Wenn im Bundestag jemand redet, schreiben die Stenographen alles mit. Genauso übrigens, wenn jemand lacht. Dann steht im amtlichen Protokoll: Lachen bei der CDU/CSU. Oder: Lachen des Abg. Dr. Johannes Fechner (SPD). Die Stenographen hören genau hin, wie ein Lachen gemeint ist. Sie unterscheiden zwischen Lachen und Heiterkeit. Heiterkeit ist nach amtlicher Definition, wenn jemand wirklich fröhlich war, wegen eines Witzes zum Beispiel, und dann wiehert oder kichert. Lachen ist, wenn jemand johlt oder feixt, weil er jemanden lächerlich findet, grotesk oder unwürdig. Heiterkeit ist also nett, Lachen ein bisschen böse. Wenn im Protokoll steht, dass Friedrich Merz gelacht hat, als Franziska Brantner sprach, dann meint das: Er hat die Grüne verlacht.
Weil das alles so genau erfasst wird, kann jeder, der ein bisschen Geduld hat, nachzählen, wann im Bundestag wie oft gelacht wurde und von wem. Die F.A.S. hat alle Protokolle des Jahres 2024 einzeln durchgeschaut. Weil kleine Fraktionen weniger Abgeordnete haben, haben sie weniger Gelegenheit, durch Lachen aufzufallen, deshalb wurde die absolute Zahl der Lacher durch die Zahl der Fraktionsmitglieder geteilt. Heraus kommen die Lacher pro Abgeordnetem, der Lachquotient.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Der war bei der AfD höher als bei allen anderen. Mit großem Abstand. Die AfD kommt auf viereinhalb Lacher pro Fraktionsmitglied, die zweitlachfreudigste Fraktion, CDU/CSU, kommt gerade einmal auf 1,8. Die übrigen Fraktionen schwanken um einen durchschnittlichen Lacher pro Abgeordnetem herum, während Linke und BSW vollkommen abfallen. Sie lachen praktisch nicht, obwohl sie im Jahr 2024 zusammen immerhin 38 Abgeordnete stellten.
Bei der Heiterkeit ist die AfD nicht stärkste Kraft
Bei der Heiterkeit, dem fröhlichen, positiven Lachen, verliert die AfD ihre Position als stärkste Kraft, da führen die Grünen und die FDP, die 2024 noch im Parlament saß. Sie kamen jeweils auf 2,6 Heiterkeitsmomente pro Fraktionsmitglied, danach folgten die SPD, dann CDU/CSU, und dann erst die AfD. Linke und BSW verkniffen sich nicht nur das Lachen, sondern auch fast jede Form von Heiterkeit.
Man kann das für eine kleine, unterhaltsame Statistik halten. Sie dokumentiert, was Scherzkekse ohnehin geahnt hatten: Ganz links die verbitterten, von Grabenkämpfen gezeichneten Altkommunisten neben selbstzufriedenen Vegetariern, humorlosen Gewerkschaftern, hölzernen Juristen, fröhlich-aufgekratzten Apothekern und einem keifenden, johlenden Mob ganz rechts. Hö-hö-hö.
Um solche Scherze geht es aber nicht beim Lachquotienten. Die Abgeordneten haben eine ernste Absicht. Sie wollen ausdrücken, was sie von anderen halten. Wie indiskutabel, lachhaft und klein sie diese finden. Wenn in der AfD-Fraktion viel gelacht wird, heißt das also nicht, dass es dort besonders nett zugeht. Der Humor, um den es geht, ist eher von der grimmigen Sorte. Das sagen nicht andere, das sagen die AfD-Abgeordneten selbst.
Einer der Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD, Götz Frömming, wurde in spätmittelalterlicher Germanistik promoviert und zwar bei Werner Röcke. Das war ein Berliner Professor, der einen Großteil seines Schaffens darauf verwendete, das Lachen im Mittelalter zu studieren. Frömming hat sich Röckes Bücher neulich noch mal angeschaut, sie handelten von der Lachkultur und Lachgemeinschaften. „Es gibt das Lachen, das Gemeinschaft stiftet, und das, das ausgrenzt, wenn man derjenige ist, der über eine Gruppe lacht. Das kann ganz schön verletzend sein“, sagt Frömming.
Einer lacht vor, die anderen lachen mit
Welches er bei der AfD hört, weiß er auch: „Es ist schon so, dass es die eigene Gemeinschaft stärkt und ein Lachen über andere ist, das mit einer gewissen Aggressivität verbunden sein kann.“ Manchmal ist Frömming der Vorklatscher seiner Fraktion. Das heißt: Er sitzt in einer der vorderen Reihen des Bundestages und muss den Reden seiner Fraktionskollegen zuhören, auch wenn sie langweilig sind.
