Die Aufnahmen sind so unscharf, dass es durchaus auch ein Beutel mit weißem Pulver sein könnte, der vor dem französischen Präsidenten liegt. Doch die Videos bilden den Ausgangspunkt für eine groß angelegte Diffamierungskampagne. Emmanuel Macron und Kanzler Friedrich Merz, so die Botschaft, hätten bei ihrer nächtlichen Bahnfahrt nach Kiew Kokain zu sich genommen. Die Verleumdungskampagne führte zu einem solchen Aufruhr in den sozialen Netzwerken, dass sowohl das französische Außenministerium als auch der Élysée-Palast sich zu Dementis entschlossen.
Die Internetvideos erwecken den Eindruck, als würde Macron blitzschnell den weißen Beutel vor den Kameras verstecken. Neben Merz Aktenmappe lag angeblich ein Kokain-Halm, den der Bundeskanzler diskret verschwinden ließ. „Was will Emmanuel Macron mit seinem schuldbewussten Blick verbergen?“, fragte der rechtspopulistische Politiker Nicolas Dupont-AIgnan, den Marine Le Pen 2017 zu ihrem Premierminister bestimmt hatte. Es sei „für die Glaubwürdigkeit Frankreichs dringend notwendig, dies zu erfahren“, äußerte Dupont-Aignan. Auch Le Pens früherer Stellvertreter Florian Philippot beteiligte sich an der Kampagne und fragte entrüstet, was Macron da versteckt habe.
„Sie sind so verzweifelt“
Der Élysée-Palast veröffentlichte das Foto eines zerknüllten weißen Taschentuches. Die Desinformation gehe so weit, dass ein einfaches Taschentuch als Droge ausgegeben werde, schrieb das Präsidialamt dazu. Die europäische Geschlossenheit werde als störend empfunden, deshalb würden Fake News über den angeblichen gemeinsamen Kokainkonsum „von den Feinden Frankreichs“ im Ausland wie auch im Inland verbreitet, heißt es aus dem Élysée.
Außenminister Jean-Noel Barrot, der mit Macron in die Ukraine reiste, wurde noch deutlicher. „Wir sehen Sie! Sie sind so verzweifelt, den Frieden in der Ukraine zu verhindern, dass Sie jetzt sogar offensichtliche Falschmeldungen verbreiten“, schrieb der Außenminister. Darunter veröffentlichte er Posts der russischen Außenamtssprecherin Maria Sacharowa und des russischen Ukraine-Unterhändlers Kirill Dmitrijew auf der Plattform X, welche die Videos in Umlauf gebracht hatten. Auch der amerikanische Verschwörungstheoretiker Alex Jones, der mit seinem Onlineportal Infowars ein Millionenpublikum erreicht, beteiligte sich an der Kampagne.
Auf hochwertigen Videoaufnahmen der Nachrichtenagenturen AFP und AP ist klar zu erkennen, dass vor Macron ein zerknülltes Taschentuch liegt und neben der Mappe von Merz ein Zahnstocher.
Gefälschte Rechnungen und Lügen
Die französische Staatsführung geht seit Kurzem entschlossen gegen Desinformationskampagnen vor. Anfang Mai bezichtigte Außenminister Barrot erstmals den russischen Militärgeheimdienst GRU, Cyberangriffsmethoden gegen Frankreich einzusetzen. Die Vorwürfe gegen Russland sind nicht neu, doch bislang hatte die französische Diplomatie direkte Schuldzuweisungen vermieden. Das Außenministerium gab den Namen und den Standort der Einheit des GRU bekannt: die Einheit 20728 mit Sitz in Rostow am Don, aus dem das sogenannte 166. Informationsforschungszentrum hervorgegangen ist. Zwischen Ende 2023 und März 2025 soll der russische Geheimdienst 77 Operationen direkt und indirekt gegen Frankreich gesteuert haben, dokumentiert der im Mai veröffentlichte Bericht der Nationalen Agentur für Informationssicherheit.
Dazu zählt beispielsweise die gefälschte Rechnung, die im vergangenen Juli belegen sollte, dass die Ehefrau des ukrainischen Präsidenten Olena Selenskyj in Frankreich eine Luxuslimousine im Wert von 4,5 Millionen Euro gekauft habe. Fast immer zielen die Gerüchte darauf ab, Frankreichs Regierung als dekadent und verdorben darzustellen und die Unterstützung für die Ukraine in ein schlechtes Licht zu rücken. „Diese destabilisierenden Aktivitäten sind inakzeptabel und eines ständigen Mitglieds des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen unwürdig“, schrieb das französische Außenministerium kürzlich in einem Kommuniqué.
Macron selbst war bereits 2017 Opfer einer von Moskau organisierten Diffamierungskampagne. Damals nutzte Putin seine Staatsmedien, um Macron im Wahlkampf zu schaden. Über Sputniknews wurden Gerüchte verbreitet, Macron sei homosexuell und führe ein Doppelleben mit dem damaligen Radiodirektor Mathieu Gallet. Der Kandidat sah sich zu einer Reaktion gezwungen. Zugleich gab es erwiesenermaßen russische Hackerangriffe auf Server und Rechner von Macrons Wahlkampagne.