Putin will reden, um die Ukraine zu schwächen

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Wladimir Putin würde es nie so wirken lassen, als reagiere er auf äußeren Druck. Dennoch erschien sein Angebot an die Kiewer Führung aus der Nacht zum Sonntag, schon am kommenden Donnerstag direkte Gespräche in Istanbul zu beginnen, „und zwar, das hebe ich hervor, ohne jede Vorbedingung“, als Reaktion und als Versuch, das Thema zu wechseln.

Putin will nicht über eine sofortige Waffenruhe von 30 Tagen sprechen, wie sie die Ukraine und der Westen am Samstag neuerlich in einer konzertierten Aktion gefordert haben. Sondern, wie bisher, darüber, „die Grundursachen des Konflikts zu beseitigen“. Unter diesem Schlagwort erhebt Moskau weitreichende Forderungen gegen die Ukraine und den Westen, die beispielsweise den Ausschluss einer NATO-Mitgliedschaft einer um besetzte Gebiete gebrachten Restukraine umfassen. 

Nächtliche Pressekonferenz im Kreml

Putin reagiert damit zum einen auf die Reise des deutschen Bundeskanzlers, des französischen Präsidenten, des britischen Premierministers und des polnischen Ministerpräsidenten zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Samstag, vor allem auf deren Abstimmung mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump in einer großen Videokonferenz. Letzteren versucht Putin weiterhin zu beeinflussen, mit dem großen Ziel, Washington dauerhaft von der militärischen Unterstützung der Ukraine abzubringen. Dazu dienten in Putins knapp 20 Minuten dauerndem, nächtlichen Auftritt vor der Presse im Kreml offenkundig seine Klagen über Kiew mit dem Versuch, über den Verhandlungsvorschlag gleichsam den Ball in dessen Feld zurückzuspielen.

Das ukrainische Militär habe die im März zwischen Putin und Trump erzielte Vereinbarung, Angriffe auf Objekte der Energieinfrastruktur auf 30 Tage auszusetzen, „rund 130 Mal“ gebrochen, dann auch die von Putin ausgerufene „Osterwaffenruhe“ nicht eingehalten. Die Ukraine habe auch auf die von Putin zu seinen Feierlichkeiten zum „Tag des Sieges“ am vergangenen Freitag ausgerufene „Waffenruhe“ von drei Tagen „überhaupt nicht reagiert“ und währenddessen dann „umfangreiche Attacken durchgeführt“. Kiew hat den russischen Invasoren jeweils entsprechende Vorwürfe gemacht. 

Putin erwähnt Forderung nach Waffenruhe nicht direkt

Bezeichnenderweise erwähnte Putin das Geschehen in Kiew und die offenbar mit Rückendeckung aus Washington erhobene Forderung an ihn, jetzt „ohne Wenn und Aber“ der schon im März vorgeschlagenen, umfassenden Waffenruhe von 30 Tagen zuzustimmen, nicht direkt, sondern nur mit seiner üblichen Formel mit Blick auf die Androhung neuer Sanktionen gegen Russland: In Europa, sagte Putin, werde „weiter versucht – das sehen wir direkt in diesen Tagen – mit uns im Wesentlichen auf rüpelhafte Weise und mithilfe von Ultimaten zu sprechen“.

Stattdessen stellte Putin seinen Vorschlag nach neuen direkten Gesprächen mit der Ukraine in Istanbul als Folge von „Unterhandlungen und Treffen“ in Moskau während der Feierlichkeiten um das Jubiläum des Sieges von 1945 dar: Es sei darin unter anderem „die Frage der Beilegung des Konflikts in der Ukraine berührt worden“.

Ins Detail ging Putin nicht, allerdings hatte sein wichtigster Gast, Chinas Präsident Xi Jinping, mit ihm unter anderem über „die Ukraine-Krise“ gesprochen. Das ließ sich einer chinesischen Mitteilung über ein „Teegespräch“ Putins und Xis am vergangenen Donnerstag entnehmen. Putin habe gesagt, dass er bereit zu „Friedensgesprächen ohne Vorbedingungen sei und hoffe, ein gerechtes und dauerhaftes Friedensabkommen zu erreichen“, so die Meldung des chinesischen Außenministeriums. In den russischen Meldungen und in einer gemeinsamen russisch-chinesischen Erklärung hatte sich bemerkenswerterweise nichts dazu gefunden.