Die anderen in der Fraktion daddeln auf ihren Handys oder erledigen Papierkram. Wenn Frömming der Meinung ist, ein Klatschen sei sinnvoll, klatscht er laut vor. Die anderen hinter ihm hören das und klatschen mit, ohne zu wissen, worum es geht. So ist die Arbeitsteilung nicht nur beim Klatschen, sondern auch beim Lachen. Es wird vorgelacht, zum Beispiel von Stefan Keuter, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD. Wenn einer von den Grünen redet, und Keuter findet das mal wieder den Gipfel, dann lacht er, schüttelt den Kopf und hält die Hand vor die Stirn. Die anderen hören das und lachen mit. Das Lachen verbreitet sich dann in der Fraktion, und irgendwann lachen ganz viele. „Wir nutzen das auch als Stilmittel“, sagt Keuter, „wir lachen viel öfter als andere.“
Er unterscheidet zwischen verschiedenen Arten von Lachen, dem sarkastischen, triumphierenden, schadenfreudigen und fassungslosen Lachen. Manchmal kommt einer von der SPD ans Rednerpult und hat bunte Socken an, und dann ruft einer von der AfD: „Heute fehlen nur noch die roten Socken“, und dann lachen alle. Keuter gibt zu, dass die Qualität der Witze abnimmt, je länger die Sitzungen dauern. Es geht nicht um den einzelnen Witz, sondern darum, eine Stimmung zu schaffen. „Wenn zwei, fünf, zehn lachen, entwickelt sich eine Eigendynamik“, sagt Keuter.
Viele hören die Zwischenrufe ihrer eigenen Leute nicht
Viele Hinterbänkler der AfD lachen, ohne verstanden zu haben, worum es geht. Sie haben zum Beispiel den Einwurf mit den roten Socken gar nicht gehört. Die Akustik im Bundestag ist so. Wenn der Zwischenruf nach vorn gerichtet ist, ist er für die anderen nicht leicht zu verstehen, Keuter bestätigt das: „Wenn ein Spruch gemacht wird, können den nicht alle hören bis in die letzte Reihe.“ Das führt manchmal zu Verwirrung, wenn der AfD vorgeworfen wird, einen infamen Zwischenruf gemacht zu haben, und viele bei der AfD gar nicht wissen, was gerufen wurde. Der Abgeordnete Frömming erfährt oft erst aus dem Protokoll, welche Zwischenrufe es gab, selbst die Fernsehmitschnitte helfen nicht, weil Zwischenrufe von den Mikrofonen nicht gut eingefangen werden. Das AfD-Lachen ist also oft leer, es ist ein politisches Werkzeug.

Früher waren Linke diejenigen, die gesellschaftliche Gebote missachteten und verhöhnten und für eine Befreiung eintraten. Ihr Lachen galt den Spießern und ihrer kümmerlichen Moral. Heute ist es andersherum. Die Rechten lachen über die Moral. Sie bieten die Befreiung aus dem Korsett der Tugendhaftigkeit. Jeder Witz geht, jedes Verhalten ist in Ordnung. Vielleicht wird deshalb so viel und ausgelassen gefeiert in der AfD-Fraktion. Wenn jemand Geburtstag hat, singen sie zusammen. Die Stimmung wird als „extrem gut“ und „fröhlich“ beschrieben.
Das Lachen soll die Leute lockermachen, sie sollen ihre moralischen Bedenken ablegen. Bei öffentlichen Auftritten der AfD passiert also etwas Strategisches. Der Abgeordnete Keuter gesteht, dass er Bürger ungern mit den ganz harten Themen konfrontiert. Er geht nicht in der Fußgängerzone auf jemanden zu und sagt: „Die Ausländer stechen unsere Frauen ab.“ Das ist zu düster, zu abstoßend. Seiner Erfahrung nach funktioniert es besser, „wenn man das ein bisschen lustig macht, schwarzer Humor eben.“
Sicher wieder eines dieser Goldstücke
Der Witz mit den Goldstücken zum Beispiel. Vor Jahren hat der SPD-Politiker Martin Schulz mal gesagt, was Flüchtlinge nach Europa mitbrächten, sei wertvoller als Gold. Er meinte den unbeirrbaren Glauben an die EU. Das wurde bei der AfD zum Running Gag. Immer, wenn ein Flüchtling kriminell wurde, sagten sie, das sei sicher wieder eines dieser „Goldstücke“. Und dann lachten alle.

