Katherina Reiche weiß, was das Publikum des Wirtschaftsrats der CDU von ihr erwartet, und sie enttäuscht es nicht. Lobte die CDU-Politikerin bei der Amtsübergabe im Wirtschaftsministerium vergangene Woche noch ihren Vorgänger Robert Habeck (Grüne) für seine „fast übermenschliche“ Leistung in der Energiekrise, spart sie am Montagnachmittag während ihres Auftritts vor Parteifreunden in Berlin nicht mit Kritik.
Ein großer Teil der wirtschaftlichen Probleme Deutschlands sei hausgemacht, sagt Reiche und zieht daraus den Schluss: „Wenn die Probleme made in Germany sind, dann ist die Lösung auch made in Germany.“ Reiche kritisiert die nach ihrer Wahrnehmung passive Haltung, mit der die Vorgängerregierung das wirtschaftliche Zurückfallen Deutschlands gegenüber anderen Industrieländern hingenommen habe. Bei den Energiepreisen, der Bürokratie, der Steuerbelastung und der Digitalisierung habe Deutschland es selbst in der Hand, wieder besser dazustehen. „Wir bleiben hinter unseren Möglichkeiten zurück“, konstatiert Reiche und skizziert, wie sie das ändern will.
In der Energiepolitik will sie zügig den Bau von Gaskraftwerken ausschreiben, um die schwankenden Erneuerbaren zu kompensieren. Man müsse sich „ehrlich machen“ zu den Systemkosten der Energiewende. Der Klimaschutz sei zuletzt „überbetont“ worden. Ähnlich wie die FDP zu Ampel-Zeiten pocht Reiche auf Technologieoffenheit. „Wir können unmöglich 2025 schon über alle technischen Lösungen verfügen, um 2045 beziehungsweise 2050 klimaneutral zu sein.“ Mit Blick auf das umstrittene Gebäudeenergiegesetz befindet Reiche, Deutschland brauche „keine Lex Wärmepumpe“.
Die Künstliche Intelligenz dürfe man nicht „totregulieren“, bevor es überhaupt Geschäftsmodelle gebe. Deutschland müsse den Fortschritt „umarmen“ und nicht „wegbürokratisieren“. In Brüssel will sie dafür werben, Gespräche über Freihandelsabkommen zügig abzuschließen und den „aufkommenden Handelsstreit mit den USA beizulegen“. Reiche wiederholt den Satz aus dem Koalitionsvertrag, wonach es „mittelfristig“ ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten geben soll.
Spahn zwischen populär und populistisch
Kurz nach ihrem Auftritt reist sie zum Energieministerrat in Warschau, zudem steht diese Woche auch noch der Handelsministerrat in Brüssel in ihrem Kalender. Zu den Berliner Dissonanzen rund um den Vorstoß von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD), auch Beamte und Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, sagt Reiche: „Lasst uns mal beim Koalitionsvertrag bleiben, da haben wir, glaube ich, gut zu tun.“
Reiche bekommt für ihre Rede Applaus, doch als nach ihr Fraktionschef Jens Spahn auf die Bühne tritt, gibt er dem Publikum noch etwas mehr von dem, was es hören will. Reiche habe an Tag 1 „die rot-grünen Apologeten“ im Ministerium vor die Tür gesetzt, lobt er mit Blick auf die Staatssekretäre und Abteilungsleiter, die Reiche bereits von ihren Aufgaben entbunden hat. Spahn kritisiert die „Absurdität“ der Energiewende, mit Atomstrom erzeugten Wasserstoff aus Frankreich zu importieren, weil hierzulande die AKWs abgeschaltet wurden.
Er erzählt davon, wie er vor 25 Jahren auf Hochzeiten im Münsterland gekellnert habe. „Das ging bis morgens um sechs. Wir haben damals immer schon gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen.“ Das habe sich bis heute nicht geändert. „Wir werden das nach zwanzig Jahren Debatte endlich flexibilisieren.“ Und die Berichtspflichten aus dem Lieferkettengesetz müssten „sofort weg“.
Spahn hält eine Rede, die gut die eines Wirtschaftsministers hätte sein können, in dem ihm eigenen Stil an der Grenze zwischen populär und populistisch. Spahn wollte aber nicht Wirtschaftsminister werden, sondern Fraktionschef. Es ist die Aufgabe, in der er mehr Beinfreiheit hat – auch, um die Minister der eigenen Partei anzutreiben. Am Montag hat Spahn Reiche darauf einen Vorgeschmack geliefert.