässt sich in Echtzeit das Gesicht der Person projizieren, die den Roboter steuert. Remote, aus der Ferne, via Virtual-Reality-Headset.

Keller weist den Roboter an, ihr den Rahmen mit dem Katerfoto zu bringen. Der Roboter bestätigt, dreht sich um, fährt auf das Bett zu und greift das Bild mit seinem Greifarm. Er bringt es Martha Keller. Sie schaut zu ihm auf, lächelt, bedankt sich.

«Ich habe mal in einer Fernsehsendung etwas über einen Roboter gesehen. Einen kleinen, neben einer Kaffeemaschine», sagt Keller. Doch der habe nicht laufen können. So etwas wie «er hier», das habe sie noch nie gesehen.

Martha Keller spricht über den Roboter, als wäre er ein Mensch.

Und tatsächlich steckt ein Mensch hinter diesem Roboter, der ihn steuert, der aus ihm heraus spricht. Die Firma Devanthro, die den Roboter entwickelt hat, nutzt dies als Verkaufsargument – der Mensch bleibt «im Loop». Die Verschmelzung von Mensch und Maschine wird zur Legitimation.

Und das Problem, das die Firma lösen will, ist ein reales: Unsere Gesellschaft wird älter, gleichzeitig wollen immer weniger Menschen in der Pflege arbeiten. Roboter könnten da eine Lösung sein, sagen manche. Aber kann man Roboter guten Gewissens ältere Menschen pflegen und betreuen lassen?

Martha Keller weist einen humanoiden Roboter an, ihr ein gerahmtes Foto zu bringen.

Der Roboter gehöre bald zur Familie

Martha Keller trifft den Roboter nun zum dritten Mal. Doch sie kommuniziert mit ihm, als sähe sie ihn jeden Tag. Bald gehöre er zur Familie, sagt sie.

Keller ist 88 Jahre alt. Früher arbeitete sie als Schwimmlehrerin. Sie ist eine der 104 Bewohnenden des Alterszentrums Platten Meilen in Meilen am Zürichsee. Es ist das erste Altersheim, in dem der Pflegeroboter des Unternehmens Devanthro testweise vorbeikommt. Während einer Woche begleitet der Roboter Visiten und Gruppenaktivitäten. Hierbei wird er jeweils von den Entwicklern oder einer Pflegefachkraft gesteuert.

Man könnte meinen, die Generation, die der Roboter da besucht, sei nicht so leicht mit Technik zu begeistern.

Doch das Gegenteil sei der Fall. Zumindest sagt das Rafael Hostettler, der den Roboter mitentwickelt hat. Er bringt ihn von Altersheim zu Altersheim. Gerade auch demenzkranke Personen seien offen, meint er. «Je weiter die Demenz bei den Menschen fortgeschritten ist, desto positiver reagieren sie.» Sie sähen eine Figur mit einem bekannten Gesicht, die mit ihnen spreche. Und dann sprächen sie zurück.

Sicher, manche Menschen hätten den Roboter gruselig gefunden. Oder zumindest komisch. Hostettler spricht von zehn bis zwanzig Prozent.

Martha Keller gehört nicht dazu. Bestimmt sagt sie: «Nein, es war mir nie unheimlich.»

Es kann sein, dass sie eine Ausnahme ist. Martha Keller interessiert sich allgemein für Technologie. Sie erzählt von einem Hotel in Japan, von dem sie gelesen habe und das versuchsweise von Robotern betrieben worden sei. Doch das Persönliche fehle dann vermutlich. Keller denkt laut nach. «Wenn niemand Lebendiges dahintersitzt, ist es schwierig.» Auch wenn das ja auch wieder seine Vorteile hätte – ein Roboter könne einen schliesslich nicht nerven, sagt sie und lacht.

Sie treffen sich bereits zum dritten Mal: Martha Keller und der Roboter «Robody».

Sie treffen sich bereits zum dritten Mal: Martha Keller und der Roboter «Robody».