Der Abgeordnete Keuter kann den Sinn dahinter genau erklären: „Das ist ein typischer AfD-Humor. Man hat damit einen Türöffner, um Gehör zu finden, um etwas zu sagen, was eigentlich unsagbar ist und sonst der Sprachpolizei unterliegt. Ähnlich wie der Hofnarr im Mittelalter.“
Der AfD-Humor ist also ein bewusstes Mittel zur Radikalisierung. Wer mitlacht, hat seine Normen ein Stück verschoben, kann aber, wenn er kritisiert wird, schnell sagen: War doch nur ein Scherz. AfD-Leute aus Sachsen posteten in einem Chat mal eine SS-Mütze und schrieben dazu: „Liebe Flüchtlinge, an diesen Mützen erkennen Sie Ihren Sachbearbeiter.“ Der nordrhein-westfälische AfD-Vorsitzende Martin Vincentz sagte mal: „Am besten ist eigentlich der Humor, der so schwarz ist wie der Amazon-Paketbote, der Ihnen die Pakete bringt.“
Für Freud ist das: der tendenziöse Witz
Was die AfD macht, hätte Sigmund Freud den „tendenziösen Witz“ genannt. Der braucht drei Zutaten, erstens: dass man eine Aggression gegen jemanden hat. Zweitens: dass es einem gesellschaftlich verboten ist, diese Aggression zu äußern. Drittens: dass man ein Publikum sucht, das man zum Komplizen machen kann. Die Goldstück-Witz ist genau das. Erstens: Ausländer sind kriminell. Zweitens: Die Politiker da oben wollen uns verbieten, das zu sagen. Drittens: Wer mitlacht, zeigt seine Zustimmung. Dann haben zwei Menschen ihre moralische Hemmung überwunden, der, der mitlacht, und der, der den Witz erzählt. Der Gießener Literaturwissenschaftler Uwe Wirth hat viel über Komik geforscht. Sein Ergebnis: „Die Lust am Witz ist natürlich, dass es gelingt, diese Hemmung durch einen Witz zu umgehen und Komplizen zu finden, die einen durch ihr Lachen belohnen.“ Wer lacht, hat sich also verführen lassen, er bildet eine „Werte- und Witzgemeinschaft“, wie Wirth das nennt. Wer in solcher Gesellschaft moralisch sauber bleiben will, muss sich das Lachen verkneifen.

Bei Sigmund Freud gibt es das Beispiel von zwei Männern, die über eine Frau witzeln, die neben ihnen steht. Die Frau errötet. „Das ist die Zote, der Stammtischwitz“, sagt Wirth. Der Mann hat einen Komplizen gefunden für seinen Tabubruch, nämlich dass es sich nicht gehört, in Anwesenheit einer Person schlecht über sie zu sprechen. Seine Zote ist eine Geste der Ausgrenzung.
Das müsste jenen, die nicht AfD wählen, bekannt vorkommen. Wie oft haben sie gefeixt, gejohlt und geprustet über Alexander Gaulands Hundekrawatte, das Wutschnauben von Alice Weidel, den Spottnamen „Bernd“ Höcke, Donald Trumps Föhnfrisur, Adolf Hitlers Bärtchen. Wer lacht, will zu den Guten gehören und zeigt das allen. Aber er bewirkt auch etwas, das seiner Haltung widerspricht, der Gießener Historiker Patrick Merziger kann das erklären, er hat über den Humor in der Nazizeit geforscht: „Das Lächerlichmachen schafft eine Identifikation mit Leuten, die sich auch lächerlich gemacht fühlen von der Gesellschaft.“ Wer über Höcke lacht, weil er so dumm sei, und so rückwärtsgewandt, pikiert damit alle, die schon mal dumm und rückwärtsgewandt genannt wurden. Die fühlen dann mit Höcke. Wer über die AfD lacht, macht die AfD also nicht schwächer, sondern stärker.
Das Lachen ist eine sanfte Strafe
Das Lachen hat ganz plumpe Wurzeln, es geht um Hunger, Strafe oder Wut. Wenn das Schimpansenbaby lange an der Brust der Mutter getrunken hat, ist das eine große Anstrengung für seinen Mund. Liegt es dann satt im Arm der Mutter, dehnt und entspannt sich diese Muskulatur wieder. Etwas, das wir Lächeln nennen, entsteht. Die Mutter sieht das und merkt: Alles ist gut. Das Lachen hingegen hat einen anderen Ursprung, erklärt der Bremer Kulturwissenschaftler und Lachforscher Rainer Stollmann: Es ist eine sanfte Strafe. „Die Wolfsmutter schleudert ihre Kinder in die Ecke, wenn sie unartig sind. Die Löwenmutter gibt Ohrfeigen. Die Schimpansenmutter hingegen kitzelt, um nicht schlagen zu müssen.“ Und das Grinsen ist die Geste eines Schimpansen, der zum Kampf bereit ist, er zeigt die Zähne.
Wer lacht, tut also nicht automatisch etwas Nettes. Oft geht es um Herabsetzung. In den ersten zwei Sitzungen des neuen Bundestags, der konstituierenden und der Kanzlerwahl, gab es jeweils fünf Lacher. Alle kamen von der AfD, kein einziger von einer anderen Fraktion. Wer einmal darauf geachtet hat, dem fällt es danach immer wieder auf.