Ermutigt durch Besucher zu Siegesfeier

Putin gab sich ermutigt durch die Besucher zu seiner Feier, dankte erstmals auch persönlich dem nordkoreanischen Militär, dessen Vertreter er am Freitag nach der Parade auf dem Roten Platz begrüßt hatte, für „Mut und Heldentum“ im Kampf gegen Verbände „des Kiewer Regimes“ im westrussischen Kursker Gebiet an der Seite der russischen Armee. Insgesamt dankte er „allen unseren Gästen, unseren Freunden, für die Aufmerksamkeit, die sie diesem Konflikt schenken, und für die Bemühungen, die sie dafür unternehmen, damit dieser Konflikt endet“.

Damit leitete Putin über zu den Vorwürfen gegen die Ukraine, zu denen auch gehört, die Verhandlungen in Istanbul 2022 abgebrochen und einen „gemeinsamen Dokumentenentwurf“ verworfen zu haben, und zwar „auf westliches Betreiben hin“. Letzteres spiegelt Putins Narrativ, die Ukraine sei kein eigenständiges, souveränes Land, sondern in den Händen unbestimmten westlicher „Kuratoren“, von denen er auch in der Nacht auf Sonntag wieder sprach, die „gegen Russland mit den Händen ukrainischer Nationalisten kämpfen“.

Den Kontext des Abbruchs der Verhandlungen von 2022 blendet Putin stets aus respektive bestreitet ihn: Russlands gescheiterten Angriff auf Kiew, das Entsetzen über die dann in Orten wie Butscha und Irpin aufgedeckten Massaker an der Zivilbevölkerung und die Schlacht um Mariupol, in der internationale Bemühungen um humanitäre Korridore immer wieder scheiterten und Moskau die Verteidiger als „Nazi-Verbrecher“ bezeichnete. Zugleich wuchs damals die militärische Unterstützung für die Ukraine durch den Westen. Mitte Mai 2022 kündigten zunächst Kiew und dann Moskau die Verhandlungen offiziell auf, an die Putin nun anknüpfen will.

Stopp der Waffenlieferungen an Kiew als Bedingung

Im März hatte Putin den amerikanisch-ukrainischen Vorschlag nach einer Waffenruhe von 30 Tagen zwar begrüßt, „aber Nuancen“ gesehen und ihn so faktisch zurückgewiesen; unter anderem hatte Putin implizit gefordert, dass die Mobilmachung in der Ukraine und westliche Waffenlieferungen an das Land enden sollten, offenkundig, um das überfallene Land nachhaltig zu schwächen. In einem am Samstag veröffentlichten Interview mit dem amerikanischen Sender ABC hatte Putins Sprecher, Dmitrij Peskow, neuerlich gefordert, dass die westlichen Waffenlieferungen für eine Waffenruhe enden müssten.

Nach dem neuen westlich-ukrainischen Anlauf für eine Waffenruhe sagte Peskow am Samstagabend, darüber müsse man „nachdenken“, Stunden später kündigte er Putins Erklärung an. Der Präsident sagte dann, man schließe „neue Waffenruhen“ im Rahmen der möglichen Gespräche in Istanbul nicht aus, doch eine „echte Waffenruhe“ müsse so aussehen, dass die ukrainischen Streitkräfte nicht weiter bewaffnet würden und neue Schützengräben und Stützpunkt bekämen. „Wer braucht einen solchen Frieden?“, fragte er rhetorisch – Nachfragen der Presse im Saal waren nicht zugelassen. 

Offenbar mit Blick auf Putins Vorschlag und den kommenden Donnerstag schrieb Trump, der wohl eigentliche Adressat von Putins nächtlichem Auftritt, in seinem Netzwerk Truth Social: „Ein potentiell toller Tag für Russland und die Ukraine!“ Hunderttausende Leben könnten geschont werden, er, Trump, werde weiter mit beiden Seiten arbeiten um sicherzugehen, dass es passiert“ und wolle sich „stattdessen auf Wiederaufbau und Handel konzentrieren“.