Von der Universität Zürich an die TU in München

Als der Roboter aus Kellers Zimmer in einen Konferenzraum fährt, grüssen ihn die Leute auf dem Gang.

Hostettler sagt, auf der Demenzstation seien die Bewohnenden manchmal am Roboter vorbeigegangen, hätten innegehalten, gewinkt. An den Bildschirm im Kopf geklopft, wenn dieser schwarz blieb. «Ah, ist niemand da», hätten sie dann gesagt.

Hostettler hat den Roboter mit dem Namen Robody an der Technischen Universität München entwickelt. Er basiert auf einer Erfindung des emeritierten Professors Rolf Pfeifer an der Universität Zürich. Dieser baute 2013 den Vorläufer des Robody, genannt Roboy – ein humanoider Roboter, dessen Aufbau dem menschlichen Bewegungsapparat glich. Er bestand aus Kunststoffsehnen, die von Elektromotoren im Roboter gedehnt und verkürzt wurden und damit die Bewegung von Muskeln imitierten.

Hostettler nahm diesen Vorläufer mit nach München und entwickelte ihn mit der Ingenieurin Alona Kharchenko weiter. Zusammen gründeten sie 2018 eine Firma, um ihn zu vertreiben. Am Anfang verkauften sie den Robody an Universitäten, die ihn für die Forschung benutzten – etwa menschliche Sehnen auf der Schulter des Roboters züchteten.

Rafael Hostettler (rechts) hat zusammen mit Alona Kharschenko (Mitte) die Firma Devanthro gegründet. Jürgen Lippl (links) ist verantwortlich für die Mechatronik.

Rafael Hostettler (rechts) hat zusammen mit Alona Kharschenko (Mitte) die Firma Devanthro gegründet. Jürgen Lippl (links) ist verantwortlich für die Mechatronik.

2020 entwickelten Hostettler und sein Team eine Fernsteuerungssoftware. Sie tauschten den Kopf des Roboters mit einem Bildschirm aus. Auf diesen lässt sich via VR-Headset das Gesicht der Person projizieren, die den Roboter steuert. Mit zwei Joysticks kann diese die Greifarme des Roboters bewegen und ihn durch den Raum fahren. Durch die Brille sieht sie das, was der Roboter auch sieht, dank Lautsprecher und Mikrofon kann sie durch den Roboter sprechen und hören.

Mit dieser Technik lässt sich Hostettlers Roboter theoretisch von jedem Ort der Welt aus steuern (am weitesten entfernt waren laut Hostettler die Malediven). Er gehört zu einer ganz bestimmten Gruppe von humanoiden Robotern: den Telerobotern.

Derzeit gibt es bei humanoiden Robotern zwei Strömungen: Einerseits arbeiten Forschende an autonomen humanoiden Robotern, die sich selbständig, also ohne menschliche Steuerung, bewegen, weil sie die Bewegungsabläufe gelernt haben. Andererseits gibt es Teleroboter, ferngesteuerte Roboter, die von Menschen bewegt werden.

Diese gleichen einer Hülle, in die der Mensch schlüpfen kann. Das wird auch verkörperte Telepräsenz genannt.

Martha Keller sagt über den Roboter: «Es war mir nie unheimlich.»

Viel Hoffnung und Skepsis

Hostettler und sein Team haben nach Anwendungsgebieten für ihre Technologie gesucht – und kamen auf den Pflegebereich.

Die Idee: Mit dem Roboter liessen sich pflegebedürftige Menschen leichter besuchen. Dafür müssten sie einen Roboter bei sich zu Hause oder auf ihrer Station im Altersheim haben.

Dann könnten etwa Ärzte und Ärztinnen bei Bedarf in den Roboter schlüpfen und eine Visite bei den Personen abhalten, mit ihnen sprechen, sie befragen, einfache Tests durchführen, ohne selbst vorbeigehen zu müssen. Sensoren im Robody können Puls, Atemfrequenz und Position der Person im Raum feststellen.

Auch Pflegekräfte könnten sich dazuschalten. Die Spitex könnte etwa kurze Termine wie die Vergabe von Medikamenten via Roboter durchführen. Und es könnten mehr Teilzeitarbeitende beschäftigt werden, so die Hoffnung. Studierende könnten sich etwa in freien Stunden zwischen Vorlesungen in einen Roboter schalten und Pflegebedürftige bei ihnen zu Hause oder im Altersheim besuchen und betreuen.

Und natürlich könnten auch Angehörige, die weiter weg wohnten, ihre Familienmitglieder im Altersheim besuchen.

So weit die Theorie. Doch was dahintersteckt, ist weitaus komplizierter. Denn es gibt mehrere Punkte, die gegen einen Einsatz von Robotern in Pflege und Betreuung sprechen.

Franziska Feusi leitet im Alterszentrum Platten Meilen das Pflege- und Betreuungsteam. Sie hat Hostettler und den Roboter während deren Besuch in den vergangenen Tagen begleitet und beaufsichtigt. Sie weist auf den Roboter, der in einer Ecke steht. «Wir haben unserem Team von Anfang an gesagt: Man darf auch dagegen sein.»

Es ist das erste Mal, dass der humanoide Teleroboter Robody testweise in einem Altersheim zum Einsatz kommt.

Es ist das erste Mal, dass der humanoide Teleroboter Robody testweise in einem Altersheim zum Einsatz kommt.

«Direkt am Menschen sehen wir den Einsatz nicht»

Manche Pflegepersonen seien skeptisch gewesen, bevor der Roboter auf die Station gekommen sei. Sie hätten gesagt, «bei unserem Beruf geht es um Menschen». Feusi sagt denn auch, sie sehe es nicht als realistisch, dass der Mensch ersetzt werde. Menschen würden immer Menschen brauchen.

Aber sie sagt auch: Manche der Skeptischen seien neugierig geworden. Und ein Besuch der Angehörigen via Roboter sei besser als kein Besuch. Die räumliche Präsenz sei für viele greifbarer, die Verwandten seien näher, als wenn sie einfach via Facetime anriefen. Wenn die Bewohnenden realisierten, dass da etwa die Stimme ihrer Tochter aus dem Roboter herausschalle, hätten manche das Bedürfnis gehabt, den Roboter in den Arm zu nehmen. Oder sich an seinen Bauch zu schmiegen.

Es ist ein trauriges Bild. Doch es ist Ausdruck der heutigen Gesellschaft. Viele Menschen ziehen für Ausbildung und Beruf weg und wohnen weiter entfernt von ihren Eltern oder Grosseltern. Devanthro wirbt damit, dass man mit dem Roboter Umarmungen aus Tausenden Kilometern Distanz geben könne. Die Roboter-Umarmung ist vielleicht besser als keine Umarmung. Aber sie ist ein armseliger Ersatz.

Man müsse anfangen, kreative Lösungen zu suchen, sagt Feusi. Sie spricht die Überalterung an. Die aktuelle demografische Entwicklung zeigt: Die Menschen in Deutschland und der Schweiz werden immer älter, gleichzeitig werden weniger Kinder geboren. Feusi sagt, die Ressourcen fehlten, um die Babyboomer-Generation zu betreuen. Da könnten Roboter zum Einsatz kommen.

«Wir haben unserem Team von Anfang an gesagt: Man darf auch dagegen sein», sagt Franziska Feusi. Sie leitet im Alterszentrum Platten Meilen das Pflege- und Betreuungsteam.

«Wir haben unserem Team von Anfang an gesagt: Man darf auch dagegen sein», sagt Franziska Feusi. Sie leitet im Alterszentrum Platten Meilen das Pflege- und Betreuungsteam.

Doch es sei nicht das Ziel, dass irgendwann die Hälfte ihrer Belegschaft durch einen Roboter vertreten werde. Realistisch sei, in Zukunft ein oder zwei Robodys einzusetzen.

Die Sicherheit steht im Zentrum. Wenn es darum geht, Menschen zu mobilisieren, sie etwa umzulagern, wirken viele Kräfte. Diese müssen verlässlich abgeschätzt werden können.

Feusi sagt: «Direkt am Menschen sehen wir den Einsatz nicht.»

Robert Katzschmann forscht am Institut für Robotik an der ETH an Robotern, die biologische Systeme nachahmen. Er sieht die grösste Herausforderung von Telerobotern wie dem Robody darin, dass bei Berührungen und Handlungen die Anpassungsfähigkeit und die physische Rückmeldung fehlen. «Roboter können ihre Bewegungen noch zu schlecht auf ihre Umwelt abstimmen», sagt er. Die derzeitige Hardware der Roboter eigne sich deshalb noch zu wenig für die Interaktion zwischen Mensch und Roboter.

Durch das VR-Headset bekomme man alles mit, was der Roboter tue. Man könne etwa sehen, dass er eine menschliche Hand greife. Doch man könne den Händedruck nicht fühlen. Und dadurch nur schwer regulieren.

Es gebe zwar Sensoren und elektrische Aktoren, die ein physisches Feedback vom Roboter an die fernsteuernde Person leiten könnten – etwa in Form eines Handschuhs, der sich zusammenziehe. Aber technologisch sei das herausfordernd. Aus der Roboterhand müssten sehr viele Datenpunkte ausgelesen, übertragen und dann hochauflösend im Handschuh dargestellt werden.

Hostettlers Robody hat derzeit Zangen als Hände. Sie können greifen und tragen. Aber nicht berühren und halten, wie es menschliche Hände tun. Hostettlers Team will im Robody deshalb als Nächstes menschenähnliche Hände verbauen. Und noch etwas kann der Roboter vorerst nicht: sich beugen. Somit kann er auch nicht etwas vom Boden aufheben, wenn es herunterfällt. Auch das soll in Zukunft gelöst werden.

Hostettler und sein Team arbeiten derzeit an der nächsten Robody-Generation. Diese soll menschenähnliche Hände erhalten.

Hostettler und sein Team arbeiten derzeit an der nächsten Robody-Generation. Diese soll menschenähnliche Hände erhalten.

Was ist Mensch und was Maschine?

Bei allem, was der Robody kann und nicht kann, stellt sich die Frage: Wie ist es für die Person, die den Roboter steuert? Anfangs ist es anstrengend, den Roboter durch den Raum zu fahren. Ein Objekt zu greifen und nicht fallen zu lassen. Bewegt man sich das erste Mal in einem virtuellen Raum, fühlt man sich danach schwindelig.

Hostettler sagt, man gewöhne sich an diese Art der Anstrengung. Er könne den Robody problemlos vier bis fünf Stunden am Stück bedienen. Doch solche langen Einsätze am Stück seien nicht das Ziel.

Der Roboter ist eine Schnittstelle zwischen der realen und der virtuellen Welt. Was Mensch ist und was Maschine, vermischt sich im Universum von Hostettler.

Er verlässt mit seinem Team und dem Roboter das Alterszentrum. Noch am selben Nachmittag fahren sie in ein Pflegeheim nach Brugg, um den Roboter vorzustellen.

Zurück bleibt die Frage, was Menschlichkeit ausmacht. Ist es physische, ist es geistige Präsenz? Ist es Einfühlungsvermögen, sind es Gespräche, ist es Körperkontakt? Reichen einige dieser Faktoren, oder braucht es alle davon?

Für Hostettler sind seine Roboter wie Menschen. Das steht zumindest auf der Rückseite seiner Visitenkarte. «Care is human. Robodies too», steht da: Pflege ist menschlich. Robodys auch.

Da er als Teleroboter konzipiert ist, könnten durch den Roboter sowohl Ärzte und Pflegepersonal als auch Angehörige die Menschen in Alters- und Pflegeheimen besuchen.

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